„Bitte den Krieg und die Menschen nicht vergessen!“

Kultur-Zoom der Ackermann-Gemeinde über die Schwarzmeer-Stadt Odessa

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine ist auch die im Süden der Ukraine gelegene Hafenstadt Odessa angesichts von Raketenangriffen bzw. Hafenblockaden immer wieder im Blick der Weltöffentlichkeit. Diese von mehreren Kulturen geprägte Stadt stellte beim jüngsten Kultur-Zoom der Ackermann-Gemeinde die Journalistin und Bloggerin Ira Peter unter dem Titel „Odes(s)a im 20. Jahrhundert: Schmelztiegel der Kulturen am Schwarzen Meer im Wandel“ den an 54 Bildschirmen versammelten Mitgliedern und Freunden der Ackermann-Gemeinde vor.

 

Ein Präsenz-Vortrag zwei Wochen zuvor hatte Sandra Uhlich, die Moderatorin des Zooms, auf die Idee gebracht, Ira Peter auch zum anstehenden Kultur-Zoom der Ackermann-Gemeinde einzuladen – auch wenn es aktuell ein eher „kritischer und trauriger Blick ins Nachbarland“ sei.

Ira Peter wurde 1983 in der Sowjetrepublik Kasachstan geboren und kam 1992 mit ihrer Familie nach Deutschland. Wurzeln ihrer Großeltern finden sich seit ca. 1860 im Nordwesten der Ukraine, aber auch in anderen Regionen des damaligen Habsburger Reiches. Kurz ging Peter auf die Geschichte und das Schicksal der Russlanddeutschen (Deportationen unter Stalin) ein, ebenso auf die Russlanddeutschen aktuell in Deutschland. Sie studierte Literaturwissenschaften und Psychologie an den Universitäten Heidelberg und Nizza. Heute arbeitet sie als freie Marketingberaterin und Journalistin unter anderem für ZEIT online in Mannheim. Seit 2017 setzt sie sich öffentlich – in journalistischen Beiträgen, sozialen Medien, kulturellen Projekten in Deutschland und der Ukraine, im Aussiedler-Podcast „Steppenkinder“ (zusammen mit Edwin Warkentin) und als Rednerin bei Veranstaltungen – mit russlanddeutschen Themen auseinander. 2021 verbrachte sie fünf Monate als Stadtschreiberin des Deutschen Kulturforums östliches Europa in Odessa. Für den Blog, den sie in dieser Zeit führte, wurde sie im April 2022 mit dem Goldenen Blogger Award in der Kategorie „Newcomerin des Jahres“ ausgezeichnet.

„Ich wollte sehen, was die Großeltern beschrieben haben.“ Mit dieser Aussage begründete sie ihre erste Reise in die Ukraine im Jahr 2018 – trotz Krieg im Osten des Landes. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, lautete ihr damaliges Urteil, weshalb weitere Aufenthalte – unter anderem die fünf Monate im Jahr 2021 in Odessa – folgten. Zur Recherche für einen Familienroman wollte sie heuer erneut dorthin fahren, was aber kriegsbedingt nicht möglich war. „Odessa ist noch relativ frei von Schäden, aber Raketen fliegen, das Risiko ist immer da. Aber ich hoffe, dass ich bald wieder in diese wunderbare Stadt fahren kann“, gab sie eine aktuelle Einschätzung.

Odessa sei „eine besondere Stadt, nicht unbedingt ukrainisch“, deutet sie verschiedene Prägungen und Einflüsse an, die historisch auf der Zugehörigkeit zum Habsburger Reich beruhen. Viele Städte in Mittel- und Osteuropa werden bis heute von ihrer multinationalen Geschichte geprägt. Jede nationale Gruppe, die in Städten wie Odessa früher lebte oder heute noch lebt, prägt die Stadt auf ihre Weise. Einwanderer aus Italien, Bulgarien oder Deutschland formten die Stadt am Schwarzen Meer, die kulturellen Einflüsse sind bis heute etwa durch Denkmäler und Bauwerke erlebbar. Peter zeigte anhand von Fotos zahlreiche Beispiele: so etwa die „traumhafte“ Oper, „wunderschöne Hinterhöfe“ und Perspektiven auf das Schwarze Meer. Die Referentin gab einen Überblick über die Geschichte Odessas, verbunden mit Einflüssen von Personen aus verschiedenen Ländern und Regionen, aber auch mit Diktaturen und Massakern (1941 an Juden). Auch verwies sie auf eine hier entstandene spezielle russische Mundart, auf den besonderen Humor in Odessa, die Katzen und den Mythos der „Gaunerstadt“. Dass Italienisch einige Zeit hier sogar die zweite Amtssprache war, berichtete sie ebenso und unterstrich damit die Multiethnizität Odessas. Die Prägung der Küche durch vielerlei Einwanderergruppen erwähnte sie ebenso wie die Kirchengebäude unterschiedlicher Religionen – unter anderem auch deutscher Lutheraner. Mit vielen Zeitzeugen – Deportierte, Holocaust-Überlebende – hat Ira Peter gesprochen und daraus ein eindrucksvolles Bild insbesondere der jüngsten Geschichte gewonnen. „Der Krieg zerstört nachhaltig viel, was über Jahrhunderte gewachsen ist. Ich hoffe, dass Odessa unbeschadet bleibt“, fasste sie ihre Ausführungen zusammen.

Aktuell sind viele Denkmäler abgebaut oder mit Sandsäcken geschützt. „Den Krieg und die Menschen nicht zu vergessen“ lautete Peters inständiger Appell – auch um die vielfältige kulturelle Identität Odessas und der Ukraine zu wahren.

Markus Bauer

Ein Teil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer am jüngsten Kultur-Zoom der Ackermann-Gemeinde über die Stadt Odessa.
Die Referentin Ira Peter bei ihrem Vortrag.
Die Kulturarbeit der Ackermann-Gemeinde im Institutum Bohemicum wird gefördert durch das Bayerische Staasministerium für Familie, Arbeit und Soziales.