Die Sicht von Deutschen und Tschechen aufeinander und ihr Blick auf die EU

Die Einschätzung Europas durch Deutsche und Tschechen war das Thema beim jüngsten themenzoom der Ackermann-Gemeinde. Insgesamt 60 Computer mit über 80 Personen waren in Deutschland, Tschechien, Frankreich und der Schweiz zugeschaltet, als Dr. Steffen de Sombre vom Institut für Demoskopie Allensbach die Ergebnisse einer Erhebung vorstellte. Diese hat sein Institut zusammen mit STEM in Tschechien bereits zum zweiten Mal nach 2016 durchgeführt. Initiiert hatte die Meinungsumfrage erneut das Deutsch-Tschechische Gesprächsforum und der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds.

Neben einem festen Stamm nach rund 21 Monaten themen- und kulturzooms kommen immer wieder auch neue Teilnehmerinnen und Teilnehmer dazu. „Ich schätze das sehr, was ihr da macht“, meinte zum Beispiel Verlegerin Heike Birke vom BALAENA-Verlag in Landsberg am Lech kurz vor Beginn des Vortrags. „Wir sind europäisch unterwegs“, stellte aus der Schweiz Moderator Rainer Karlitschek fest, der in das Thema einführte und den Referenten vorstellte. Steffen de Sombre ist der deutsche Leiter dieses Projektes, STEM ist ein tschechisches Institut für empirische Forschung in Prag, mit dem das deutsche Institut für Demoskopie Allensbach zusammenarbeitet. Auch die erste, im Jahr 2016 durchgeführte und ein Jahr später veröffentlichte Befragung oblag diesen beiden Instituten. Die neue Untersuchung sollte an die damalige anschließen und Entwicklungen aufzeigen.

„Was Deutsche und Tschechen voneinander und über Europa denken“ lautete das Thema. In beiden Ländern erfolgten persönliche Befragungen. In Tschechien wurden vom 3. bis 12. September 2021 insgesamt 1039 Personen über 16 Jahre mit Papierfragebögen als auch computerunterstützt befragt. In Deutschland waren es vom 18. August bis zum 10. September 2021 in der Summe 1095 Menschen über 16 Jahre mittels Papierfragebögen.

Das Verhältnis der beiden Länder wird in beiden Ländern mehrheitlich als „sehr gut“ und „eher gut“ angesehen, wobei die positiven Werte bei den Tschechen höher ausschlagen (85 versus 47 Prozent), bei den Deutschen – auch seit 2016 – ein hoher Unentschieden-Anteil (42/43 Prozent gegenüber fünf Prozent bei den Tschechen) festzustellen ist. Befragt nach historischen Aspekten wurde Folgendes deutlich. In beiden Ländern sank der Anteil derer, die die heutigen Beziehungen für vergangenheitsbelastet halten. Für Tschechen ist die Vergangenheit etwas wichtiger als für Deutsche. In beiden Ländern – in Tschechien in allen Altersgruppen höher – wächst die Bedeutung der Vergangenheit mit zunehmendem Alter. Aber auch im Blick auf die Gegenwart ergaben sich – geringfügige – Unterschiede. Tschechen interessieren sich etwas häufiger als Deutsche für das Geschehen im Nachbarland. In beiden Ländern ist das Interesse jedoch seit 2016 leicht gesunken. Ein Gradmesser dafür sind auch Besuche im jeweiligen Nachbarland. Der Anteil derer, die das Nachbarland schon besucht haben, ist in Tschechien deutlich höher (mehrmals: 56 versus 25 Prozent; noch nie:  26 versus 53 Prozent), wobei hier natürlich Grenzregionen und die benachbarten Bundesländer sowie die historisch „gefühlte Nähe in der ehemaligen DDR“, so der Referent, eine Rolle spielen. Die gegenseitige Wahrnehmung lässt sich wie folgt beschreiben: Tschechen nehmen Deutschland am häufigsten als modernes Land mit hohem Lebensstandard und relativ großem Einfluss wahr. Deutsche betrachten Tschechien am häufigsten als attraktives und gastfreundliches Reiseland.

Der zweite Themenschwerpunkt widmete sich Europa und der Europäischen Union. Fast Dreiviertel der deutschen Befragten sprachen sich für eine EU-Mitgliedschaft ihres Landes aus, während in Tschechien 53 Prozent heute gegen einen EU-Beitritt votieren würden. Die Bilanz der EU-Mitgliedschaft, gefragt nach Vor- und Nachteilen, fällt in Tschechien etwas schlechter aus als in Deutschland. Als Hauptkritik wird in Deutschland die zu starke Bürokratie gesehen, in Tschechien die zu große Regelungswut und die Tatsache, dass sich die EU zu sehr in die Angelegenheiten der Mitgliedsländer einmische. Als positiv wird auf deutscher Seite die EU als notwendiger Zusammenschluss beurteilt, um sich gegen Großmächte wie USA und China zu behaupten. Für Tschechen verdient die große Wirtschaftskraft der EU Anerkennung. „Das Bild der EU ist in beiden Ländern blasser geworden“, kommentierte de Sombre diese Ergebnisse. Dies unterstreicht auch die Einschätzung des Zusammenhalts in der EU. Dieser werde, so die interpretierten Ergebnisse, in beiden Ländern als weniger groß wahrgenommen, wobei dieser Mangel an Solidarität in Deutschland viel stärker als in Tschechien (48 versus 10 Prozent) empfunden wird.

Die letzten Aspekte gehörten aktuellen Fragen, wie der Corona-Pandemie, und den Zukunftsaspekten. Besonders aus Sicht der deutschen Bevölkerung war die EU in der Corona-Pandemie eher hinderlich. Die Grenzschließungen beurteilten die Tschechen zu 66 Prozent positiv (Deutschland: 49 Prozent), dagegen waren auf tschechischer Seite 19 Prozent (32 Prozent auf deutscher Seite). Fast identisch waren die Werte in den Grenzregionen. In den beiden Ländern überwiegt die Erwartung einer Renationalisierung mit der Etablierung einer verstärkt eigenen nationalen Politik: in Deutschland 44 Prozent, in Tschechien 62 Prozent. Eine Verlagerung auf die EU-Ebene können sich in Deutschland 22 und in Tschechien 24 Prozent vorstellen. Zu berücksichtigen ist hier aber der Unentschieden-Anteil von 34 (Deutschland) und 14 Prozent (Tschechien). Welche Politikinhalte künftig wo angesiedelt sein sollten, wurde ebenfalls deutlich. Die Außen- und Sicherheitspolitik sollte übereinstimmend europäisch geregelt werden, ebenso die Abschlüsse an Schulen und Universitäten. Die größte Kluft zeigt sich im Bereich Zuwanderung und Zuzug von Ausländern: die Deutschen wollen dies zu 64 Prozent europäisch geregelt haben, die Tschechen nur zu 26 Prozent auf europäischer Ebene – also eher national. Der Blick auf die Zukunft der EU ist in beiden Ländern zwar – im Gegensatz zu 2016 – nicht mehr ganz so pessimistisch, bewegt sich aber beiderseits in wenig erfreulichen Zuordnungen. „Eher mit Hoffnungen“ sehen die Deutschen zu 32 und die Tschechen mit 33 Prozent die EU in der Zukunft. Bei „eher mit Befürchtungen“ sind es 40 (Deutsche) bzw. 59 Prozent (Tschechen). Relativiert wird dies durch positivere Daten auf beiden Seiten hinsichtlich der Frage nach den Perspektiven der jungen Generation durch die EU-Mitgliedschaft der Länder („bessere Chancen“: 52 Prozent – Deutsche, 44 Prozent – Tschechen).

Ergänzend zu diesen Daten merkte der Vortragende an, dass das deutsch-tschechische Verhältnis positiver als die EU beurteilt wurde, und die deutsch-tschechische Beziehung zudem noch positiver, je stärker oder mehr man Personen kennt. Die Nähe zu den östlichen Bundesländern und zu Bayern (bei den westlichen Bundesländern) spiele dabei eine Rolle.

Der Bundesgeschäftsführer der Ackermann-Gemeinde Matthias Dörr wollte wissen, wie weit Grenzregionen gefasst werden und wodurch Kontakte entstehen. De Sombre benannte die Regierungsbezirke direkt an der Grenze sowie auf tschechischer Seite vor allem Freundeskreise sowie auf deutscher Seite besonders die Arbeit als Grundlagen für Bekanntschaften. Michael Pfister wies auf das pro-europäische Ergebnis der jüngsten Parlamentswahl hin, Günther Michalka interessierte, ob Daten von Heimatvertriebenen und deren Aktivitäten aus den Untersuchungsergebnissen herauslesbar wären. Das sei jedoch nicht möglich, so der Referent abschließend.

 

Markus Bauer

IfD Allensbach Dr. Steffen de Sombre
Dr. Steffen de Sombre vom Institut für Demoskopie Allensbach bei seinem Vortrag.
Ein Teil der an den 60 PC zugeschalteten Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
AG-Bundesgeschäftsführer Matthias Dörr eröffnete den Fragereigen.