„Die EU von heute ist keine erweiterte westeuropäische Union!“
Mit dem Bundestagsabgeordneten und ehemaligen Bundesminister Christian Schmidt war kein Unbekannter der Referent beim jüngsten Themen-Zoom der Ackermann-Gemeinde am Osterdienstag. Auf 78 Bildschirmen in mehreren Ländern verfolgten die Interessentinnen und Interessenten die Ausführungen des Außenpolitikers, der vor fünf Jahren bei der Feier zum 70-jährigen Jubiläum der Ackermann-Gemeinde die Festrede hielt. Diesmal, beim online-themenzoom, sprach er über „Neue und alte Fragen für die deutsche Außenpolitik - Deutschland in Europa und die Großmächte?“
Moderator Rainer Karlitschek wies in seiner Begrüßung und Einführung darauf hin, dass es den themen- und kulturzoom der Ackermann-Gemeinde nun ein gutes Jahr gibt und dabei aktuelle Inputs und interessante Themen vermittelt werden. Bezogen auf Schmidt rief er in Erinnerung, dass die Begegnungen mit ihm bis ins Jahr 1998 zurückgehen – bei der ersten Jahreskonferenz des deutsch-tschechischen Gesprächsforums in Dresden. Die Außenpolitik sei über die Jahre ein wesentliches Betätigungsfeld Schmidts gewesen und bis heute geblieben. Denn er ist Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages und Co-Vorsitzender des Beirates des Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums – und damit, so Karlitschek, „gut in deutsch-tschechische Themen involviert“. Neben europäischen Fragen widmet sich der CSU-Bundestagsabgeordnete den transatlantischen Entwicklungen. Von 2004 bis 2014 war Schmidt Landesvorsitzender des Arbeitskreises Außen- und Sicherheitspolitik (ASP) der CSU. Sicherheits- und Europapolitik wurden zu seinen Schwerpunkten. In den Jahren 2014 bis 2018 war er Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft.
Aus dem mittelfränkischen Fürth meldete sich Schmidt und zollte einleitend der Ackermann-Gemeinde seine Anerkennung. Sie habe in der deutsch-tschechischen Nachbarschaft „einen sehr starken Anteil an den Entwicklungen in den letzten 30 Jahren“. Er ergänzte, dass an dem Treffen 1998 auch Kurt Biedenkopf als damaliger Ministerpräsident des Freistaates Sachsen teilgenommen hat. „Wir leben außenpolitisch in sehr bewegten Zeiten – und in einer Zeit, die man sich vor 30 Jahren nicht vorstellen konnte“, schlug der Außenpolitiker die Brücke von damals zu heute. Oft habe man damals in der Politik gemeint, „es sei alles geklärt und es herrsche ewiger Friede“. Schmidt verwies auf Diskussionen mit dem späteren französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, der bekanntlich ungarischer Herkunft ist, und dessen europapolitischen Ansatz und auf den Grundsatz von Helmut Kohl, dass „Europa funktioniert, wenn alle die gleiche Stimme haben“. Aus diesen Betrachtungen zieht Schmidt den Schluss: „Deutschland muss sich immer um die mittleren und kleinen Staaten kümmern und mit ihnen austauschen.“ Dieses Konzept funktioniere gut, sei manchmal aber auch schwierig, so der Bundestagsabgeordnete. Bei der vieldiskutierten Verteilung der Impfdosen auf europäischer Ebene zeige sich dies aktuell, eben „auch die kleinen Mitgliedsstaaten mitkommen zu lassen“ – im Gegensatz etwa zu Amerika, wo auch unter Präsident Biden, zumindest bei der Corona-Impfung“, das Prinzip „America first“ weiterhin gilt. Ebenso nannte Schmidt eine zu Beginn der Pandemie auf Europaebene nicht geglückte Versorgung der italienischen Stadt Bergamo mit Schutzmasken, was dann Russland und China als Lieferanten ausgenutzt haben.
Angesichts der jüngsten weltpolitischen Entwicklungen, mit einem aufstrebenden China, einem erlebten Rückzug der USA, militärischen Aktionen Russland, dem Klimawandel und ethnische Konflikten, stelle sich die Frage, wohin sich Deutschland orientieren soll. Speziell gelte es, ein sinozentrisches Weltsystem zu verhindern. Die USA hätten mit dem neuen Präsidenten nun wieder einen engeren Kontakt zu Europa, zur NATO und zu den Partnerschaften, was Deutschland gemäß Schmidt unterstützen sollte. „Russland hat seinen Platz immer noch nicht gefunden“, analysierte der Außenpolitiker. Insgesamt müsse Deutschland „mehr in die transatlantischen Beziehungen investieren“ – auch in gemeinsame Handelsbeziehungen. Das Verhältnis Großbritanniens zur Europäischen Union beschrieb Schmidt als „halb drinnen, halb draußen. Die Briten müssen sich weiter stark an der EU orientieren“. Afrika sieht er als wichtigen Aspekt – auch mit Blick auf dort vorhandene Rohstoffe. Die Krisenherde werden für Schmidt in den nächsten Jahren vor allem in Asien liegen – im Kontext China. Nachdem Hongkong im Prinzip bereits in die Volksrepublik China inkorporiert ist, werde sich Taiwan „nicht schiedlich-friedlich in das kommunistische System Chinas einordnen“. Hier sei eine „kluge, abgestimmte Politik“ nötig.
Bestätigen konnte Schmidt, dass die diplomatischen Verbindungen in die USA nun wieder besser laufen würden, speziell bei den Republikanern schätzt er dies auf 50:50 ein. Trumps Bestreben, weiter eine wichtige Rolle in der US-Politik zu spielen, sieht Schmidt zwar, „im Augenblick gehen ihm aber die Argumente aus“, relativierte der Außenpolitiker. Er betonte zudem, dass im Kontext des Brexit Irland alleine durch die Geschlossenheit der übrigen EU-Länder seine Position habe behalten können. „Wir brauchen in Fragen der Außenpolitik und des Handels eine schnellere Gemeinsamkeit. Sonst habe ich die Sorge, dass wir in gewisser Weise eine Aufteilung Europas erleben.“ Damit kam er bei den Fragen der Zuhörer zu Mittel- und Osteuropa, das insgesamt „etwas anders tickt und andere Erfahrungswerte hat“. Grundsätzlich sei er ein Anhänger von „Visegrád +“ – Tschechien, Slowakei, Polen, Ungarn und, je nach Thema, ein oder mehrere weitere Staaten – , aber es sei auch Vorsicht geboten, dass keine Teilung entsteht. „Wir müssen auch sehen, dass die EU von heute keine erweiterte westeuropäische Union ist. Sie muss sich anders aufstellen. Schmidt verwies auf Fälle westeuropäischer Arroganz, die Interessenlagen seien unterschiedlich. Auch vor diesem Hintergrund plädierte Schmidt dafür, dass Deutschland ganz besonders mit den kleinen und mittleren Staaten zusammenarbeitet. „Ich sehe keine echte Spaltungsgefahr“, fasste er diesen Themenkomplex zusammen. Die Funktion des Motors in der EU weist Schmidt nach wie vor Deutschland und Frankreich zu, auch wenn die geostrategischen Vorstellungen der beiden Staaten unterschiedlich sind und so der „Motor ab und zu ins Stottern“ gerate.
Markus Bauer