Aussiger Sprachkurs bietet ganzheitlichen Blick auf Böhmen

Sommerakademie des Institutum Bohemicum der Ackermann-Gemeinde und der Aussiger Purkyně-Universität brachte wieder viele neue Eindrücke und Erkenntnisse.

„Eigentlich bin ich ja nach Aussig gekommen, um vor allem meine Tschechisch-Kenntnisse zu verbessern“, schilderte die in Ulm lebende Ingrid Scheib ihre Motive für ihre erstmalige Teilnahme an der Sommerakademie. „Erst während des Kurses habe ich gemerkt, dass mir die Kontakte und Informationen zur heutigen tschechischen Gesellschaft direkt noch wichtiger sind.“ Gerne gab die aktive Egerländerin zu, dass die 14 Tage der Sommerakademie ihre Ansicht über die Tschechen verändert haben. „Ich war überrascht, wie intensiv sich viele Tschechen um uns Sudetendeutsche und die Aufarbeitung unserer gemeinsamen Geschichte bemühen“, begründete Scheib diesen Sinneswandel. Dem Erst-Teilnehmer Wilfried Leitl hatte es vor allem das gemeinsame Singen tschechischer Lieder vor Unterrichts-Beginn angetan, während Hilde Wolf besonderen Wert auf die Früh-Andachten legte, die vom katholischen Pfarrer Markus Goller aus Fürth und seinem evangelischen Amtsbruder Michael Schleinitz aus Lohmen bei Dresden gestaltet wurden.

Gerade die Kombination aus Sprachkurs und Landeskunde macht den besonderen Reiz der Sommerakademi "Colloquia Ustensia" aus. Vormittags wird in fünf nach Vorkenntnissen gestaffelten Kleingruppen Tschechisch gebüffelt, und nachmittags geht es dann mit dem Bus auf Exkursion. Nach dem Abendessen folgt ein Vortrag mit anschließender Diskussion und gemütlichem Beisammensein. „Schön, dass dieses Konzept weiterhin so gut ankommt“, konstatierte Prof. Karl-Heinz Plattig, der den Kurs 1992 aus der Taufe gehoben und bis vor wenigen Jahren organisatorisch betreut hatte. Auch in diesem Jahr war er mit seiner Frau Gerda wieder unter den Teilnehmern und freute sich über etliche neue Gesichter.

Exkursionen führten die über 40 Teilnehmer in diesem Jahr ins ehemalige Habsburg-Schloss Ploskowitz/Ploskovice, in einen Weinbau-Betrieb in Kramitz/Chrámce, in die neue Ausstellung zum verschwundenen Benediktinerkloster im Stadtmuseum von Teplitz-Schönau/Teplice und in das beeindruckende, aber inzwischen leider leer stehende Kloster Ossegg/Osek.

Bei den Abendveranstaltungen kamen diesmal besonders die Familienforscher unter den Teilnehmern zu ihrem Recht. Markéta Vladyková vom Staatsarchiv Leitmeritz/Litoměřice berichtete über ihre Einrichtung, die wegen der dort zentral gelagerten Kirchenbücher aus der ganzen Region sehr häufig von Sudetendeutschen genutzt wird, die auf der Suche nach ihren Ahnen sind. Lore Schretzenmayr ergänzte diesen Themenkomplex mit ihrem Vortrag über Tätigkeit und Angebote der Vereinigung Sudetendeutscher Familienforscher.

Petr Lozoviuk, ein tschechischer Volkskundler, der in Dresden forscht und lehrt, referierte über den Stand der deutschen Volkskunde in Böhmen. Leider ist es den Wissenschaftlern in der Vergangenheit auch in diesem Bereich eher darum gegangen, die Unterschiede zu den Tschechen heraus zu arbeiten, während die Gemeinsamkeiten eher zu kurz kamen. Veronika Dudková aus Prag berichtete von ihrer Arbeit als Übersetzerin des Buches „Goethe in Böhmen“ von Johannes Urzidil ins Tschechische. Viele Teilnehmer erfuhren hier zum ersten Mal, wie viele Überlegungen und oft auch Recherchen notwendig sind, um einzelne Formulierungen oder Begriffe korrekt in eine andere Sprache zu übertragen. Vladimír Kaiser erzählte in seiner unnachahmlichen Art von einer Pilgerreise von Aussig in die Slowakei und zeigte eindrucksvolle Bilder dazu. Vor allem die Aufnahmen aus Sudeten-Schlesien zeigten eine Kulturlandschaft, die viele Zuhörer noch nicht kannten –  leider aber auch viele verwahrloste Dörfer und Häuser. Seltene und geschützte Pflanzen aus dem Böhmischen Mittelgebirge brachte Karel Nepraš vom Museum Leitmeritz/Litoměřice den Teilnehmern näher und machte damit deutlich, welche Schätze die Natur in dieser Region birgt.

Um die Kulturpflanze Hopfen ging es beim Vortrag von Thomas Janschek. Der Hopfen-Fachberater war mit Frau und Töchterchen eigens aus der Hallertau angereist, um auf die Samstags-Exkursion nach Saaz/Žatec einzustimmen. Dort stand der Besuch des neuen europäischen Hopfenbau-Museums im Mittelpunkt des Besichtigungs-Programms.

Wie in jedem Jahr kamen auch die Wanderfreunde unter den Kursteilnehmern auf ihre Kosten. Kristina Kaiserová, international renommierte Historikerin und Leiterin des slawisch-germanischen Instituts an der Aussiger Universität, übernimmt mit ihrem Team nicht nur alljährlich die aufwendige Vorbereitung und Durchführung des Programms, sondern bietet an freien Nachmittagen kleine Wanderungen in die herrliche Umgebung Aussigs an. Für den harten Kern der Wanderer gibt es traditionell am freien Sonntag die Gelegenheit, unter Führung des stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Ackermann-Gemeinde Herwig Steinitz einen markanten Gipfel des Böhmischen Mittelgebirges zu erklimmen. Diesmal war der Milleschauer an der Reihe, mit 836 Metern der höchste Berg dieser Region.

„Eine Erholung war das nicht“, stellte Dieter Kutschera aus Kottingbrunn in Niederösterreich am Ende des Kurses fest. Gemeinsam mit Ehefrau Herta und Hund war der SLÖ-Bundesobmann-Stellvertreter von einem Aufenthalt in seinem Geburtsort Warnsdorf erstmals zur Sommerakademie angereist und hatte sich mit viel Elan mit den Grundlagen der tschechischen Sprache auseinander gesetzt. Auch Kutschera lobte die Vielseitigkeit des Programms, das jedem Teilnehmer eine Menge neuer Eindrücke und Erfahrungen vermittelte. Er stellte aber auch fest, dass die dicht gedrängte Abfolge kaum Zeit zum Luft holen lässt.

Nach einem lustigen Bunten Abend, der von unterschiedlichsten Beiträgen aus dem Teilnehmerkreis geprägt war, hieß es Abschied nehmen. Die Heimreise zerstreute die Teilnehmer wieder in alle Winde, aber die Termine für ein Wiedersehen stehen schon im Kalender. Für den 1. bis 3. April 2011 ist ein Zwischentreffen in Dresden geplant, und der nächsten COLLOQUIA USTENSIA werden vom 21. August bis zum 3. September stattfinden. Bei beiden Terminen sind auch neue Interessenten herzlich willkommen! Weitere Informationen erhalten Sie rechtzeitig auf der Internetseite der Ackermann-Gemeinde sowie bei Herrn Christoph Lippert (Münchauracher Str. 18, 91074 Herzogenaurach, Telefon 09132/9700, e-Mail info(at)lti-training.de

Erholung mit herrlichem Blick: Die Aussiger Ferinandshöhe.