"Den Eisernen Vorhang in den Köpfen überwinden" als bleibende Aufgabe der Ackermann-Gemeinde

Der jüngste themenzoom der Ackermann-Gemeinde an Mariä Lichtmess konnte einen neuen Teilnehmerrekord vermelden: 94 Computer mit weit über 100 Interessenten schalteten sich zu. Diese hohe Zahl liegt natürlich auch am Thema: denn es war sozusagen die nachgeholte Würdigung des 75-jährigen Jubiläums der Ackermann-Gemeinde. Dieses beleuchtete der Journalist und Doktorand Niklas Zimmermann unter dem Titel „75 Jahre Ackermann-Gemeinde. Zeitgeschichtliche Beobachtung“.

Am 13. Januar 2021 wurde die Ackermann-Gemeinde 75 Jahre alt. Das Jubiläum konnte nicht am Gründungstag mit der Teilnahme an der Wallfahrt in Philippsdorf/Filipov gefeiert werden. So entstand die Idee, es beim Themenzoom aufzugreifen. Referent war der bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung tätige Deutsch-Schweizer Niklas Zimmermann.

Der in Basel und Bern aufgewachsene 31-jährige Doktorand bei Professor Dr. Martin Schulze Wessel an der LMU München bearbeitet in seiner Dissertation die Thematik „Vertriebene Katholiken zwischen ‚sudetendeutscher Volksgruppe‘ und deutsch-tschechischer Verständigung". Das heißt, Zimmermann beleuchtet das Wirken der Ackermann-Gemeinde in den Jahren von 1946 bis 2004. Hierzu hat er intensiv im Archiv der Ackermann-Gemeinde sowie in weiteren Archiven in Deutschland und Tschechien geforscht und ergänzend Interviews geführt. Zuvor studierte er an der Universität Freiburg/Fribourg Zeitgeschichte und Osteuropastudien und lernte studienbegleitend Tschechisch und Russisch. Im Rahmen eines Erasmus-Studiums in Graz lernte Zimmermann Menschen aus Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Kroatien kennen, womit sein Interesse an Mittel- und Osteuropa wuchs – bis zum Studium war dies bei ihm nur wenig ausgeprägt, auch wenn eine Tante von ihm – Ute Trimpert – im Vorstand der Jungen Aktion Hessen aktiv war. Im Jahr 2012 machte er bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Prag ein halbjähriges Praktikum, das für ihn fast ein wenig prägend war. „Ich war beeindruckt vom entspannten Verhältnis vieler Nachfahren der Sudetendeutschen“, erklärte er in seinen Einleitungsworten. Als er dann im Herbst 2015 eine Ausschreibung der LMU München las, erinnerte er sich wieder an die Ackermann-Gemeinde, las sich in die Thematik ein und fand schließlich sein Sujet für die Doktorarbeit. Zimmermann ist außerdem journalistisch und publizistisch tätig. So hatte er Hospitanzen bei der „SonntagsZeitung“ in Zürich und der Tageszeitung „Der Bund“ in Bern, verfasste bis zum März 2019 eine „PragerBlog“ zum Zeitgeschehen in der Tschechischen Republik und lieferte Beiträgen für das deutschsprachige „LandesEcho“ in Prag. Seit April 2019 ist Volontär bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Natürlich erinnerte Zimmermann an den 13. Januar 1946, als sich im Münchner Adelgundenheim etwa 60 Frauen und Männer trafen – wohlgemerkt während noch die Vertreibungen in vollem Gang waren. Besonders das von Pater Paulus Sladek zu diesem Anlass erarbeitete Gebet, ein „Vertriebenengelöbnis“, mit dem deutlichen Verweis auf die eigene Schuld nannte der Referent und zitierte daraus einige Passagen. „Der 13. Januar 1946 gilt zwar als Gründungstag, aber es war eine zwei Jahre dauernde Phase, bis die Ackermann-Gemeinde richtig existierte“, fasste Zimmermann die erste Zeit zusammen.

Als nächstes einschneidendes Datum führte er den 5. August 1955 an, als Pater Paulus beim Treffen der Ackermann-Gemeinde nahe der Grenze zu Böhmen bei Haidmühle in seiner Predigt feststellte, dass „sich die Deutschen an den Tschechen schuldig gemacht haben“ – auch schon vor 1945. Dieser Gedanke, dass Sudetendeutsche selbst schuldig waren, sei – so Zimmermann – damals „revolutionär“ gewesen, aber auch eine zentrale Basis für sie sudetendeutsch-tschechische Versöhnung. Wichtig sei damals aber auch gewesen – und das war Aufgabe des damaligen Bundesvorsitzenden Hans Schütz – die Verbindung zur Sudetendeutschen Landsmannschaft zu wahren. Heiße Diskussionen habe es damals um die Bedeutung und Wirkung des Münchner Abkommens von 1938 gegeben, so der Referent.

Ein weiterer Sprung führte in die späten 1960er Jahre, als die Jugend in der Ackermann-Gemeinde vom Heimat-Thema abwich und stattdessen die „Osthilfe“ für die ČSSR und die Zusammenarbeit mit dem tschechischen Exil als Aufgabenbereiche einbrachte.

Als für die unmittelbaren Jahre nach der Wende überaus bedeutend nannte Zimmermann die Symposien in Iglau/Jihlava. Diese hätten die Funktion gehabt, mit der Vergangenheit und der Vertreibung, einschließlich der Vorgeschichte, so umzugehen, dass die Geschichte die zukünftigen Beziehungen zwischen Deutschen und Tschechen nicht übermäßig belastet. Intention der Verantwortlichen mit dem damaligen Generalsekretär der Ackermann-Gemeinde Franz Olbert an der Spitze sei es gewesen, „nicht eine schmale, fortschrittliche Elite einzuladen, sondern eine möglichst offene und breite Debatte zu führen“, so der Vortragende. Dazu hätten zum Beispiel der Historiker und Politikwissenschaftler Rudolf Hilf auf deutscher und der Politikwissenschaftler Dalibor Plichta auf tschechischer Seite beigetragen. Doch es sei bisweilen auch zu heftigen Streitigkeiten gekommen, etwa zwischen dem tschechischen Politologen Bohumil Doležal und dem Historiker Jan Křen, der auch Vorsitzender der Tschechischen Sektion der Deutsch-Tschechischen Historikerkommission war, über die Vertreibung der Sudetendeutschen. Dies habe sich auch in den Medien niedergeschlagen und dann dazu geführt, dass die Veranstalter, die Ackermann-Gemeinde und die Bernard-Bolzano-Stiftung, einige Jahre auf ein gemeinsames Abschlussdokument verzichtet haben.

„Nicht die Iglauer Gespräche führten zur Entspannung des Verhältnisses, sondern einen entscheidenden Anteil hatte der EU-Beitritt Tschechiens am 1. Mai 2004“. Mit dieser Feststellung leitete Zimmermann seinen letzten Abschnitt ein. Mit diesem Ereignis seien einige bisherige sudetendeutsche Inhalte und Positionen relativiert worden. Dennoch wies er der Ackermann-Gemeinde und ihren Aktivitäten eine wichtige Rolle zu. „Die politische Geschichtsschreibung gesteht nun den nicht politischen Akteuren eine Bedeutung zu. Die Ackermann-Gemeinde hat auf lange Sicht Positionen mehrheitsfähig gemacht, die heute im deutsch-tschechischen Verhältnis nicht mehr in Frage gestellt werden“, fasste der Referent zusammen und betonte erneut die schon von Pater Paulus gestellte „Frage nach der Schuld der Sudetendeutschen“.

In der Diskussion verdeutlichte Zimmermann, dass die Arbeit der Ackermann-Gemeinde in den 1960er und 1970er Jahren bei den Machthabern in der Tschechoslowakei durchaus bekannt und als für sie gefährlich eingeschätzt wurde, was die Bespitzelung führender Leute der Ackermann-Gemeinde durch die Staatssicherheit beweist. Die Frage von Prof. Dr. Bernhard Dick, ob die weltkirchliche Einbindung der Ackermann-Gemeinde ein Vorteil gewesen sei, bejahte der Referent und ergänzte, dass besonders die Jugend im Verband die Inhalte des Zweiten Vatikanischen Konzils umsetzen wollte. Prof. Dr. Barbara Krause vertiefte dies – es sei in jener Phase in erster Linie um das Interesse an den Menschen gegangen. „Diese Art des Zugangs machte eine Mitarbeit für Leute nicht sudetendeutscher Herkunft leichter: den Nachbarn und dessen Probleme neu kennenlernen“, so das Bundesvorstandsmitglied. Und vor diesem Hintergrund hätten dann auch historische Fakten besser aufgearbeitet werden können. Den Aspekt der Bildungsarbeit in der Ackermann-Gemeinde brachte Benedikt Peter ins Spiel, die Bedeutung des Jahres 1968 mit dem Prager Frühling Prof. Dr. Burkard Steppacher in die Diskussion. Zum letzteren Aspekt erwähnte Zimmermann, dass 1969 die Junge Aktion die Zusammenarbeit mit jungen Leuten in der ČSSR forderte. Zum Thema „Bildung“ verwies er auf die Herkunft Pater Paulus’ aus der katholischen Jugendbildung und auf Prof. Dr. Ernst Nittner, der die historische Bildung immer wieder anmahnte. Auf die weit über das Thema von Zimmermanns Dissertation hinausgehende Tätigkeit der Ackermann-Gemeinde machte schließlich Dr. Otfrid Pustejovsky aufmerksam.

Zum Abschluss der Diskussion fragte Michael Feil den Referenten, wo er in 25 Jahren die Ackermann-Gemeinde sehe. Wichtig für Zimmermann ist zum einen, dass „motivierte junge Leute aus der Jungen Aktion nachkommen“ und die Ackermann-Gemeine ein Träger der Interessen an Mitteleuropa bleibt. „Es gibt immer noch einen Eisernen Vorhang im Kopf – das muss nicht sein“, deutete er ein weiteres Betätigungsfeld des Verbandes an.

„Hinhören ist angesagt“ bei einer neuen Podcast-Reihe, die die Ackermann-Gemeinde zu ihrem Jubiläum gestartet hat. Für diese warb zum Abschluss Moderator Karlitschek. Unter dem Titel „Siebeneinhalbmal Ackermann-Gemeinde“ blicken in Gesprächen Historikerinnen und Historiker sowie Expertinnen und Experten aus Deutschland und Tschechien auf die Geschichte der Ackermann-Gemeinde. Karlitschek wies darauf hin, dass von den insgesamt acht geplanten Audiobeiträgen bereits zwei im Internet veröffentlicht wurden. In diesem kommen als Zeitzeuge Dr. Otfrid Pustejovsky und der Referent des Themenzooms Niklas Zimmermann zu Wort.

Markus Bauer

Niklas Zimmermann
Niklas Zimmermann zu dem Thema "75 Jahre Ackermann-Gemeinde. Zeitgeschichtliche Beobachtungen" zu Gast beim themenzoom am ersten Dienstag im Februar
Ein Teil der weit über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Prof. Dr. Bernhard Dick
Startete den Diskussions- und Fragenteil: Prof. Dr. Bernhard Dick
Blick auf einen Teil der zugeschalteten Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Prof. Dr. Burkard Steppacher
Prof. Dr. Burkard Steppacher bei seinem Diskussionsbeitrag
Benedikt Peter
Zu Wort meldete sich auch Benedikt Peter.
Podcast der Ackermann-Gemeinde
Ein neuer Podcast, verfügbar u.a. auf anchor.fm/ackermann-gemeinde, beleuchtet die Geschichte der Ackermann-Gemeinde.