Dialog von Spiritualität und Gesellschaft damals und heute

Über der deutsch-tschechischen Konferenz der Sdružení Ackermann-Gemeinde (SAG) am letzte Januar-Wochenende in Prag stand ein scheinbar slawisches Thema stand. Doch die Frage, wie steht es 1150 Jahre nach der Ankunft der Slawenapostel Cyril und Method um die Beziehung zwischen Christentum und Gesellschaft heute und in Zukunft, stellt sich in ganz Mitteleuropa. In der Zeit der dauernden Wirtschaftskrise treten immer häufiger Fragen nach dem Glaube und der Suche nach echten Werten in den Vordergrund. Über 140 Teilnehmer aus allen Teilen der Tschechischen Republik, aus Deutschland und der Slowakei konnten der Geschäftsführer Dr. Jan Heinzl und der Vorsitzende der SAG Jaromír Talíř, ehemaliger tschechischer Kulturminister, zu der dreitägigen Tagung begrüßen. Den religiösen Einstieg hielt der Geistliche Beirat der SAG, der Prämonstratenser-Pater Adrián Zemek.

An die Ernennung von Cyril und Method zu Patronen durch Papst Johannes Paul II. am Silvestertag 1980 erinnerte Matthias Dörr, Bundesgeschäftsführer der deutschen Ackermann-Gemeinde, in seinem Grußwort. Bei vielen in Deutschland habe damals abweisendes Erstaunen und eine gewisse Hilflosigkeit geherrscht. Die Ackermann-Gemeinde sei es gewesen, die damals schnell das Anliegen aufgegriffen und in der Bildungsarbeit umgesetzt habe. Das aktuelle Jubiläumsjahr zu Cyril und Method werde gemeinsam von deutscher und tschechischer Ackermann-Gemeinde begangen, sagte Dörr mit Blick auf weitere geplante Aktivitäten. „Die Slawenapostel können auch heute für uns eine wichtige Inspirationsquelle, beispielsweise für die Aufgabe der Neuevangelisierung, aber auch für unser Europaverständnis von der Einheit in der Vielfalt sein“, so Dörr. Auch sei dieses Jubiläum ein guter Anlass daran zu erinnern, „dass Europa aus West und Ost besteht, mit zwei Lungenflügeln atmet, wie es Johannes Paul II. formulierte.“

Über die Lage des Christentums in der Tschechischen Republik damals und heute referierte unter dem Titel „Dialog der Spiritualität und Gesellschaft: brauchen wir einen neuen Cyril und Method?“ der Universitätsdozent Msgr. Dr. Aleš Opatrný aus Prag. Die Kirche müsse die Bedürfnisse der heutigen Gesellschaft erkennen und sich zugleich als eine Kraft verstehen, die die Gesellschaft verbindet. Nach Ansicht Opatrnýs sei die Tschechische Republik nicht atheistisch. Es gebe dort, wie in ganze Europa, starke Einflüsse eines Kulturkatholizismus, welcher die christliche Ethik in sich trage. Eine missionarische Kirche müsse der heutigen Vielfältigkeit in der Gesellschaft gerecht werden. So müsse sich die Vorstellung von Mission mit der Zeit ändern, da sich auch die Stellung und Aufgabe der Kirche in der Welt verändert. Der deutschsprachige Seelsorger in Prag Pater Dr. Martin Leitgöb hob in der anschließenden von Pater Josef Hurt moderierten Diskussion die Bereitschaft der Kirche zum Lernen hervor. Er verwies darauf, dass Evangelisierung mit Selbstevangeliserung beginne. Außerdem forderte er die Kirche zu einer positiveren Sicht auf die Welt auf. Missionierung heiße für ihn „zu anderen Kulturen und Zeitströmungen zu sagen: Ihr fehlt uns!“. In diesem Sinne gelte es nach offenen Türen für das Evangelium zu suchen. In der Diskussion mit den Teilnehmern wurde die Notwendigkeit von Lernprozessen betont: Was bedeutet Lernen? Wie sieht der Lernprozess aus? Was ist das Ziel des Lernprozesses? Alle verschiedenen Aspekte konnten die aufgeworfenen Fragen zwar nicht abschließend beantworten, gaben jedoch bei allen Anwesenden Impulse zum Nachdenken. Es sei nicht notwendig, nach einem neuen Cyril und einem neuen Method zu suchen, sondern wichtig sei vielmehr, die Lehre des Evangeliums wieder zu entdecken in der heutigen Zeit, waren ein erstes Zwischenfazit des Freitagabends. Der erste Tag klang mit einer Videopräsentation der „Spirála“, des Jugendverbandes der Sdružení Ackermann-Gemeinde, aus. Von gemeinsamen deutsch-tschechischen Jugendprojekten mit der Jungen Aktion der Ackermann-Gemeinde an Ostern, im Sommer und an Silvester konnte das Vorstandmitglied Bára Sedláková ebenso berichten wie von ihrer eigene Tagung im Herbst 2012 in Želív/Seelau.

„Ohne Inkulturation sei Mission lediglich Indoktrination“, betonte der Prager Soziologieprofessor und Hochschulpfarrer Msgr. Dr. Tomáš Halík. Es sei ein Spezifikum der modernen europäischen Kultur, dass sich mit der Kirche und mit der säkularen Gesellschaft zwei Sphären herausgebildete hätten. Der säkulare Humanismus und das Christentum bräuchten sich gegenseitig, so Halík. „Glaube ohne Vernunft ist ebenso gefährlich, wie Wissenschaft ohne christliche Ethik und Werte.“ Halík, der zugleich Präsident der Tschechischen Christlichen Akademie ist und zu den engen Partner der Ackermann-Gemeinde gehört, zog auch einen Vergleich zwischen der Funktion der Kirche damals und heute: Früher diente sie als wichtiges Mittel, um gemeinsame Deutungsmuster zur Erklärung der Welt bereitzustellen, heutzutage übernähmen diese Aufgaben moderne Medien. Säkularismus und Christentum müssten Hand in Hand gehen. Zwar werde es nach Einschätzung von Halík hierbei immer eine gewisse Spannung geben. Es läge aber an ihnen, ob diese fruchtbar oder erschöpfend sei. Der Professor mahnte an, der Einsatz der Christen in Europa dürfe sich nicht auf Symbole konzentrieren. Die Hauptenergie solle vielmehr darauf liegen, „den Kern des Christentums zu entdecken und ins Leben der Menschen zu integrieren, damit man eine hörbare Stimme in Europa für Werte und Menschlichkeit“ werde, so Halík.

Die Mission und Inkulturation in Christentum und Islam untersuchte Professor Dr. Albert-Peter Rethmann, Hochschullehrer für Theologische Ethik an der Karlsuniversität Prag. Rethmann äußerte seine Überzeugung, dass sich die Form der heutigen Mission verändert habe. Die Missionsgeschichte sei eng verwoben mit der Kolonisationsgeschichte und habe die Freiheit oft missachtet. Das Wort Mission, so Prof. Rethmann, heiße Einladung und habe sich vom Recht der Wahrheit, welches auch mit Zwang durchgesetzt wurde, zum Recht der Person mit seiner Freiheit entwickelt. Der ehemalige Geistliche Beirat der Ackermann-Gemeinde zeigte sich überzeugt, dass christlicher Glaube kulturfähig sei. „Er zerstört keine menschliche Kultur und ist keine Gegenkultur“, betonte der Theologe. Verkündigung sei vom Kontext abhängig und daher „notwendigerweise dialogisch“. Außerdem führte er vergleichend den Missionsbegriff im Islam aus. Die folgende Diskussion unter der Moderation von Daniel Herman, dem Direktor des Instituts zur Erforschung der totalitären Regime, griff somit auch überwiegend die Beziehung zwischen Christentum und Islam auf. Dabei bestand Einigkeit über die zentrale Bedeutung des interreligiösen Dialogs. Dieser habe nicht das Ziel, sich gegenseitig zu überzeugen, sondern sich gegenseitig zu verstehen, stellte Rethmann fest. Für die Integration von muslimischen Migranten in Deutschland und anderen europäischen Ländern sei es von zentrale Bedeutung, dass islamische Theologie bei uns unterrichtet werde und so die Imame und Religionslehrer, die in Europa wirken, auch an europäischen Universitäten studiert haben können, so ein Diskussionsbeitrag aus dem Plenum. Es sei wichtig, Wege zueinander zu suchen und die Angst vor dem Verlust der eigenen Identität aus dem Weg zu räumen, denn diese führe zu einer Zunahme an Radikalismus auf beiden Seiten, wurde in der Diskussion angemahnt. Wir sollten uns um einen modernen demokratischen Islam bemühen, der für eine moderne muslimische Gesellschaft richtig wäre, uns aber auch bemühen die Muslime zu verstehen, wobei gegenseitige Toleranz sehr wichtig sei, unterstrich Halík.

Nach dem sonntägigen deutsch-tschechischen Gottesdienst in der Kirche St. Johann Nepomuk auf der Prager Burg fand die Konferenz ihre Fortsetzung im Erzbischöflichen Palais mit dem Thema „Von Pilger zum Glaubensboten: Wohin gehst du Mensch?“. Der Philosoph und Jesuit Prof. Dr. Ludvík Armbuster und der Geologe Dr. Václav Cílek diskutierten über Pilgerschaft und die Wege zum Glauben. Pilger sei jemand, der sich wünscht, verändert zu werden, folgerte Cílek aus eigenem Erleben. Professor Armbruster führte den Gedanken an, dass richtige Pilger keine Landkarten benützten. Denn Landkarten seien nur Spuren vergangener Geschichten und die Wirklichkeit beginne erst mit der eigenen Geschichte, so der Jesuit. Beide Gesprächspartner in der von Dr. Jan Stříbrný geführten Runde stimmten in der großen Bedeutung des „Versöhnens“ überein.

Besonders beeindruckende Erlebnisse hinterließ das Theaterstück „Der Fiedler auf dem Dach“ im Theater „Na Fidlovačce“, das die Teilnehmer am Samstagnachmittag besuchten. Dieses weltbekannte amerikanische Musical, welches im Deutschen unter dem Titel „Anatevka“ bekannt ist, schöpft aus einem jiddischen Roman des Schriftstellers Scholom Alejchem. Das friedliche Leben in dem ukrainischen Dorf in der vorrevolutionären Zeit um das Jahr 1905 gerät mehr und mehr aus den Fugen. Was sich in einem Pogrom ankündigt, gipfelt im Evakuierungsbefehl des russischen Zaren: Die jüdische Bevölkerung wird vertrieben. Als einer Gratwanderung zwischen Komik und Tragik, zwischen jüdischem Witz und zu Herzen gehender Traurigkeit war die Vorstellung mit den bekannten tschechischen Schauspieler Tomáš Töpfer und Eliška Balzerová in den Hauptrollen ein tief greifendes Erlebnis. Im Anschluss an die Konferenz führte am Sonntagmittag der persönliche Sekretär von Kardinal Duka, Pater Tomáš Roule, die Teilnehmer durch die historischen Räumlichkeiten des Erzbischöflichen Palais.

Die deutsch-tschechische Konferenz in Prag hat gezeigt: Die Diskussion über die Bedeutung des Christentums in der heutigen Zeit und die Suche nach zeitgemäßen Formen der Neuevangelisierung sind in Deutschland und Tschechien gleichermaßen aktuell. Die Slawenapostel Cyril und Method können auch heute noch als Inspiration dafür dienen. Der Sdružení Ackermann-Gemeinde hat zu Beginn des Jubiläumsjahres wichtige Impulse gesetzt. Ein guter Auftakt zu dem Gedenken an die Slawenapostel, das mit weiteren Aktivitäten der deutschen und der tschechischen Ackermann-Gemeinde eine Fortsetzung finden wird.

 

Kristína Brázdovičová/Veronika Tomsová

Die Referenten Prof. Halík und Prof. Rethmann<br /> (v.r.) stellten sich der Diskussion