Botschafter der Versöhnung: Msgr. Anton Otte feiert 75. Geburtstag

Versöhnung ist das Lebensthema von Msgr. Anton Otte. Dass er heute in Deutschland wie in Tschechien hohes Ansehen genießt, ist dabei keine Selbstverständlichkeit. Allzu oft stieß er in den vergangen Jahrzehnten bei Tschechen wie bei Sudetendeutschen auf Ablehnung, wenn er für gegenseitiges Verständnis warb. Die Rolle als Botschafter der Versöhnung ist ihm jedoch durch seine Biographie und durch sein Selbstverständnis als Priester auf den Leib geschrieben. So ging er seinen Weg unbeirrt. Am 15. August feiert der ehemalige Geistliche Beirat der Ackermann-Gemeinde und heutige Probst vom Vyšehrad in Prag seinen 75. Geburtstag.

Anton Otte wurde am 15. August 1939 im schlesischen Weidenau (Vidnava) geboren. Zu Kriegsende musste er als Kind erleben, wie sein Vater von einem tschechischen Gericht zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Ein schwerer Schlag für die Familie, die nach 1945 zunächst nicht vertrieben wurde und als deutsche im neuen tschechischen Umfeld unter Schikanen litt. In dieser Zeit erlernte Otte die tschechische Sprache. Damals sei er trotz alledem zu einem „Böhmen“, zu einem „tschechischsprachigen Deutschen“ geworden, berichtet Otte, da ihm viel „an der Zweisprachigkeit und den zweierlei Kulturen“, in denen er sich wohl fühlte, lag. 1960 dann verließ er mit seiner Familie als Spätaussiedler die kommunistische Tschechoslowakei, da er wegen der Einstellung seiner Familie zum herrschenden System nicht zum Theologiestudium zugelassen wurde. Im Westen studierte er Theologie in Königstein, Wien und Bamberg und wurde 1967 in Bamberg zum Priester geweiht. Nach Stationen als Kaplan, Jugendseelsorger und Gymnasiallehrer war er als Dekan im Strafvollzug seelsorgerisch tätig.

Nach der Wende kehrte Otte 1991 in seine Heimat zurück und leitete in Prag die neu geschaffene Arbeitsstelle der Ackermann-Gemeinde. Seither vertritt er dort die Ackermann-Gemeinde. Einige Jahre war er dort im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz zusätzlich für die deutschsprachige Seelsorge verantwortlich. Viel war er seitdem im gesamten Land unterwegs, feierte Gottesdienste, predigte und warb für gegenseitiges Verständnis und für Versöhnung. „Wir müssen gefühlvoll miteinander umgehen,“ mahnte er dabei. Gerade in der aufgeheizten Stimmung der 1990er Jahre war die vermittelnde Rolle Ottes von großer Bedeutung. In Interviews mit tschechischen Medien wies er auf das erlittene Schicksal der vertriebenen Mitbürger deutscher Nationalität hin und warb für Empathie. Mit der tschechischen Studentengruppe Antikomplex war er viele Jahre an tschechischen Schulen unterwegs, um jungen Menschen von der leidvollen deutsch-tschechischen Geschichte, die auch seine eigene Lebensgeschichte ist, zu erzählen. „Er hat uns das Thema der deutsch-tschechischen Versöhnung ganz persönlich durch die eigene Geschichte eröffnet“, so Ondřej Matějka, der längjährige Leiter von Antikomplex. Dabei sei er stets „mehr als ein Zeitzeuge“ gewesen. Er habe Antikomplex geholfen, „das auf den ersten Blick politische Thema zu einem persönliche und gar intimen Auftrag für einen jeden von uns zu machen“, blickt Matějka zurück. Als Seelsorger, die einzelnen Menschen und ihre Schicksale im Blick, war und ist er auch in Deutschland bei Wallfahrten und Gottesdienste ein gefragter Priester und seelsorglicher Begleiter.

Die Versöhnungsarbeit der Ackermann-Gemeinde hat er seit Jahrzehnten an vielen Stellen verantwortlich mitgetragen. So war er neben Funktionen im Bamberger Diözesanverband und in der Jungen Aktion der Ackermann-Gemeinde von 1992 bis 2010 Geistlicher Beirat der Ackermann-Gemeinde auf Bundesebene. Die Ackermann-Gemeinde ehrte Otte im Juni 2011 mit ihrer höchsten Auszeichnung, der Versöhnungsmedaille im Gedenken an Hans Schütz. Für den Bundesvorsitzenden der Ackermann-Gemeinde Martin Kastler steht Otte seit Jahren für Dialog und Versöhnung. Diesen habe er schon in einer Zeit geführt, als die Fronten zwischen Deutschen, insbesondere Sudetendeutschen und Tschechen noch verhärtet waren, hebt der ehemalige Europaabgeordnete hervor. „Mit seinem Engagement hat er die Basis dazu mitgeschaffen, dass sich das bayerisch-tschechische Verhältnis in letzter Zeit so positiv entwickeln konnte“, würdigt der Bundesvorsitzende den Repräsentanten seiner Gemeinschaft in Prag. Der tschechische Kulturminister a.D. und ehemalige Vorsitzende der tschechischen Sdružení Ackermann-Gemeinde Jaromír Talíř betont: „Trotz aller Schicksalsschläge hat er sich nicht von seiner Heimat abgewandt, sondern intensiv an der deutsch-tschechischen Aussöhnung gearbeitet.“

Seit 2001 gehört Otte auch dem Königlichen Kollegiatskapitel St. Peter und Paul auf dem Vyšehrad zu Prag an, zu dessen Dekan er 2009 gewählt wurde. Im Oktober 2011 stieg Msgr. Otte zum Probst auf. Damit stand nach mehr als 150 Jahren wieder ein Deutscher dem Vyšehrader Kapitel vor. Kardinal Duka betonte damals, die Wahl Ottes sei ein Zeichen an die deutschen Landsleute „nach den Jahren der Versöhnung und der neuen Zusammenarbeit“. Otte selber sah diese Ernennung „als ein Zeichen, dass unsere Bemühungen um die deutschen-tschechischen Beziehungen gefruchtet haben.“ Für Duka ist Otte „einer von den böhmisch-mährisch-schlesischen Gestalten alten Formats“ und er sei nicht mehr wegzudenken. „Er gehört zu der Generation, welche die geschichtlichen Ereignisse und deren Folgen zutiefst und schmerzlich getroffen haben. Aber er sieht die Versöhnung als den einzigen Ausweg für eine unbelastete Zukunft.“

Doch nicht nur in der Kirche genießt der Geistliche hohes Ansehen. Für sein Wirken wurde er auch mehrfach von staatlicher Seite geehrt. 1996 zeichnete der tschechische Präsident Václav Havel Otte mit dem Masarykorden aus und 1997 erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Im vergangenen Jahr verlieh ihm der Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer den Bayerischen Verdienstorden. In der Begründung hieß es treffend: „Durch seine Herkunft und seinen Lebensweg ist Anton Otte sozusagen eine lebendige Verkörperung der Aussöhnung zwischen Deutschen und Tschechen.“

Dass seine Meinung und sein Wirken weiter hoch geschätzt werden, zeigte auch jüngst der Besuch von Bundespräsident Gauck in Prag. Das deutsche Staatsoberhaupt kam auf den Vyšehrad, auf dem Otte ihn als Gastgeber begrüßte und durch die Basilika führte. Auch bei einem Expertengespräch zur Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte mit dem Bundespräsidenten war er ebenso selbstverständlich dabei wie dem Staatsbankett auf der Prager Burg und dem Empfang in der Deutschen Botschaft.

Mit dem 75. Geburtstag hat Otte den kirchlichen Bestimmungen folgend seinen Rücktritt als Vyšehrader Probst eingereicht. Der Prager Erzbischof Kardinal Dominik Duka hat bereits signalisiert, dass er diesen jedoch nicht umgehend annehmen wird. So wird Otte dieses ehrenvolle Amt noch einige Zeit ausfüllen. Auch wenn er dann einmal als Probst abdankt, wird er weiter in Deutschland und Tschechien zuhause sein. So plant er zwischen dem oberfränkischen Heiligenstadt und Prag zu pendeln. Ganz im Sinne seines bisherigen deutsch-tschechischen Engagements.

 

Matthias Dörr

Msgr. Anton Otte