Die Visegrad-Staaten und die deutsche EU-Ratspräsidentschaft

Am 1. Juli begann die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Darüber und insbesondere über die Positionen und Erwartungen der Visegrad-Staaten dazu ging es beim jüngsten themenzoom der Ackermann-Gemeinde am 7. Juli. Referent zu dieser Thematik war Dr. Kai-Olaf Lang, der als Senior Fellow bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin tätig ist.

54 Bildschirme in mehreren Ländern und damit über 70 Personen waren zu dem rund 50-minütigen Online-Programm zugeschaltet. Moderator Rainer Karlitschek gab einleitend weitere Tätigkeiten des Referenten bekannt. So ist Lang unter anderem Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde und des Beirats des Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums. Zuvor war der promovierte Politikwissenschaftler Research Fellow am Bundesinstitut für Internationale und ostwissenschaftliche Studien in Köln. Sein Forschungsschwerpunkt sind die Transformation, die politischen Entwicklungen sowie die Außen- und Sicherheitspolitik der Länder Mittel- und Osteuropa und die EU-Nachbarschaftspolitik. Am Brünner Symposium der Ackermann-Gemeinde wirkte der Politikberater ebenfalls bereits mit.

Für die aktuelle Lage lenkte Lang den Blick auf den Umgang der Visegrad-Staaten mit der Corona-Pandemie. Er sprach von Verunsicherung bzw. Ungewissheiten in diesen Ländern – auch wegen struktureller Schwächen und „Engpässen in den Gesundheitssystemen“. Dies habe zu restriktiven und schnellen Maßnahmen, vor allem zu Grenzschließungen, geführt und deutlich niedrigeren Fallzahlen. In diesem Punkt seien die Visegrad-Staaten „gestärkt aus der Krise herausgegangen“, so Lang. Aber unter- bzw. miteinander sei die Kooperation nicht gut gewesen, auch wegen der gegenseitigen Grenzschließungen.

Diskrepanzen zwischen den vier Visegrad-Staaten gebe es aber, so der Referent, auch aktuell – vor allem bezüglich der EU-Hilfspakete, konkret hinsichtlich des Finanzrahmens und des Next Generation-Projekts bzw. Wiederaufbaufonds. Auch sei für die vier Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn wichtig, wie sich Deutschland als Ratspräsident zu Frankreich sowie im Nord-Süd-Verhältnis positionieren wird. Offen seien die Situationen in der Slowakei (jüngst erfolgter Regierungswechsel) und in Polen (Stichwahl Präsident).

Lang ging auf die zentralen Themen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ein, vor allem Finanzen: der siebenjährige EU-Finanzrahmen von 2021 bis 2027 (bisher keine Einigung) sowie die Hilfs- und Rettungsmaßnahmen zu Corona. Während Polen und die Slowakei positive Reaktionen zeigen, würden Tschechien und Ungarn die Hilfspakete ablehnen – zum Teil aber einzig aus dem Grund, um ihr „europaskeptisches Publikum“ zu bedienen. „Beim allgemeinen Haushalt sind die vier Visegrad-Staaten eng beisammen“, erklärte Lang. Dagegen gebe es beim Wiederaufbaufonds zwei Grundforderungen: höhere Flexibilität (versus Schwerpunkt auf Klimapolitik und Digitalisierung) und Präferenzen bei der Infrastruktur. Darüber hinaus würden die Visegrad-Staaten befürchten, „dass Gelder vom Osten in den Süden umgeschichtet werden“, so der Referent.

Unterschiedliche Auffassungen gebe es in der Klimapolitik, wo Deutschland – auch als EU-Ratspräsident – am Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2050 festhalten möchte. Hier würden sich die Visegrad-Staaten als Bremse erweisen (z.B. hoher Kohleanteil und kein Atomkraftwerk in Polen, Mischung aus Atomenergie und regenerativen Energien in der Slowakei und Tschechien). „Die Wege der Visegrad-Staaten werden sehr unterschiedlich sein“, fasste Lang diesen Aspekt zusammen.

Problematisch – vor allem bei Polen und Ungarn – sei der Aspekt Rechtsstaatlichkeit, wo aktuell Verfahren laufen und Sanktionen nicht ausgeschlossen sind. Was die Verhängung von Sanktionen betrifft, würden verschiedene Möglichkeiten geprüft. Zu den weiteren Dauerthemen gehörten die Migrations- und Asylpolitik (Verteilung der Schutzsuchenden) und damit verbunden die Außen- und Sicherheitspolitik (Verhältnis einzelner Staaten zu China, Russland, USA). „Deutschland wird die Visegrad-Staaten weiter im Spiel halten, den Dialog aufrechterhalten und vertiefen“, wagte Lang einen Blick in die nahe Zukunft.

In den Fragen ging es um Änderungen seit dem Antritt der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: scheinbarer Rückgang von Ideologien, die aber mit den Plänen für Hilfspakete wieder stärker werden. Dazu die Aspekte „Solidarität“ bzw. „Souveränität“ sowie mögliche weitere Exit-Bestrebungen und deren Folgen. Lang gab zu, dass die EU in den ersten Wochen der Corona-Krise „ein schlechtes Bild“ abgegeben habe und vielfach die nationalstaatliche Idee in den Vordergrund gerückt sei. Offen sei, ob man Lieferketten wieder in die Europäische Union zurückholen kann. Angesichts der Rahmenbedingungen sei nun faktisch der „Einstieg in die Transferunion“ erfolgt, was vor Kurzem noch nicht vorstellbar war. Für Lang muss aber die EU nach außen geschlossener auftreten. Weitere Entwicklungen würden, so der Referent, Ende 2020 bei einer Konferenz erörtert – unter anderem auch die Mehrheitsentscheidungen in der Außenpolitik, um außenpolitisch die Handlungsfähigkeit zu erhalten. Mit dem gesamten Feld „Wirtschaft“ habe die EU bereits ein Pfund, mit dem sie gut und erfolgreich wuchern kann.

Angesichts dieses letzten wöchentlichen Themenzooms (seit 21. April) – nun gilt der monatliche Rhythmus jeweils am ersten Dienstag des Monats – dankte der Bundesgeschäftsführer der Ackermann-Gemeinde Matthias Dörr dem Moderator Rainer Karlitschek und lud zum nächsten Themenzoom am 4. August ein, bei dem der neue tschechische Botschafter Dr. Tomáš Kafka zu Gast sein wird.

 

Markus Bauer

Der Referent dieses themenzooms Dr. Kai-Olaf Lang
Blick auf einen Teil der am themenzoom teilnehmenden Personen.
Rainer Karlitschek moderierte alle seit 21. April wöchentlich ausgestrahlten themenzooms und erhielt dafür ein herzliches Dankeschön vom Bundesgeschäftsführer der Ackermann-Gemeinde Matthias Dörr.