Aus dem Schatten treten und Leben gestalten. Ein Seminar zur Erinnerung an die jeweilige Gegenwart

Sie waren 5 Jahre alt oder 15, als sie 1945 oder 1946 aus den böhmisch-mährischen Landen vertrieben wurden. Oder sie wurden erst später als Kinder Vertriebener im damaligen Westdeutschland geboren: Ein Dutzend Männer und Frauen, die am Seminar „Schatten der Geschichte“ im Haus St. Johann in Brannenburg am letzten Septemberwochenende 2013 teilnahmen. Sie brachten sich und ihre Schicksale mit je unterschiedlichen Folgen ein, und so eröffneten alle für sich und füreinander Prozesse der Klärung erlebter und erlittener Traumatisierungen.

Veranstalter des Seminars waren die Ackermann-Gemeinde und das Sudetendeutsche Priesterwerk in Kooperation mit dem Visitator für die Seelsorge an den Sudetendeutschen, Institutionen also die seit vielen Jahren hochmotiviert teilnehmen an den Gestaltungsmöglichkeiten der menschlich–zwischenmenschlichen Folgen des Zweiten Weltkrieges.

Angeleitet und begleitet von der erfahrenen Psychoanalytikerin und Psychotherapeutin Dr. Astrid Feistel und vom katholischen Seelsorger Msgr. Karl Wuchterl öffneten sich die Seminarteilnehmer und Seminarteilnehmerinnen ihren erlebten, oft schmerzvoll erlittenen und im Erzählen vergegenwärtigten Erinnerungen – mancher Schmerz, manche schon vergessen geglaubte Wut, einiges an Ohnmacht und nicht gern erinnerter Hilflosigkeit brach sich Bahn ans Licht gleich gesinnter Schicksalsgefährten – auch dies machte die „langen Schatten“ bewusst.

Erlebnisse und Kränkungen, die so genannten Spätaussiedlern widerfahren waren, fanden auch ihren Raum bei diesem Angebot zur Klärung geschichtlich bedingter Lebensentwicklungen. Und auch das Schicksal großer Vereinzelung und Wut darüber, wie sie in Tschechien verbliebene Sudetendeutsche erlebt hatten, fand ins Wort.

Zugemutet haben sich die, die sich dem „Schatten der Geschichte“ zu stellen bereit waren, den Blick, den erbarmungslosen und deshalb auch so schmerzhaften Blick auf die eigene erlebte Geschichte. Und jede und jeder mutete sich im Erzählen des Erlebten Emotionen zu, die eigentlich zur Vergangenheit erklärt werden und nicht wieder lebendig werden sollten - auch wenn sie trotz allen zeitlichen Abstands bis in die Gegenwart prägend bleiben. Im aufmerksamen Zuhören auf die sehr unterschiedlichen Geschichten der anderen wurde allen – wieder – deutlich, dass und wie einzelne Geschichte teil hat an kollektiver Geschichte.

Aber so wichtig der ungeschönte Blick des Erinnerns zur Auf - und Abarbeitung belastenden Geschehens auch sein mag, bei diesem Wochenendseminar wurden die Teilnehmenden nicht im rückwärts gewandten Schauen belassen. Denn die große Versuchung, in Wut auf Geschehenes und in Rachegedanken für Erlittenes zu erstarren, würde Betroffene wahrscheinlich nur in nächste oder weitere Krisen stürzen. Dieser Gefahr gegensteuernd wurden die Seminarteilnehmer im Haus St. Johann immer wieder ermutigt, den Blick vom Erlebten abzuwenden, sich den nicht weniger prägenden Folgen zuzuwenden, diese auszuhalten, um dann auch Perspektiven und Kräfte zu erahnen - also befähigt zu werden, sich selbst zu befähigen, in neuer Freiheit und gegebenenfalls mit neu entdecktem Gottvertrauen zu bestehen.

So, wie das Dutzend zum Seminar „Schatten der Geschichte“ anreiste, so kamen sie nicht wieder in den Alltag zurück. Mindestens als Anstoß haben sie erlebt, sich nicht vom Blick auf Vergangenes gefangen nehmen zum lassen, sondern aus der oft verinnerlichten Haltung „Ich bin ein armes Opfer meiner Geschichte“ herauszutreten. Zuversichtlich gingen sie auseinander – mit dem herzlichen Wunsch nach weiteren Angeboten dieser Art für sich selbst und für andere.

Rudolf Josef Grüssinger

 

Die Einladung finden Sie hier.

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