Die Faszination der Bahn und deren Umfeld
Jaroslav Rudiš las beim Ackermann-Kulturzoom. Auch der Ukraine-Krieg war Thema
Auch von den aktuellen Ereignissen in der Ukraine beeinflusst war der jüngste Kulturzoom der Ackermann-Gemeinde am Abend des 1. März. Denn der Schriftsteller, Dramatiker, Journalist und Drehbuchautor Jaroslav Rudiš gab einen Einblick in seinen neuen Bestseller „Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen“, in dem er auch Bahnreisen in die Ukraine beschreibt. An 73 PCs und Telefonen dürften ihm ca. 100 Personen zugehört haben.
„Heute ist kein normaler Dienstag. Friede und Demokratie sind in Gefahr. Mit Angst blicken wir in die Ukrainer“, stellte Moderatorin Sandra Uhlich einleitend fest. Ihr Moderatoren-Kollege Rainer Karlitschek verwies auf das gemeinsame Statement der Ackermann-Gemeinde und der Sdružení Ackermann-Gemeinde zum Angriff von Putins Russland auf die Ukraine. Darüber hinaus sei jede kulturelle Veranstaltung – auch der Kulturzoom der Ackermann-Gemeinde – „ein Ausdruck der Freiheit“, so Karlitschek. Er empfahl daher, Bücher zu lesen, ins Theater, Kino, Kabarett und in Konzerte zu gehen. „Denn hier gibt es die Inhalte unzensiert. Auch das Lachen ist ein Ausdruck unserer Freiheit“, motivierte er.
Nach diesen dem aktuellen Geschehen gewidmeten Worten stellte Uhlich den Referenten kurz vor. Schon als Kind habe Rudiš den Wunsch gehabt, bei der tschechischen Eisenbahn zu arbeiten, was jedoch wegen seiner Sehschwäche nicht möglich wurde. Aufgewachsen am Kleinst-Bahnhof Lomnice nad Popelkou, studierte Rudiš Germanistik, Geschichte und Journalistik. Schon in seinem ersten Roman „Der Himmel unter Berlin“ von 2002 zeigt sich diese Schwäche fürs Zugfahren. Mit Alois Nebel schuf er einen weiteren Protagonisten mit der gleichen Liebe zur Bahn und arbeitet in dieser Grafic Novel von 2006 die dunkle Vergangenheit Mitteleuropas, den Zweiten Weltkrieg und die Vertreibung der Deutschen, auf. Bei aller Leichtigkeit spürt Rudiš den wichtigen Themen der Zeit nach und bringt sie in den gesellschaftlichen Dialog. Einige seiner Romane wurden auch verfilmt oder als Theaterstück auf die Bühne gebracht. Aktuell wird „Alois Nebel“ auf der Bühne des Theaters in Liberec/Reichenberg gespielt. Mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, wurde er erst im Oktober 2021 vom deutschen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als einer der engagiertesten Brückenbauer zwischen Deutschland und Tschechien mit dem Verdienstkreuz gewürdigt. Und der Autor fährt nicht nur gerne Zug, schon sein ganzes Leben lang. Er sammelt auch Kursbücher, alte Eisenbahnkarten und viele weitere Bahn-Utensilien und kennt die Namen von Zügen oder Lokomotiven auswendig. Dass sich seine Eltern in einem Zug kennengelernt haben, sei abschließend ebenfalls noch erwähnt.
Mit einer Passage aus der Einleitung seines Buches begann Rudiš seine Lesung bzw. seinen Vortrag, in der es auch um seine Sehschwäche ging und um den Wunsch, „sein ganzes Leben in blauer Uniform“ zu verbringen. In seinen erläuternden Ausführungen ging er unter anderem auf das noch von der österreichisch-ungarischen Monarchie ererbte Bahnnetz und die aus dieser Zeit stammenden Bahnhöfe ebenso ein wie auf nötige Modernisierungen. Als positiv bewertete er, dass in Tschechien nicht – wie etwa in Deutschland – so viele Strecken stillgelegt wurden. „Manche sind zwar in einem maroden Zustand, aber es wird Geld investiert. Die Eisenbahn hat in Tschechien einen höheren Stellenwert“, urteilte der Bahnkenner. Wobei er die Notwendigkeit von Strecken-Modernisierungen hervorhob und der Deutschen Bahn zugestand, dass diese „im Rahmen der Möglichkeiten vieles gut“ mache. Hier müsse noch mehr Druck auf die Politik ausgeübt werden.
Die nächste von Rudiš gelesene Textpassage handelte von einer Nachtfahrt im Zug nach Lwiw/Lemberg, denn auch die Region der heutigen Westukraine gehörte einst zum österreichisch-ungarischen Territorium. „Die europäische Geschichte der letzten 200 Jahre verbindet uns“, konkretisierte er. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg gab es beispielsweise eine Direktverbindung per Bahn von Wien nach Lemberg. Der Schriftsteller schwärmte von Bahnhofskneipen und von den schnellen Verbindungen etwa von Berlin über München und Bologna nach Rom. Mit Zügen kämen aber auch viele Flüchtlinge aus der Ukraine, andererseits würden in der Gegenrichtung auch Waffen aus Tschechien in die Ukraine transportiert. „Aktuell bin ich stolz auf mein Land und überrascht vom Zusammenhalt der Tschechen. Tschechien steht stark an der Seite der Ukraine, auch die tschechische Opposition hält zur Regierung“, äußerte sich Rudiš zu den tagesaktuellen Entwicklungen.
Fasziniert ist er bei seinen Bahnreisen quer durch Europa auch von den Espressobars nahe kleiner Bahnhöfe in Italien oder von europäischen Eisenbahnkarten, die in unterschiedlichen Kunstformen dargestellt sind. Aber auch weitere wissenswerte Fakten erwähnte Rudiš: andere Spurweiten der Bahn, die – aus historischen Gründen – unter anderem auch in Finnland verbreitet ist und weswegen Züge dann umgespurt werden müssen. Die Kenntnis der jeweils anderen Sprache bei Lokführern und Zugbegleitern in zwischen Deutschland und Tschechien verkehrenden Zügen. Oder die speziellen Gerüche etwa von Dampflokomotiven, wo sich Dampf, Öle, Fette und Kohle vermischen. Und dann geht es um Personen wie Pavel Peterka, der im Eurocity zwischen Hamburg und Prag als Chef im Speisewagen ein Aushängeschild für tschechisches Lebensgefühl ist. Eine gute Speisewagenkultur weist Rudiš auch den Bahnen von Österreich, Ungarn, Slowenien und der Slowakei zu. Aber auch bedrohliche Aspekte können bei Zugreisen dabei sein: die Fahrt von Prag nach Dresden führt über Theresienstadt!
Auf Rudiš’ Wunschzettel steht eine bessere Bahnverbindung zwischen Prag und München – am besten mit Speisewagen. Und die Stärkung des gesamteuropäischen Traums. „In Lemberg habe ich schon vor zwölf Jahren eine große Begeisterung für Europa erlebt“, blickte der Schriftsteller auf eine Lesung in der westukrainischen Stadt zurück. Mitteleuropa reicht für ihn bis zur Stadt Brody, die ca. 90 Kilometer nordöstlich von Lemberg liegt. „Viele Dinge – Kultur und Literatur – verbinden uns“, fasste Rudiš zusammen. Dazu gehören auch Bahnstrecken und Bahnhöfe und deren Geschichte. In Rudiš’ Buch „Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen“ kann man das nachlesen. Doch besser wären bzw. sind reale Zugfahrten - hoffentlich bald wieder auch in die Ukraine.
Das Titelbild des Buches zeigt übrigens eine Zugszene in der Ukraine. Und am 4. April liest Jaroslav Rudiš im Sudetendeutschen Haus.
Markus Bauer