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Nation als Denkmodell hinterfragen!
Dr. Walter Rzepka, der im Oktober 2017 verstorbene AG-Ehrenvorsitzende, hat mit seinen Gedanken in den letzten Jahrzehnten die Ackermann-Gemeinde maßgeblich geprägt. Sein Denken über Versöhnung, die Nachbarschaft oder über den Umgang mit Nationalität wirkt weiter fort.
Aktuell erleben wir, wie nationalistisches Denken zunimmt. Dies gefährdet die weiteren Entwicklungen Europas. Es bedarf daher der Reflexion, wie wir den richtigen Umgang mit der Nationalität gestalten sollen. Dies ist insbesondere für uns Christen eine wichtige Aufgabe. Dr. Walter Rzepka trieb diese Frage bis zuletzt um. Noch wenige Wochen vor seinem Tod arbeitete er an einem Text, in dem er diesen Themenkomplex behandelte. Zwei weitere Abhandlungen hierzu hat Rzepka hinterlassen, aus denen Aspekte vorgestellt werden sollen.
Historische Untersuchungen zur nationalen Frage gibt es in Fülle. Die Nation war treibende Kraft bei der Gründung neuer Staaten und wurde zur Quelle vieler blutiger Konflikte. Doch zu selten werde sie human- und sozialwissenschaftlich oder gar sozialethisch behandelt, beschreibt Rzepka das Defizit. In seinen Ausführungen verteufelt Rzepka die Nation nicht. Aus der nationalen Zugehörigkeit entstehe in der Entwicklung des Menschen durch emotionale Bindungen und persönliches Wohlgefühl ein Nationalgefühl. „Dieses gesellschaftliche Umfeld spornt dazu an, auch selbst aktiv zu werden und die Gemeinschaft, die man zunächst nur passiv erlebt hat, durch aktive Pflege gemeinsamer Lebensart zu stärken.“ Es gebe aber eben nicht nur eine nationale Gemeinschaft, gibt Rzepka zu bedenken. Er fürchte daher Verhaltensweisen, die gegenüber Fremden typisch sind und nennt dabei Geringschätzung, Angst und Auftrumpfen. Die Nation werde im Nationalbewusstsein, welches durch verstandesmäßige Reflexion entsteht, durch bewusste Bejahung der Gemeinsamkeit legitimiert. Bei einer Anreicherung mit positiven Wertvorstellungen schlägt es in Nationalstolz um. Wenn Rzepka diese Entwicklung beschreibt, warnt er immer zugleich vor den negativen Auswirkungen, die durch Abgrenzungen und eigene Erhöhung angelegt sind. Nationales Verhalten müsse demnach ethisch gesteuert werden.
Er fordert einen verstandesmäßigen und ethischen Umgang mit diesen Phänomenen. Dies sei besonders nötig, wenn andere „als fremdartig empfunden werden, auf der Gefühlsebene abschrecken und eine Abwehrhaltung entstehen lassen“. Dass dies nicht nur theoretische Gedanken sind, davon zeugen die tagtäglichen Berichte in den Medien. „Möglich und nötig ist es aber, die negative Haltung von Aggressionsneigungen zu befreien und Toleranz zu entwickeln“, so der Anspruch Rzepkas.
In seinen Ausführungen definiert er ausführlich, was nationales Handeln bedeutet, woraus sich Nationalgefühl speist und um welche Werte es beim nationalen Verhalten geht. Er fragt danach, ob es eine Pflicht zu nationalem Verhalten gibt und womit es konkurriert. Es ist ein klarer und differenzierter Blick auf Begrifflichkeiten und Zusammenhänge. Für Rzepka ist klar, dass Nation keinen „Ewigkeitswert“ hat und „nicht unbedingt als solche für alle Zukunft erhalten werden muss“. So stellt er auch Überlegungen an, was die Nation ergänzen oder ablösen könnte: eine „Gemeinschaft der Europäer“, die sich aus gemeinsamer Geschichte und Kultur speist, oder „landschaftsbezogene Gemeinschaften“, welche aus seiner Sicht auch mehrsprachig und übernational sein können. Und er fragt: „Gibt es auch eine gefühlte Gemeinschaft der Christen, gleich welcher Muttersprache sie sind, welcher Nation sie angehören, in welcher Landschaft sie leben?“
Die Auseinandersetzung mit der nationalen Problematik ergebe sich für die Ackermann-Gemeinde aus den Erfahrungen nationaler Spannungen, aus denen sie erstanden ist, sowie aus ihrer europäischen Ausrichtung, erklärt Rzepka. Daher müsse dieses Thema nach Rzepka gerade von der Ackermann-Gemeinde als sozialethisches Problem behandelt werden. Er sieht die Notwendigkeit, dass diese Frage intensiver behandelt werde. Ein Blick in das „Kompendium der Soziallehre der Kirche“ zeige, dass die kirchliche Lehre noch nicht sehr tief in diese Thematik eingedrungen sei. Wie wichtig dies eigentlich wäre, machen nicht zuletzt auch die Uneinigkeiten innerhalb der und zwischen den Bischofskonferenzen der europäischen Länder in der Frage der europäischen Integration und der Aufnahme von Flüchtlingen deutlich.
Rzepkas Gedanken werden die Ackermann-Gemeinde auch über seinen Tod hinaus beschäftigen. Auch zu den Themenkomplexen „Völkerversöhnung - Völkerverständigung“ (2007) sowie „Gute Nachbarschaft zwischen Deutschen, Tschechen und Slowaken. Denkanstöße für heute und morgen“ (2008) hat der verstorbene Ehrenvorsitzende in Diskussionspapieren wichtige und wegweisende Gedanken formuliert. Diese wie auch die Texte zur Nation sind ab sofort auf der Internetseite der Ackermann-Gemeinde verfügbar. Mit einer erneuten Lektüre und inhaltlichen Auseinandersetzung kann sicher das Vermächtnis eines der wichtigsten Vordenker unserer Gemeinschaft angemessen gepflegt werden.
Matthias Dörr
Texte von Dr. Walter Rzepka zum Download
Vorüberlegungen zu einer christlichen Ethik nationalen Verhaltens - Mai 2010
Fragen zum rechen Umgang mit der Nationalität - September 2012
Gedanken zur Nationalität (unvollendet) - Oktober 2017
Zwischenbilanz und künftige Herausforderungen. 70 Jahre Ackermann-Gemeinde - Dezember 2015
Diskussionspapier Völkerverständigung - Völkerversöhnung - 2007
Diskussionspapier Gute Nachbarschaft zwischen Deutschen, Tschechen und Slowaken. Denkanstöße für heute und morgen - November 2008
Interview mir Dr. Walter Rzepka
Anlässlich 70 Jahre Kriegsende führte das Münchner Kirchenradio im April 2015 ein ausführliches Interview. Dies ist auch im Internet als Download verfügbar:
70 Jahre Kriegsende: Flucht, Vertreibung, Versöhnung - Sendung vom 27.04.2015
Welche Erkenntnisse kann man gewinnen, wenn man jetzt, 70 Jahre nach Kriegsende zurückschaut? Kann Erinnerung die Versöhnung bekräftigen und lebendig halten? Und hat sie noch Bedeutung für diejenigen, die diese Ereignisse nur aus Erzählungen oder Fernsehdokumentationen kennen? Im Studio Walter Rzepka, Ehrenvorsitzender der Ackermann-Gemeinde und Zeitzeuge der Vertreibung.
Direkter Link zur Audiodatei: EL_KW_18__Flucht_und_Vertreibung_podcast.MP3