Hanke

Dem Vergessen entrissen

„Nach unglaublichen 73 Jahren erhielt die deutsche Zivilbevölkerung eine symbolische Entschuldigung für Nachkriegs-Rechtlosigkeit und -Unrecht. An der Stelle des seinerzeitigen Hanke-Internierungslagers wird heute ein Denkmal errichtet.“ So titelte ein Zeitungsbericht am 15. Juni 2018 in Ostrau/Ostrava, der drittgrößten tschechischen Stadt. Zur Enthüllung kamen an der Bahnhofstrasse schräg gegenüber dem Förderturm des ehemaligen „Heinrich-/Jindřich-Schachtes“ auch Oberbürgermeister Tomáš Macura und der Hauptmann des Mährisch-Schlesischen Kreises, Ivo Vondrák.

Macura sagte dazu: „Heute erinnern wir an eine Vergangenheit, auf die wir keineswegs stolz sein können“. Und ergänzte: „Sie soll uns daran erinnern, dass Unrecht nicht durch weiteres Unrecht beglichen werden kann, und das Prinzip der Kollektivschuld ist zudem etwas, dem in der Gesellschaft kein Raum gegeben werden darf“.

In einer militärischen Gewaltoperation hatte die Rote Armee innerhalb eines Tages vom 30. April auf 1. Mai 1945 Ostrau erobert. Von den bis dahin rund 26.000 deutschen Zivilisten (rund 25% der Stadtbevölkerung) waren nur noch etwa 6.000 da. Für diese wurden umgehend Internierungslager errichtet. Nach tschechischen Quellen hatten alle Personen ab dem 6. Lebensjahr ein großes schwarzes N in weißem Kreis zu tragen, ab dem 14. Lebensjahr musste Zwangsarbeit geleistet werden. In sämtlichen Lagern herrschten zwischen Mai und Juni 1945 chaotische und brutale Verhältnisse – am allerschlimmsten jedoch auf dem Gelände der ehemaligen Spedition „Hanke“. Dort wurden innerhalb eines einzigen Monats 230 Menschen zu Tode gefoltert, gehängt oder auf andere Weise ermordet. Alle Einzelheiten und Namenslisten wurden nach 1990 vor allem von den Historikern Měčislav Borák und Tomáš Staněk recherchiert und veröffentlicht, doch es war der Studentin Judita Holásková von der Prager Karls-Universität „vorbehalten“, 2015 das „Hanke-Lager“ in einer in ihrer Gründlichkeit und inhaltlichen Ausgewogenheit überzeugenden Zulassungsarbeit zusammenfassend darzustellen. Sie durchbrach damit 70jähriges tschechisches kommunistisches Beschweigen. Innerhalb der nächsten Jahre kümmerten sich der Verein „Fiducia“, Einzelpersonen, die Oberstufenschüler des Havlová-Gymnasiums in Ostrava-Poruba unter ihrem engagierten Geschichtslehrer, aber auch Mitglieder der Kulturkommission der Stadt sowie die Ostrauer Universitätsprofessorin Nina Pavelciková in Eingaben, Entwurfsvorschlägen und Zeitungsberichten um ein Denkmal für dieses „schwarze Loch“ der Stadtgeschichte. „Denn nur wenige Zeitzeugen wussten von der Existenz dieses Lagers. Dieses Kapitel der Nachkriegsgeschichte wurde jahrzehntelang beschwiegen und erst nach 1990 wieder geöffnet….“ - ist häufig nachzulesen.

So steht heute das etwa 180 cm hohe, aus rötlichem, geflecktem Marmor gestaltete ca. 50x50 cm als quadratische Säule gebildete Denkmal etwas bescheiden, aber gut sichtbar an der Haupteinfallstraße und trägt eine in Augenhöhe angebrachte Bronzetafel.

Seit Aussig/Ústí n.L. 2005, Brünn/Brno, Iglau/Jihlava und zahlreichen anderen Orten hat damit die tschechische reflektierte Vergangenheitsaufarbeitung eine weitere ethisch begründete und politisch motivierte Qualität erreicht, die gewürdigt werden sollte.

Dr. Otfrid Pustejovsky

 

Dieser Beitrag ist erschienen in der Zeitschrift  "Der Ackermann", Heft 2018-3

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