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„Abrechnung mit der tagesaktuellen Regierung“

Themenzoom der Ackermann-Gemeinde zur Europawahl in der Slowakei und Tschechien

Trotz Urlaubszeit und Olympiade im Fernsehen waren zum Ackermann-Zoom am ersten Dienstag im Monat 39 PCs zugeschaltet. Und das Thema war ja auch eine Alternative zur Glotze: „Nach der Europawahl - die Perspektive unserer Nachbarn in der Slowakei und Tschechien“. Doch Halt: „Glotze“ ist bei dem Referenten zu dem behandelten Sachverhalt nicht unbedingt angebracht. Denn Auskunft gab der in Prag tätige ARD-Korrespondent Danko Handrick.

Moderatorin Sandra Uhlich stellte den aus der Lausitz stammenden Journalisten kurz vor. Als Sorbe hat er von Grund auf einen Bezug zu slawischen Themen, darüber hinaus war von Kindesbeinen an Urlaub mit der Familie in der Tschechoslowakei angesagt. Seit 1999 ist er für die ARD tätig. Er arbeitete unter anderem für die ARD-aktuell-Redaktion des MDR, das ARD-Morgenmagazin, die Tagesschau, die Tagesthemen sowie den MDR-Sachsenspiegel und MDR aktuell. Von 2008 bis 2014 war er bereits ARD-Korrespondent für Tschechien und die Slowakei. Nach einer kurzen Zwischenstation beim MDR berichtet er seit 2019 wieder aus Prag und leitet dort das ARD-Fernsehstudio.

Zunächst erläuterte er seinen persönlichen Bezug zu eben diesem Arbeitsfeld. „Zu Hause wird noch sorbisch gesprochen. Da ist es etwas einfacher, Tschechisch zu lernen. Es ist relativ einfach, in andere slawische Sprachen hineinzukommen“, erklärte er. Auch auf die Bedeutung des katholischen Glaubens bei den Sorben kam er zu sprechen. Dieser habe sich in der DDR gehalten, „es waren hier nicht so sehr viele in der SED“, blickte er zurück. In Orten der Lausitz habe auch heute die CDU bis zu 70 Prozent, in Nachbarregionen – jenseits der Lausitz und der Sorben – liege die Mehrheit hingegen bei der AfD. Bezüglich eben dieser Partei befürchtet Handrick ähnliche Entwicklungen wie in der Spätphase der Weimarer Republik.

Kurz beschrieb er die ARD-Fersehstrukturen, wo die Berichterstattung über Tschechien dem MDR zugeteilt ist. Die für die Hauptsendungen in Frage kommenden Inhalte werden nach Relevanz, Nähe und Gesprächswert ausgewählt. In den vergangenen Monaten war das Attentat auf den slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico das zentrale Ereignis. Doch Themen aus Tschechien und der Slowakei werden zum Beispiel auch im Europamagazin, das jeden Sonntag ausgestrahlt wird, behandelt. Reportagen oder Dokumentationen finden oft auf ARTE ihren Sendeplatz. „Der Hauptgrund für einen Platz in den aktuellen Nachrichten ist die Aktualität“, fasste der Studioleiter zusammen und führte als Beispiel den Kriegsbeginn in der Ukraine an, wo damals nur über die slowakische Grenze zur Ukraine Recherchen möglich waren.

Zum aktuellen Zoom-Thema rief Handrick die Ergebnisse der stärksten Parteien in den zwei Ländern in Erinnerung. In der Slowakei errang die Progresívne Slovensko (Linksliberal-progressiv) 27,8 Prozent, die Smer (Richtung) – slovenská sociálna demokracia von Ministerpräsident Fico 24,8 Prozent, die ultranationalistische/rechtsextreme Hnutie Republika 12,5 Prozent und Hlas – sociálna demokracia, die Partei des neuen Staatspräsidenten Peter Pelegrini, 7,2 Prozent. In Tschechien bekam Andrej Babiš’ ANO 2011 26,1 Prozent, gefolgt vom Wahlbündnis Spolu der Regierung mit 22,3 Prozent. „Die extremen Parteien waren hier stark“, kam der Journalist auf die weiteren drei bis vier Parteien zu sprechen, die zwischen knapp neun und 10,3 Prozent auf sich verbuchen konnten und zum Teil dem rechts- bzw. linksextremen Lager zuzuordnen sind. Zu einem guten Teil sei das Wahlergebnis in beiden Ländern aber auch als „Abrechnung mit der tagesaktuellen Regierung“ zu interpretieren. Dies bedeute, dass europäische Themen und Aspekte nicht immer ausschlaggebend waren. Speziell in der Slowakei beeinflusste, so Handricks Ansicht, auch das Attentat auf Fico das Wahlverhalten. Für beide Länder stellte der ARD-Mann eine Spaltung vor allem zwischen Stadt und Land fest.

Die über diesen Aspekt noch hinausgehende Spaltung in der Slowakei habe hier auch mit der Rolle der Medien zu tun. „Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist seit einigen Jahren ein Spielball der Parteien, Programmdirektoren werden ausgewechselt“, schilderte Handrick. Damit einher gehe die Verbreitung von Fake News. „Journalistische Kriterien werden nicht beachtet. Es wird schwierig, wenn die Leute nicht mehr wissen, wem oder auf was sie noch vertrauen und verlassen können“, konkretisierte er. Hoffnungen auf Verbesserungen nach dem Mord an dem Journalisten Ján Kuciak oder nun nach dem Attentat auf Robert Fico seien sehr schnell zerplatzt. Die Slowakei falle in die alten Politikmuster zurück, Fico gebe den Medien und der Opposition die Schuld.

In Tschechien dagegen sei der öffentlich-rechtliche Rundfunk noch unabhängig und genieße bei der Bevölkerung eine hohe Akzeptanz. „Die machen einen guten Job“, lobte Handrick. Auch die Unterstützung der Ukraine sei in der tschechischen Bevölkerung – im Kontrast zur Slowakei – sehr hoch. 

Als Grund für diese Diskrepanz sieht der ARD-Mitarbeiter Unterschiede im kollektiven Gedächtnis der beiden Staaten. In der Slowakei gelte die Sowjetarmee als Befreier und die Sowjetunion als im Wesentlichen verantwortlich für den Wandel vom Agrar- zum Industriestaat. Daraus resultiere hier ein positiveres Verhältnis zu Russland. Doch die Parlamentswahlen in Tschechien voraussichtlich im Oktober nächsten Jahres könnten auch hier Veränderungen bringen.

Die Diskussionsbeiträge widmeten sich dem Begriff „Populisten“, dem Verständnis für Russland – vor allem in weiten Teilen der Slowakei, der neuen Fraktionsstruktur im Europäischen Parlament mit nun zwei Fraktionen am äußersten rechten Rand und der Haltung von Andrej Babiš, auch vor dem Hintergrund seiner wirtschaftlichen Betätigungen. Und zur Presselandschaft in der Slowakei stellte Handrick abschließend fest: „Es gibt auch Super-Zeitungsprojekte und viele gute Journalisten, die frei berichten können – aber nur mit einer geringen Reichweite.“ Außerdem sieht Handrick die Zivilgesellschaft in der Slowakei noch als viel zu stark, so dass mediale Entwicklungen wie in Ungarn hier derzeit nicht zu erwarten seien.

Markus Bauer

Ein Teil der zum Themenzoom zugeschaltenen Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Der ARD-Korrespondent Danko Handrick bei seinem Vortrag.
Moderatorin Sandra Uhlich.