Die Ackermann-Gemeinde - Vermittler zwischen den Kulturen Impulsseminar befasst sich mit Vergangenheit und Perspektiven der Ackermann-Arbeit
Neben dem Festgottesdienst und Festakt zum 70-jährigen Jubiläum sowie der Hauptversammlung mit Neuwahl des Bundesvorstandes beschäftigten sich die Delegierten der Ackermann-Gemeinde im Rahmen eines Impulsseminars mit dem Thema „Gemeinsam gefordert – als Deutsche und Tschechen für Europa aktiv“. Dabei standen der Rückblick ebenso wie Zukunftsperspektiven im Fokus der Vorträge und Diskussionen.
Im geistlichen Einstieg ging der Geistliche Beirat der Ackermann-Gemeinde Msgr. Dieter Olbrich auf das Altern ein, das ja auch die Ackermann-Gemeinde betrifft. Doch im Kontrast zu Menschen oder einem nun 70 Jahre alten Verband sei Gott immer gleich, quasi ein Jungbrunnen. „Mit diesem Gott können wir alt werden und jung bleiben – und Gotteskinder sein und bleiben“, fasste Olbrich zusammen.
Den ersten Impuls gab der Ehrenvorsitzende der Ackermann-Gemeinde Dr. Walter Rzepka mit seinem Vortrag „Die Rolle der Ackermann-Gemeinde im vertriebenenpolitischen Kontext der ersten Nachkriegsjahrzehnte. Inspiration für heute?“ Er erinnerte an die Ursprünge der Ackermann-Gemeinde und stellte fest, dass dies „keine Vereinsgründung im üblichen Sinne“ gewesen sei, sondern sich vielmehr am Beginn eher Freundeskreise aus der Zeit vor der Vertreibung gesammelt haben, woraus dann die Ackermann-Gemeinde erwuchs. „Alte Freunde haben versucht, sich zu helfen, die Situation nach der Vertreibung zu verarbeiten“, konkretisierte Rzepka. Auch die Intention des Gründervaters Hans Schütz nannte er, zunächst die Interessen innerhalb der großen demokratischen Parteien bzw. auch im Verbund mit der einheimischen Bevölkerung durchzusetzen und so am Aufbau des neuen demokratischen Staates mitzuarbeiten. Natürlich sollten auch die deutsch-tschechischen Beziehungen auf ein gutes Niveau gehoben werden, verdeutlichte Rzepka. Anregungen hierzu gab es in der Zeitschrift „Der neue Ackermann“. Als einen „entscheidenden Schritt in der Geschichte der Ackermann-Gemeinde“ nannte der Vortragende die Predigt von Pater Dr. Paulus Sladek im Jahr 1955 in Haidmühle, der neben dem Opferaspekt nun auch das Bekenntnis der eigenen Schuld hervorhob. Dies habe positiv in die damalige Tschechoslowakei gewirkt und sei „Basis für die vieljährige geheime Hilfe in Richtung ČSSR“ gewesen. Im Laufe der Jahre sei bei den Mitgliedern der Ackermann-Gemeinde das Festhalten an den eigenen Rechten zurückgegangen, während das Interesse und das Verantwortungsgefühl für die alte Heimat stieg. „Es wurde deutlich, dass die Ackermann-Gemeinde eine geistige Führungsrolle innehatte“, beschrieb Rzepka die Vordenker-Funktion. Und dies ist für ihn auch heute wichtig. Als gemeinsame Agenda auf deutscher wie tschechischer und slowakischer Seite sieht Rzepka folgende: die Kirche für moderne Menschen attraktiv gestalten, hüben und drüben von den ökumenischen Erfahrungen lernen, mit den Christen auf beiden Seiten zu bestimmten Themen gemeinsame Positionen entwickeln und öffentlich vertreten, sozialethische Wegweisung für den Umgang mit nationalen Fragen - „und auch den Mut haben, Ergebnisse in Thesen zusammenzufassen und an Stellen vorzulegen, die sich von ihrer Struktur her damit auseinandersetzen müssen. Die Ackermann-Gemeinde war immer auch Kirche, diese Positionen hat sonst niemand erarbeitet“, fasste Rzepka zusammen und erinnerte an die Eichstätter Erklärung bzw. die darauf aufbauende Charta der Heimatvertriebenen, an der Ackermänner und -frauen aktiv mitgearbeitet haben.
Das Thema „Deutsch-tschechische Nachbarschaft und das Wirken der Ackermann-Gemeinde. Nur etwas für Insider“ beleuchtete der Journalist Hans-Jörg Schmidt. Er verglich das sieben Jahrzehnte währende Wirken der Ackermann-Gemeinde mit einem Marathonlauf, bei dem insbesondere Ausdauer, Zähigkeit und Unverdrossenheit angesagt sind. „Hut ab vor dem Engagement, herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum und für die Ausdauer“, zollte Schmidt Anerkennung. In seinen Ausführungen erinnerte er an einige Aussagen des früheren Staatspräsidenten Václav Havel, an Passagen aus der Charta 77, sprach aber auch den guten Kontakt zwischen dem tschechischen und bayerischen Ministerpräsidenten sowie die überstaatlich wichtige Migrationsproblematik an. Besonders bezüglich der letztgenannten Thematik wies er auf die populistischen Positionen von Václav Klaus und des jetzigen Staatspräsidenten Miloš Zeman hin. „Havel hätte die humanitäre Seite betont, sein Tod war auch ein Rückschlag für die deutsch-tschechischen Beziehungen“, erklärte Schmidt. Umso mehr würdigte er die Arbeit der Ackermann-Gemeinde, die in die Fußstapfen von Václav Havel getreten sei, „der wusste, dass etwas über uns steht“. Für den Journalisten ist daher auch der Marathonlauf der Ackermann-Gemeinde noch nicht nach 42 Kilometern beendet, und deren Arbeit sei auch nicht alleine für Insider. Als großen Hoffnungsträger für die katholische Kirche in Tschechien bezeichnete er Kulturminister Daniel Herman – auch weil die Rolle der Kirche sich in den beiden Ländern gravierend unterscheidet. „Die Gedanken der Ackermann-Gemeinde in Bezug auf Europa sind heute aktueller denn je. Ich erwarte mehr Begeisterungsfähigkeit der Deutschen für Europa – auch als Vorbild für die Tschechen“, fasste Schmidt zusammen.
Auf die Entstehungsgeschichte der Ackermann-Gemeinde ging auf dem Podium nach den Impulsreferaten die lange im Bundesvorstand wirkende Dr. Gerburg Thunig-Nittner ein. So sei am Anfang „ein Netzwerk zum Helfen, Trösten und Heilen“ gestanden, dazu Personen mit Leitungs- und Führungsqualitäten, sodass sich ab 1947/48 langsam feste Strukturen herausbildeten. Sie verwies besonders auf die Arbeit und Initiativen von der Basis her mit zum Teil heftigen Debatten und Diskussionen. Dabei habe das Thema „Europa“ sehr früh eine wichtige Rolle gespielt – auch weil man der Meinung war, dass die Anliegen der Vertriebenen auf dieser Ebene eher umzusetzen seien.
„Auch andere mit unseren Ideen begeistern“, forderte, diese Arbeitseinheit abschließend, der Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde MdEP a.D. Martin Kastler. Besonders das Thema „Europa“ legte er den Delegierten ans Herzen - „ein Acker, wo wir mehr als gebraucht werden“, auch angesichts der aktuellen Diskussionen und Probleme, ja mancher Stereotypen. Daher riet Kastler zu einer Intensivierung des Dialogs und von Begegnung, um daraus gemeinsam – als deutsche und tschechische Ackermann-Gemeinde – zu politischen und auch kirchlichen Fragen Stellung beziehen zu können. „Europa ist Teil der Lösung und nicht das Problem“, brachte es der Bundesvorsitzende auf den Punkt.
In der zweiten Arbeitseinheit des Impulsseminars ging es vor allem um die künftige Arbeit, die Perspektiven. Die kirchliche Seite beleuchtete Domkapitular Msgr. Thomas Schlichting, Ressortleiter „Seelsorge und kirchliches Leben“ im Erzbischöflichen Ordinariat München unter dem Thema „Das Erbe der Vertriebenenseelsorge und die Ackermann-Gemeinde als katholische Gemeinschaft. Was kann Kirche leisten?“ Da Schlichting früher unter anderem als Kaplan in Waldkraiburg und als Pfarrer in Traunreut gearbeitet hat, ist ihm das Sujet bestens bekannt. Er erinnerte an die Situation und Strukturen der Vertriebenenseelsorge unmittelbar nach dem Krieg bzw. der Vertreibung – die so genannten „Rucksackpfarrer bzw. -priester“. Wesentliche Aufgaben waren das Angebot einer „geistigen Heimat“ für die Vertriebenen sowie zur Versöhnung und Verständigung zwischen den Vertriebenen und Einheimischen beizutragen. Schlichting ging auch auf die weiteren Strukturveränderungen der Vertriebenenseelsorge ein bis hin zur aktuellen Neuerung, wonach die Verantwortung der Seelsorge den Vereinen und Verbänden übertragen wurde. Die Ackermann-Gemeinde habe immer schon in den 70 Jahren ihres Wirkens, so der Domkapitular, die Kirchlichkeit, die Erinnerungsarbeit und die Pflege von Kultur und Nachbarschaft besonders betont, „bei Ihnen findet Seelsorge statt!“ Daher sei die Ackermann-Gemeinde auch in Zukunft ein „Ort der Vertriebenenseelsorge“. Vertiefend regte Schlichting an, folgende Seelsorgefelder mit einzubeziehen bzw. zu vernetzen: Notfallseelorge (Erfahrung mit Traumatisierungen), Seniorenpastoral (z.B. Biografiearbeit), Jugendpastoral (Begegnungen, Erfahrungen von Heimatverlust).
Den letzten Impuls lieferte der Prager Historiker und Publizist Dr. Matěj Spurný, der seine Gedanken zum Thema „Die gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland und Tschechien und Perspektiven der Ackermann-Gemeinde. Erwartungen aus Tschechien“ vortrug. Grundsätzlich stellte er eine „tiefe Kluft, die die tschechische Gesellschaft von der deutschen teilt“ fest. Dies betrifft vor allem die Haltung zu und den Umgang mit den europäischen bzw. globalen Herausforderungen und Krisen – besonders die Migration und die Zukunft Europas. „Das ist auch eine Herausforderung für die Ackermann-Gemeinde“, meinte Spurný und schlug die Ackermann-Gemeinde als Vermittler zwischen den beiden Ländern vor. Zudem nannte er die zentralen Aspekte, die auf tschechischer Seite die aktuelle Lage und Stimmung ausmachen: ein fehlendes Selbstbewusstsein bzw. die spezifische „tschechische Art der Selbstprovinzialisierung“, die geschichtlich verankert ist. Dann der „Normalitätskult“, ein „Ideal eines ruhigen Zusammenlebens“, das die tschechische Gesellschaft auch nach 1989 prägt. Dabei wird auch, so der Referent, das „Nicht-Normale“ (z.B. kritische Intellektuelle) oft als Extremismus interpretiert. Und dann noch der Materialismus mit besonderer Betonung der ökonomischen Fakten. Diese Linie vertreten vor allem die „spätsozialistischen Technokraten“ (Václav Klaus, Miloš Zeman). „Diese Denkmuster sind tief in der Gesellschaft verwurzelt“, erklärte Spurný und unterstrich seine Idee der Ackermann-Gemeinde als Vermittler zwischen den Kulturen, „da diese Werte und Kompetenzen verkörpert, die in einem starken Kontrast zu denen in der tschechischen Gesellschaft stehen: Selbstbewusstsein, Mut und Offenheit für Alternativen. Und das wäre inspirativ für Tschechien – und letztendlich eine Chance für Europa“, schloss der Historiker seine Ausführungen.
Der Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde Martin Kastler legte Wert darauf, die Vielfalt der Meinungen in der Kirche – vor allem in den Vyšehrad-Staaten – zu akzeptieren und auch für nicht-katholische Vereinigungen offen zu sein. „Viele Menschen in Tschechien sind auf der Suche“, betonte Kastler und schlug vor, dass diese von der Kirche begleitet werden. Den Verbänden käme damit auch das Gestalten von Kirchlichkeit und Spiritualität zu.
Markus Bauer