Digitale Führung durch Theresienstadt eine Form der Erinnerung an die Opfer

Einem äußerst schwierigen, dunklen Thema widmete sich der themenzoom der Ackermann-Gemeinde Anfang August. Es ging um das Konzentrationslager Terezín/Theresienstadt. In der heutigen Gedenkstätte leisten Jannis Völlering und Tobias Hollinetz aktuell einen einjährigen Freiwilligendienst mit der Organisation Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) ab. Sie führten virtuell durch den Ort des Leidens von mehreren Zehntausenden von unschuldigen Menschen.

Moderator des Abends war dieses Mal Matthias Dörr, der Bundesgeschäftsführer der Ackermann-Gemeinde. Er stellte eingangs die beiden Referenten kurz vor: Der 19-jährige Jannis Völlering kommt aus Münster. Der 20-jährige Tobias Hollinetz hat an der HBLA (Höhere Bundeslehranstalt) für künstlerische Gestaltung Linz maturiert. Beide zusammen haben – auch coronabedingt - in ihrem Freiwilligendienst digitale Führungen durch Theresienstadt entwickelt. Angesichts der Pandemie sei es „kein einfaches Jahr für die Freiwilligen“, so der Bundesgeschäftsführer aus eigener Erfahrung mit Europäischen Freiwilligen in der Ackermann-Gemeinde. Dörr mahnte an, dass die Erinnerungskultur auch an der Erlebnisgeneration weiter gelebt und entwickelt werden müsse. In diesem Sinne freue er sich über die junge Sichtweise und Perspektive der beiden Freiwilligen.

Die aufgrund des Lockdowns nicht möglichen realen Führungen führten zur Entwicklung der virtuellen Führung, vor allem auf Basis von 3D-Scans. Völlering und Hollinetz zeigten zunächst den durch die Eger getrennten Gesamtkomplex, bestehend aus der Kleinen Festung und der Garnisonsstadt, die den Hauptteil ihrer Ausführungen bildete. Sie informierten über die Geschichte der Anlage und der Stadt (Grundsteinlegung 1780 durch Kaiser Joseph II.) als Bastion gegen die Preußen. „Aber Theresienstadt ist nie in eine Kriegshandlung verwickelt worden“, stellten die Referenten fest. Aufgrund der zentralen Lage – auch im Hinblick auf die Deportationswege – und der Struktur sei Theresienstadt im Herbst 1941 von den Nationalsozialisten als Lager ausgewählt worden. Vor 1941 habe Theresienstadt etwa 7000 Einwohner gehabt, zur Ghettozeit 30.000 bis 40.000, im September 1942 gar 48.500 – und war damit „hoffnungslos überfüllt“, so Völlering. Keine Privatsphäre, wenig Sanitäranlagen, ständiger Hunger und Zwangsarbeit – in der Summe katastrophale und unerträgliche Lebensbedingungen, die zu vielen Todesfällen führten.

Das Lager Theresienstadt hatte zudem mehrere besondere Begebenheiten: es war ein Alters- und Prominentenghetto, hatte eine jüdische Selbstverwaltung, die aber den Weisungen und Befehlen der SS untergeordnet war, und ein Kinderheim, in dem die Buben und Mädchen singen, zeichnen, Gedichte schreiben usw. durften. „Eine so gute Bildung wie möglich“ sollte den Kindern vermittelt werden. Die zwei Referenten vergaßen aber auch nicht zu erwähnen, dass viele der Kinder später in andere Konzentrationslager deportiert und ermordet wurden. Es entstand sogar die eigene Kinderzeitung „Vedem“, und es gab über 50 Aufführungen der Kinderoper Brundibár von Hans Krása. Eine Sonderstellung hatte die Bildende Kunst, tausende Werke sind erhalten, die unter anderem auch den Alltag im Ghetto zeigen. „Das war nicht Gutmütigkeit, sondern reines Kalkül“, relativierten die zwei jungen Männer die Erlaubnis zu diesen Aktivitäten. Neben den in der Freizeit entstandenen Bildern mussten die Lagerinsassen auch Propaganda-Bilder schaffen. Darüber hinaus standen Christen und Juden Betstuben zur Verfügung, um ihren Glauben ausüben zu können. Völlering und Hollinetz machten auch deutlich, dass sich die Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes bei einer Visite von der Inszenierung der NS-Leute total täuschen ließen.

Zusammenfassend charakterisierten sie Theresienstadt als Sammel-, Durchgangs- und Sterbelager und zeigten zum Abschluss den mit vielen Grabsteinen versehenen Friedhof sowie das Krematorium und Kolumbarium, einer Aufbewahrungsstätte von Urnen und Särgen. Natürlich sei es auch ein „Kulturghetto“ gewesen, insbesondere aber ein Vorzeigelager zu Propaganda- und Vertuschungszwecken. Mit der Kontrolle durch die Rote Armee am 10. Mai 1945 und der Auflösung durch den tschechischen Nationalrat einen Tag später endete dieser dunkle Teil der Geschichte Theresienstadts mit 33.818 gestorbenen Menschen.

Markus Bauer

Blick auf Theresienstadt/Terezín aus der Vogelperspektive.
Jannis Völlering
Jannis Völlering bei seinen Ausführungen.
Tobias Hollinetz
Tobias Hollinetz bei seinem Vortrag.
Blick auf einen Teil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des August-Themenzooms.
Die Kulturarbeit der Ackermann-Gemeinde im Institutum Bohemicum wird gefördert durch das Bayerische Staasministerium für Familie, Arbeit und Soziales.