Prof. Samerski - Nuntius Alois Muench, der "Retter Deutschlands"

  • 21.11.2022 19:00
  • Sudetendeutsche Heimatpflege, Ackermann-Gemeinde München u.a.
  • Sudetendeutsches Haus
  • München

„Er hat Weltgeschichte gemacht. Das wird langsam klar.“ Prof. Dr. Stefan Samerski ist die Begeisterung anzumerken, als er am 21. November vor ca. 70 Gästen seinen Vortrag über Alois Muench eröffnet, der die 2022er Vortragsreihe „Böhmen macht Weltgeschichte. Unbekanntes und Unbekannte.“ abschließt.

Aloysius Muenchs Vater war im Böhmerwald geboren, die Mutter in der Oberpfalz. In die USA ausgewandert, gründeten sie in Milwaukee (Wisconsin) eine Familie, in die hinein 1889 Alois Muench als erstes von sieben Kindern geboren wurde. Er wuchs nicht nur in einer deutschen Familie auf, auch in seiner Pfarrei war Deutsch eine gängige Sprache. In dieser Zeit wurde die katholische Kirche in den USA von den Einwanderern geprägt, von denen viele aus den deutschsprachigen Ländern kamen. Auch im Klerus bis hin zu den Bischöfen war Deutsch eine weit verbreitete Sprache. Muench entschied sich für das Priestertum und wurde 1916 geweiht. Schon früh erkannte er die soziale Frage als Auftrag für die Kirche. 1919 studierte er an der Universität Freiburg (Schweiz) und erwarb einen Doktor in Sozialwissenschaften, studierte auch jeweils kurz in Löwen, Cambridge, Oxford und an der Sorbonne in Paris. Während seines Europa-Aufenthalts begegnete er Nuntius Eugenio Pacelli, dem späteren Papst Pius XII. Zurück in Milwaukee erhielt Muench einen Lehrauftrag in Sozialwissenschaften und wurde Rektor des Priesterseminars. 1935 wurde er schließlich zum Bischof von Fargo, einem kleinen Bistum im Norden der USA, ernannt.

Gegen Kriegsende gab es seitens der Alliierten verschiedene Ansätze im Hinblick auf den Umgang mit Deutschland. So hing der radikale Morgenthau-Plan, der die Umwandlung eines zerschlagenen Deutschland in einen Agrarstaat vorgesehen hatte, unheilschwanger in der Luft, als das Nachkriegsdeutschland damit beschäftigt war, das ganz normale Leben zu reorganisieren, Millionen Flüchtlinge aufzunehmen, zerstörte Städte wieder aufzubauen.

In dieser Zeit, in der das Ausmaß der deutschen Kriegsverbrechen immer mehr ans Licht kam und in den Nürnberger Prozessen vor den Augen der ganzen Welt verhandelt wurden, war die Stimmung gegenüber Deutschland mehr als schlecht – und die Zahl derer, die sich für einen besonnenen Umgang mit und gar für eine Unterstützung der notleidenden Bevölkerung einsetzten, war überschaubar. Einer von ihnen war der frühere Nuntius von Deutschland, Papst Pius XII., dem es ein großes Anliegen war, die Deutschen zu unterstützen und eine Päpstliche Mission auf deutschem Boden ins Leben zu rufen, um Hilfsgüterverteilungen umsetzen zu können. Ein weiterer Unterstützer der Deutschen war der Erzbischof von Chigago, Samuel Stritch. Schon in den 20er Jahren war der Erzbischof von Chicago, Samuel Stritch, auf Muench aufmerksam geworden. Beide bewegte die soziale Frage. Als Stritch 1946 zum Kardinal ernannt wurde und aus diesem Grund nach Rom reiste, nahm er Muench mit. Gegenüber dem Papst drängte Stritch darauf, den diplomatischen Kontakt nach Deutschland nicht komplett abreißen zu lassen und die deutsche Bevölkerung zu unterstützen. Der letzte Nuntius Orsenigo war 1946 in Eichstätt gestorben, wohin er vor den Wirren des Kriegs in Berlin geflohen war.

Bei Papst Pius XII. stieß Kardinal Stritch mit seinem Anliegen auf offene Ohren. Doch „einfach so“ konnte in der damaligen Zeit auch ein Papst in Deutschland keine Fakten schaffen. Zwar war in Eichstätt auch nach dem Tod des Nuntius die Nuntiatur erhalten geblieben – für sich genommen schon ein starkes Zeichen der Verbundenheit. Doch die Ernennung eines neuen Nuntius war nicht möglich, solange kein als Staat anerkanntes Deutschland existierte. Schon recht früh hatten die US-amerikanischen Bischöfe sich bei ihren Gläubigen für humanitäre Hilfe und einen Geist der Versöhnung gegenüber den Deutschen stark gemacht und Hilfsgütersammlungen organisiert. So lag es auf der Hand, einen US-amerikanischen Vertreter zu benennen. Papst Pius XII. erinnerte sich an Muench, den er in den 20er Jahren kennengelernt hatte und der nun 1946 im Gefolge von Kardinal Stritch wieder nach Rom gekommen war. Im Sommer 1946 kam Muench in Deutschland an und verteilte im Namen des Heiligen Stuhls bis 1949 insgesamt die Ladung von 950 Güterwaggons mit Hilfsgütern für die deutsche Bevölkerung. Muench hatte sich in der Nähe von Frankfurt niedergelassen, um einen „kurzen“ Dienstweg mit der amerikanischen Verwaltung zu haben. Er richtete sich in Kronberg im Taunus ein und war damit auch in unmittelbarer Nachbarschaft zu Königstein, das sich in der gleichen Zeit zu einem Zentrum der Priesterausbildung und Hilfe für die Vertriebenen entwickelte. Seinen sudetendeutschen Wurzeln gab er Gesicht und Stimme, indem er bei allen sudetendeutschen Priestertreffen in Königstein dabei war. Von Kronberg aus organisierte er die Verteilung der vatikanischen Hilfsgüter. Seine offizielle Zuständigkeit galt laut seinen von den US-Amerikanern ausgestellten Papieren den „displaced persons“ – Zwangsarbeitern, die zurück in ihre Heimat wollten.

Muench hatte immer von seinen Vettern gesprochen, wenn er von den Deutschen sprach. „Ich bin einer von euch“, das war sein Empfinden und so ging er auch auf die Leute zu. Unermüdlich setzte er sich in den USA, wo ja viele deutsche Wurzeln hatten, und bei den zuständigen Besatzungsbehörden für einen Geist der Versöhnung und eine Ermöglichung eines echten Neuanfangs für einen deutschen Staat ein. Er scheute auch nicht das klare Wort und warnte die Besatzermächte davor, ihrerseits im Umgang mit den Deutschen das gleiche Unrecht zu begehen, das diese verübt hatten. Eindringlich mahnte er, sich nicht in einer „Siegerjustiz“ zu verlieren. So hatte er sich für Alfred Krupp eingesetzt, der dann schließlich 1951 auch begnadigt worden ist. Sein Einsatz für Deutschland und die Deutschen hatte einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Ihn als einen der Gründerväter der Bundesrepublik zu bezeichnen, mag ungewohnt klingen, hat aber durchaus einen Hintergrund.

1949 durfte die junge Bundesrepublik noch keine diplomatischen Beziehungen aufbauen. Daher konnte es weiter keinen Nuntius geben. Dennoch kümmerte sich Muench um die Geschäfte der Nuntiatur, die weiterhin in Eichstätt existierte. Papst Pius XII. ernannte ihn zum Erzbischof und zum „Regenten der Apostolischen Nuntiatur in Deutschland“. 1951 durften dann schließlich wieder diplomatische Beziehungen aufgegriffen werden – sogleich erfolgte die Ernennung Muenchs zum „Nuntius in Deutschland“. Die fehlende Differenzierung zwischen Ost- und Westdeutschland zeigte den Anspruch des Vatikans auf, aber auch seine Haltung im Hinblick auf die Nicht-Anerkennung der deutsch-deutschen Teilung, was in der DDR sofort zu einem Aufschrei der Empörung führte. Das Verhältnis blieb angespannt. Bis zu seiner Abberufung 1959 durfte Muench nur zweimal kurz in die DDR einreisen. Mit seiner Ernennung siedelte Muench die Nuntiatur nach Bad Godesberg um. Traditionell ist der Nuntius der „Doyen“ des diplomatischen Korps, was wiederum zahlreiche Aufgaben mit sich brachte. Als Nuntius war Muench ein echter Quereinsteiger, ohne Ausbildung im diplomatischen Dienst. Doch seine Jahre in Deutschland hatten ihn wie keinen anderen auf die besonderen Herausforderungen vorbereitet.

Zu seinen Aufgaben gehörte auch die Klärung der rechtlichen Grundlage des Verhältnisses der katholischen Kirche zum neuen Staat – es ging um die Konkordate. Während das Bayern-Konkordat von 1924 direkt in die neue Landesverfassung Bayerns aufgenommen wurde, hing mit dem Untergang Preußens das Preußen-Konkordat von 1929 gewissermaßen „in der Luft“. Dass die dort getroffenen Vereinbarungen bis heute für die Bistümer auf dem ehemals preußischen Territorium gelten, ist ein Verdienst von Alois Muench. Noch wichtiger war, dass das Reichskonkordat von 1933 vom Bundesverfassungsgericht Mitte der 50er Jahre als weiterhin gültig anerkannt worden ist.

1959 wurde Muench schließlich abberufen und in Rom zum Kardinal ernannt. Die Jahre unermüdlichen Einsatzes hatten ihn da schon gezeichnet. Er war am Ende seiner Kräfte. Er wirkte noch bei der Vorbereitung des Zweiten Vatikanischen Konzils mit, bevor er dann 1962 in Rom starb.

Prof. Samerski schloss seine detaillierten Ausführungen mit dem Hinweis, dass die Forschung zur Person Muenchs erst am Anfang stehe, aber es absolut wert sei, vertieft zu werden.

Claudia Kern

Veranstalter: Sudetendeutsche Heimatpflege, Ackermann-Gemeinde München u.a.