Die katholische Kirche steht am Scheideweg
Themenzoom der Ackermann-Gemeinde zur katholischen Kirche in Tschechien
Ein Thema, das seit jeher zur „DNA der Ackermann-Gemeinde“ gehört (so Moderator Rainer Karlitschek), stand beim September-Themenzoom der Ackermann-Gemeinde im Mittelpunkt: „Wo steht die Katholische Kirche in Tschechien?“ Auskunft dazu gab der derzeit unter anderem an der Universität von Königgrätz/Hradec Králové lehrende Professor Tomáš Petráček. An 49 PCs folgten Mitglieder der Ackermann-Gemeinde und Interessierte seinen Ausführungen.
In seinen unterschiedlichen Funktionen als Historiker, Theologie und Pfarrer hat Petráček die Entwicklungslinien der katholischen Kirche in Tschechien in den zurückliegenden Jahrzehnten miterlebt und verfolgt. Besonders in den letzten zehn Jahren sei eine starke Veränderung festzustellen. Damit müsse sich auch die Ackermann-Gemeinde in ihrer Verbandsarbeit auseinandersetzen.
„Seit etwa 2012/2015 befindet sich die tschechische katholische Kirche - wie die in der Slowakei und in Polen – auf einem konservativen Kurs“, stellte Petráček unmissverständlich gleich zu Beginn fest. Er blickte auf die letzten zwei Jahrhunderte zurück. „Die Stellung des Christentums in Tschechien seit dem 19. Jahrhundert ist ambivalent“, gab er zu bedenken. Zum Teil sei der Katholizismus Staatsreligion gewesen, aber schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sei eine hohe Säkularisierung zu beobachten gewesen, die Leute seien konfessionslos oder nur formal Katholiken gewesen. Die Verfolgung im Kommunismus habe der Kirche zum Teil Glaubwürdigkeit gegeben, insgesamt aber sei die tschechische Gesellschaft zu einer der säkularsten in der Welt geworden. Nach der Wende habe sich die Kirche auf die Seite des demokratischen Wandels gestellt. Kirchliche Schulen seien wieder geöffnet, die Caritas und die Orden wiederbelebt worden – die Position der Kirche habe sich gefestigt. Etwas zäh und langsam sei jedoch die Rückgabe des kirchlichen Eigentums angelaufen. Nach dem zweiten Besuch von Papst Johannes Paul II. im Jahr 1995 sei eine Tendenz Richtung Staatskirche sichtbar geworden, ebenso eine prowestliche Orientierung mit der Folge, dass manche Theologen aufgrund ihres westlichen/freien Denkens dann keine Anstellung erhielten – erste Anzeichen für einen Wandel. Zwischen 2002 und 2005 sei die Rolle der Laien dann stark reduziert worden – zunächst aber noch ohne Auswirkungen auf die Ortskirchen. Am freundschaftlichen Verhältnis zwischen Kirche und Staat – der Staat unterstützte und förderte die Kirche – sei langsam Kritik (antiklerikale und -religiöse Stimmung) aufgekommen, auf wegen Rechtsstreitigkeiten bei der Rückgabe von Kirchengütern. „Nun begannen die konservativen Strömungen“, datierte Petráček diese Entwicklung auf etwa 2012 mit ersten Entlassungen von Mitarbeitern im Laienpastoral.
Als zweiten und entscheidenden Einschnitt nannte er die Migrationskrise im Jahr 2015 mit der „scharfen Abgrenzung gegenüber Flüchtlingen, Islam usw.“, auch verbunden mit harter Kritik an der Europäischen Union und Deutschland bezüglich der Migrationspolitik und der europäischen Identität. „Der Episkopat war und ist an das Doppelpontifikat Johannes Paul II. und Benedikt XVI. gebunden und eher skeptisch gegenüber Papst Franziskus“, meinte der Professor.
Eng verbunden mit der Entwicklung sei der emeritierte Prager Erzbischof Kardinal Dominik Duka, der den populistischen Politikern bzw. Präsidenten Zeman und Babiš nahestehe. Aber auch die Wiederherstellung der Mariensäule in Prag werde als Symbol einer schleichenden Rekatholisierung gesehen. Als weitere Aspekte der konservativen Richtung nannte der Referent die Haltung zur Gender-Thematik, zur Homosexualität, die Kritik am deutschen Synodalen Weg, den manchmal militärischen Duktus, die Nähe zur rechtsextremen Partei „Svoboda a přímá demokracie (SPD)“ und prorussische Verbindungen. „Debatten finden kaum statt – trotz Unzufriedenheit anderer Bischöfe. Die katholische Kirche steht am Scheideweg, die Spaltung geht durch das ganze Land. Man wartet auf die Wahl des neuen Papstes“, schloss Petráček seine Einschätzung.
Moderator Karlitschek fragte nach dem Wirken der früheren proeuropäischen Bewegungen. Die Salesianer und die Christliche Akademie gebe es natürlich noch, doch diese seien „Kirche in der Kirche. Es sind quasi zwei Kirchen in Tschechien: eine europäisch-liberal-franziskusorientierte und eine konservative. Das führt dann auch zu Konflikten in den Pfarreien“, beschrieb der Professor die Lage. Zum Teil gebe es kleine, unabhängige und selbständige Projekte, die aber wenig Unterstützung erfahren.
Ob der tschechische Episkopat ein „monolithischer Block“ sei oder Meinungsvielfalt herrsche, wollte Prof. Dr. Bernhard Dick wissen. „Duka und Jan Graupner dominieren die Bischofskonferenz, andere Stimmen haben nicht genug Stärke und den Mut, sich zu emanzipieren. Zwei oder drei der Bischöfe sind eher liberal“, beantwortete Petráček diese Frage.
„Wer sind auf Dauer die Partner für die Ackermann-Gemeinde? Was wird von der Ackermann-Gemeinde auf tschechischer Seite erwartet? Mit wem führen wir den Dialog?“, fragte der Bundesvorsitzende Dr. Albert-Peter Rethmann. Neben den bereits erwähnten Salesianern und der Christlichen Akademie riet Petráček zur Erweiterung des Portfolio. Konkret verwies er auf die vielen kleinen Projekte, Gruppen und Institutionen in den Pfarreien. Das auch aus dem Grund, weil die Gemeinden kleiner werden. „Die wichtigste Herausforderung ist der Klerikalismus. Wir müssen die Diaspora-Situation akzeptieren und damit leben. In der oberen Ebene ist das nicht angekommen“, wurde der Vortragende deutlich.
Markus Bauer
Der Vortrag von Prof. Petráček zum Herunterladen hier.