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Weltweit Flucht und Vertreibung – was kann zur Minderung getan werden?

Beim themenzoom der Ackermann-Gemeinde im Juli war mit Dr. Oliver Müller der Leiter von Caritas International, des Not- und Katastrophenhilfswerkes des Deutschen Caritasverbandes mit Sitz in Freiburg, zu Gast. Das Thema war höchst aktuell: „Flucht - eine globale Herausforderung“.

In seiner Begrüßung konnte Moderator Rainer Karlitschek Müller zu dessen erneuter Wahl in das Zentralkomitee der deutschen Katholiken über das Maximilian-Kolbe-Werk gratulieren und ihn kurz vorstellen. Der promovierte Theologe und Politikwissenschaftler ist seit dem Jahr 2006 in der leitenden Position tätig. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören humanitäre Hilfen, globale soziale Entwicklung und der Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen in Osteuropa wie auch auf der südlichen Halbkugel. „Als Ackermann-Gemeinde haben wir das Thema Flucht in den Genen, eine natürliche Affinität dazu und es ist immer präsent“, merkte der Moderator an, der aber auch die Betrachtung aus heutiger Sicht – wie eben durch Müllers Ausführungen – für wichtig hält.

Den ihm vom Maximilian-Kolbe-Werk gut bekannten Herwig Steinitz, der auch am Zoom teilnahm, begrüßte Müller besonders und stieg mit allgemeinen Daten und Fakten zu Flucht und Vertreibung in seinen Vortrag ein. Demnach sind Stand Ende 2020 82,4 Millionen Menschen weltweit wegen Krieg, Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen auf der Flucht: 26,4 Millionen Flüchtlinge, 48 Millionen Binnenvertriebene, 4,1 Millionen Asylsuchende und 3,9 Millionen Venezolaner, die außerhalb ihres Landes auf der Flucht sind. Als Länder mit den höchsten Zahlen nannte Müller Syrien, Afghanistan, Südsudan und Myanmar, wobei vielfach die Flucht ein Dauerzustand ist. „Zwei Drittel kommen aus lediglich fünf Ländern. Syrien ist bis heute die größte Katastrophe, der Südsudan hat stark zugenommen“, konkretisierte der Caritas-Vertreter. Dazu trägt auch bei, dass Kriege bzw. Konflikte heute immer länger dauern und eine Friedenskonsolidierung wegen ungeklärter innerstaatlicher Probleme nicht gelingt. „Der Großteil der Flüchtlinge finden Schutz in den Nachbarländern“, führte Müller weiter aus – oftmals in wenig entwickelten Staaten. Neben der Türkei und Kolumbien, für Flüchtlinge aus Venezuela, nimmt Deutschland den dritten Rang bei den Hauptaufnahmeländern ein, bei der Relation zur Bevölkerung stehen der Libanon und die Türkei an der Spitze. Aber viele dieser Nachbar-Aufnahmeländer sind kaum in der Lage, den Flüchtlingen einen menschwürdigen Lebensstandard zu bieten. Und den meisten fehlt die Möglichkeit, nach Europa zu kommen. Daher ist, so Müller, insbesondere im Nahen und Mittleren Osten der Anteil der Vertriebenen im eigenen Land in den letzten zehn Jahren angestiegen. „Um die Gruppe der Inlandsvertriebenen müssen wir uns große Sorgen machen, dieser Gruppe wird nicht so sehr Beachtung geschenkt“, führte Müller weiter aus. Denn dieser Personenkreis befinde sich unter Beobachtung von Regierungen, die Verfolgung und Vertreibung negieren. Unterstützung von außen werde schwieriger.

Doch auch die Aufnahme von Vertriebenen führt in vielen Aufnahmeländern zu großen Schwierigkeiten: belastete Staatshaushalte, mangelnde Schulbildung bei Jugendlichen unter den Vertriebenen usw. „Die Bewältigung dieser Probleme kann nicht allein durch humanitäre Hilfen geschehen“, machte der Referent deutlich. Dazu gehörten auch die Entwicklungszusammenarbeit und Perspektiven für die Rück- und Wiederansiedlung. Ein Defizit sei zudem das Fehlen entsprechender internationaler Abkommen. Zwar gebe es seit 1998 Leitlinien, doch diese seien völkerrechtlich nicht bindend, und damit könne keine Organisation mit einem klaren Mandat handeln. Der Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan und die aktuell zu beobachtenden Entwicklungen werde, so Müller, zu einer „zugespitzten Situation in den nächsten Monaten mit permanenten Kämpfen und Unruhen in Teilen des Landes“ führen. Speziell in Afghanistan kämen neben den Konflikten auch Naturkatastrophen, die Wegzüge nach sich zogen und ziehen.

So widmete sich der Referent im Schlussteil seiner Ausführungen dem Klimawandel, der eine zunehmende Rolle im Flucht-Kontext einnimmt, wie Auswirkungen auf die Landwirtschaft und Konflikte um die Nutzung fruchtbarer Ackerflächen. Müller nannte durchschnittlich 400 Naturkatastrophen pro Jahr bei einer Verdopplung seit den 1990er Jahren, was zur Abwanderung in Metropolregionen führt, die eine restriktive Einwanderungspolitik praktizieren. Zugenommen haben ferner die Probleme im Bereich der Wasserversorgung, was mehr Binnenvertriebene zur Folge hat.

Als Maßnahme, um all dem wenigstens etwas entgegenzuwirken, brachte Müller ein Zertifikat ähnlich dem Nansen-Pass (Reisepass für staatenlose Flüchtlinge und Emigranten nach dem Ersten Weltkrieg) ins Spiel, wodurch eine legale Einwanderung eher möglich werde. Vorliegen würde auch der „Globale Flüchtlingspakt der Vereinten Nationen“, dem aber die völkerrechtliche Verbindlichkeit fehle. Für Müller kann nur eine stärkere Zusammenarbeit der Staaten und Völker sowie eine weit bessere Finanzierung der Hilfsmaßnahmen Positives bewirken. „Es bedarf einer besseren Konfliktbearbeitung, um Flucht und Vertreibung zu verhindern. Oft ist eine wirkliche Perspektive – zum Beispiel in Syrien – nicht absehbar. Und die Corona-Krise hat die Situation meistens noch verschärft. Die Problematik wird nicht kleiner werden“, schloss Müller seinen Vortrag.

In der Diskussion betonte Müller, die Situation und Hintergründe in den einzelnen Ländern genau zu betrachten. Im Südsudan herrschten andere Rahmenbedingungen als etwa in Afghanistan oder in Syrien. Die Frage von Matthias Dörr nach der Bedeutung des UNHCR (Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen) beantwortete der Referent kurz und klar mit „ist unverzichtbar“. Die UN habe dadurch einen festen Zugang und könne sich als Gestaltungsmacht etablieren. Zusammenfassend meinte Müller: „Die meisten Leute wollen bleiben, wo sie sind“. Daher gelte es in erster Linie, die Ursachen für Flucht zu mindern.

Markus Bauer

Dr. Oliver Müller Caritas international
Dr. Oliver Müller, Leiter von Caritas International, bei seinem Vortrag.
themenzoom Rainer Karlitschek
Moderator Rainer Karlitschek bei der Begrüßung.
themezoom
Ein Teil der zum themenzoom zugeschalteten Interessenten.