Brünns Štetl-Festival - Einblicke in die jüdische Kultur der Stadt

Anders als in Prag mit seinem jüdischen Viertel als Besuchermagnet, sind die jüdischen Orte Brünns, der zweitgrößten Stadt der Tschechischen Republik, eher verborgen.

Der etwas außerhalb gelegene jüdische Friedhof oder die im funktio­nalistischen Stil erbaute Synagoge Agudas Achim, in der noch Gebete stattfinden, sind vielen Besuchern unbekannt. Dabei sollte die Bedeutung der jüdischen Bevölkerung Brünns nicht unterschätzt werden. Jüdische Familien im 19. Jahrhundert orientierten sich an der deutschen Sprache sowie Kultur und hatten maßgeblichen Anteil am Aufstieg Brünns zur Textilmetropole. 

Das alljährlich Ende August bzw. Anfang September stattfindende Štetl-Festival, das 2022 in Zusammenarbeit mit der jüdischen Gemeinde Brünns ins Leben gerufen wurde, versucht, diese Geschichte wieder lebendig werden zu lassen und sich zugleich auch aktuellen Themen zu widmen. 

Initiatorin Eva Yildizovás Wunsch ist es, dass jüdische Kultur wieder als natürlicher Teil der Stadt Brünn angesehen wird, wie sie es in der Geschichte eben auch war. Yildizová und ihr Team schaffen ein beeindruckend vielfältiges Programm. An unterschiedlichsten Stand­­orten in der Stadt werden Lesungen, Theaterstücke, Diskussionen, Filmvorführungen und vieles mehr angeboten, oft in Kooperation mit unterschiedlichsten Partnern, wie z. B. der Villa Tugendhat. Das Programm ist in der Stadt präsent, plakatiert auf den Kultursäulen der Stadt. Der Erfolg gibt den Organisatoren recht. Die Veranstaltungen erreichen ein breites Publikum, darunter auch Juden, die sich während der kommunistischen Zeit ihrer Tradition entfremdet hatten und sich nun ihrem Erbe wieder annähern. 

Im vergangenen Jahr waren Züge das Thema, das in seiner ganzen Ambivalenz aufgezeigt wurde. Dabei ging es einerseits um die Menschen, die rechtzeitig mit der Eisenbahn dem NS-Terror entkommen konnten, sowie um diejenigen, die derzeit als Flüchtlinge aus der Ukraine nach Brünn kommen, andererseits aber auch um die Ermordeten, für die Züge den Tod bedeuteten. Im Rahmen des Festivals wurde dann auch am Gleis 5 des Brünner Hauptbahnhofs eine Gedenktafel für die Deportationstransporte eingeweiht.

Inzwischen gibt es Veranstaltungen das ganze Jahr über. Aktuell ist geplant, für die Aktivitäten des Štetl-Festivals einen ganz konkreten Ort der Begegnung zu etablieren. Hierfür soll eine Villa, die ehemals im Besitz der jüdischen Familie Wittal war, gemeinsam mit der Stadt Brünn renoviert werden, um ein jüdisches Zentrum zu schaffen.

Dieses neue Interesse an der jüdischen Geschichte ist eng verknüpft mit dem Interesse an dem verschwundenen deutsch­sprachigen Brünn (s. Heft 2024-1, Seite 25). Das historische Erbe eines liberalen, offenen Brünns, das in der Zwischenkriegszeit zu einem großen Teil von seinen jüdischen Bürgern getragen wurde, sollte auch für die Gegenwart Inspiration sein. 

Das diesjährige Štetl-Festival steht unter dem Motto „Das jüdische Trauma in der Kunst ‒ Von Kafka bis Barbie“. Zusätzlich zu den Programmlinien Franz Kafka und Barbie-Puppe laden Ausstellungen, Vorträge, Führungen zu Malerei, Fotografie, Architektur, Musik und Geschichte ein. Näheres zum Programm auf der Webseite.

Monika Halbinger, Historikerin, Lektorin

Auch in Brünn gibt es Stolpersteine wie diese für das Ehepaar Wittal, ermordet in Theresienstadt bzw. Treblinka.