"Die Hand zur Versöhnung ausstrecken"

Herrlichstes Sommerwetter und nach einem Jahr Pause wieder in der Basilika St. Anna – beste Rahmenbedingungen für die Sudetendeutsche Wallfahrt nach Altötting, die unter dem Motto „Heimat im Glauben“ steht und federführend von der Ackermann-Gemeinde organisiert wird. Hauptzelebrant des Pontifikalgottesdienstes war diesmal der frühere Weihbischof der Erzdiözese München-Freising Dr. Franz Dietl. Und bei der Marienfeier mit Totengedenken am Nachmittag oblag dem Vertriebenenseelsorger der Diözese Passau Pfarrer i.R. Klaus Hoheisel der Part als Offiziator. Mit der Prozession zur Gnadenkapelle endete die Wallfahrt.

In ihrer Begrüßung hieß die Vorsitzende der Ackermann-Gemeinde im Bistum Passau Ilse Estermaier besonders den Hauptzelebranten willkommen, der bereits an einem Gespräch der deutschen und tschechischen Bischöfe teilgenommen hat, weshalb ihm die deutsch-tschechische Thematik bestens bekannt ist. Ebenso hieß sie mit Pfarrer Hoheisel den langjährigen Vertriebenenseelsorger ihres Bistums willkommen sowie den Vorsitzenden des Sudetendeutschen Priesterwerks Monsignore Karl Wuchterl und den Geistlichen Beirat der Ackermann-Gemeinde in der Erzdiözese München-Freising Monsignore Johannes Tasler. Die Sudetendeutsche Landsmannschaft war vertreten durch ihren Sprecher Bernd Posselt.

Weihbischof em. Dietl erinnerte in seiner Begrüßung an die frühere Marienwallfahrt der Sudetendeutschen zum Beispiel nach Příbram. Wallfahrten dienten dazu, „sich Kraft zu holen für die Anliegen und Aufgaben des Lebens oder auch um Versäumtes in Liebe und Glauben wieder gut zu machen“. Anhand des Evangeliums von Maria unter dem Kreuz Jesu skizzierte der Weihbischof ein daraus ableitbares Frauenbild und verwies auf den Heilsplan Gottes, durch Maria den Erlöser der Welt und Gottes Sohn in die Welt zu bringen. Zu Gottes Schöpfung gehöre, so Weihbischof Dietl, auch die weibliche bzw. frauliche Würde. In diesem Kontext sprach sich der Weihbischof gegen die aktuellen Diskussionen  aus, er nannte den „Genderismus“ eine „Verzerrung der Geschlechterrollen“ und empfahl eine Gleichberechtigung statt einer Gleichartigkeit der Geschlechter. Durch den Titel „Gottesgebärerin“ bzw. „Gottesmutter“ sei Maria „die menschliche Mutter unseres göttlichen Heilands“ geworden. Die Wallfahrt verglich Weihbischof Dietl mit dem Weg Marias, die ihren Sohn von Anfang an – zumindest an den wichtigsten Stationen – begleitet hat, bis zu dessen Tod am Kreuz. „Vom Kreuz herab gibt Jesus sie uns als Mutter“, interpretierte der Oberhirte den Auftrag Jesu an Johannes „Siehe da, deine Mutter“. „Wie Maria aus ganzem Herzen für Jesus Mutter war, so ist sie es nun für einen jeden von uns“. Manchen gesellschafts- oder wissenschaftspolitischen Aussagen über die Rolle von Frauen und Müttern widersprach der emeritierte Weihbischof, auch wenn er zustimmte, dass neue Wege zur rechtlichen, finanziellen und materiellen Absicherung von Müttern gefunden werden müssen. Zum Schluss der Predigt appellierte der Weihbischof an die Gläubigen, an der Marienverehrung festzuhalten, denn diese „gibt unserem Leben Kraft, Würde und Geborgenheit, wie wir sie alle ersehnen.“

Mit dem oft in Todesanzeigen oder auf Sterbebildern zitierten Spruch „In unserem Herzen lebst du weiter“ begann Monsignore Johannes Tasler ebenfalls in der Basilika St. Anna am Nachmittag die Marienfeier mit Totengedenken. „Auch unsere Verstorbenen sind in der Gemeinschaft Jesu Christi und in sein Lebensschicksal eingebunden und somit mit und unter uns“, konkretisierte Tasler. Spezielle Fürbitten galten dann den Verstorbenen. „Wir Menschen haben ein Problem mit der Macht.“ Mit diesem Satz begann Offiziator Pfarrer Hoheisel seine Ansprache, in der er von der Versuchung durch die Schlange im Paradies auf den deutschen Diktator von 1933 bis 1945 kam. „Wo Menschen sein wollen wie Gott, da müssen andere unten sein, werden geknechtet, getreten, bis aufs Blut aufgesaugt, ermordet. Das ist kein Paradies, sondern eine Welt von Dornen und Disteln, Trauer, Blut“, führte Pfarrer Hoheisel aus und machte deutlich, dass solche Exzesse in der Geschichte immer wieder vorkamen. Die Heimatvertriebenen hätten dies ganz besonders erfahren, die Überlebenden seien körperlich oder seelisch verwundet. Das Machtstreben zeige sich vielfach auch heute, ob im Heiligen Land, im Straßenverkehr oder im Berufs-, ja sogar Familienalltag - „da spielt das Leben des anderen keine Rolle“, so Pfarrer Hoheisel. Als Kontrast dazu verwies er auf die Begegnung Marias mit Elisabeth, wo Maria einen über sich akzeptiert, „den sie ein grenzenloses Vertrauen entgegenbringt“ mit dem Satz „Siehe, ich bin die Magd des Herrn!“ In diesem Kontext zitierte der Offiziator weitere Stellen aus dem Magnifikat („er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen“ etc.) sowie Jesu Worte der Barmherzigkeit am Kreuz und seine Einladung zum Frieden. Die Botschaft, die Christus in die Welt gebracht hat und die Maria gelebt hat, beschrieb Pfarrer Hoheisel mit den Worten „Zum Dienst bereit!“ Und diese stünden auch in Verbindung mit den Aussagen Papst Franziskus', der sich vor allem für die Menschen am Rande der Gesellschaft einsetzt. Vor diesem Hintergrund appellierte der Geistliche an die Heimatvertriebenen, sich für die Flüchtlinge von heute einzusetzen – auch vor dem Hintergrund der eigenen Vergangenheit. „Ein Überleben auf der Erde kann es nur geben, wenn die Hand zur Versöhnung ausgestreckt wird“, kleidete es der Offiziator in Worte. Und dabei sei auch wichtig, nicht aufzurechnen, sondern einen Schlussstrich zu ziehen und nach vorne zu schauen – wobei Unrecht natürlich klar benannt werden müsse. „Wichtig ist, dass wir Heimatvertriebenen immer wieder auf Maria und ihr 'Ich bin die Magd des Herrn' schauen“, schloss Pfarrer Hoheisel seine Predigt.

Nach der Andacht zogen die sudetendeutschen Heimatvertriebenen mit Gesang und Gebet in einer feierlichen Prozession zur Gnadenkapelle. Nach der Segnung der Andachtsgegenstände verabschiedete Monsignore Tasler die Teilnehmer.

Markus Bauer

Prozession in Altötting zur Gnadenkapelle