Durch populistische Strömungen und oligarchische Strukturen gefährdete Demokratie

Das Aufkommen außerparlamentarischer Bewegungen und die Entstehung neuer Parteien – teils auch anders strukturiert – das waren neben den niedrigen Wahlbeteiligungen bei den Urnengängen im vergangenen Jahr die Motive für die Ackermann-Gemeinde und die Bernard-Bolzano-Gesellschaft, ihr 24. Brünner Symposium „Dialog in der Mitte Europas“ dem Thema „Wohin steuert die Demokratie“ zu widmen. Weit über 250 Teilnehmer aus Deutschland, Österreich, Tschechien und Ungarn setzten sich am Palmsonntag-Wochenende damit auseinander.

Die Frage der „Beteiligung der Bürger in der demokratischen Kultur“ sprach der Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde Martin Kastler in seiner Begrüßung an. Auch wies er darauf hin, dass in Tschechien mit der Bewegung ANO eine solche neue Kraft sogar stärkste Partei wurde. Die durch den Dialog und die Kontakte gewonnenen Ergebnisse der Brünner Konferenz betonte der Primator (Oberbürgermeister) der Stadt Brünn Petr Vokřál, ein Grußwort des tschechischen Außenministers verlas der neue tschechische Botschafter in Berlin Tomáš Podivínský. Zaorlek betonte darin, dass „der Weg der Versöhnung der richtige war“. Dr. Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven, deutscher Botschafter in Prag, stellte fest, dass „neues Vertrauen durch den Dialog entstanden“ sei – eine „Grundlage für das engmaschige Beziehungsnetz“. Die Versöhnung „als tragende Säule für unser heutiges Europa, für das wir wieder kämpfen müssen“, rückte der österreichische Botschafter in Prag Dr. Ferdinand Trauttmansdorff in den Mittelpunkt und plädierte für eine „neue Nachbarschaftspolitik“. Auf die Bedeutung der Werte auch im 21. Jahrhundert machte der Vorsitzende der Sdružení Ackermann-Gemeinde, der tschechische Kulturminister Daniel Herman, aufmerksam. Und die trotz Vereinigung und Integration in Europa ständig wahrzunehmenden Probleme sprach Dr. Matěj Spurný, der Vorsitzende der Bernard-Bolzano-Gesellschaft, in seiner Eröffnung an.

Unter dem Titel „Auf dem Weg zu einer postpolitischen Ära“ stand der Eröffnungsvortrag des Politologen Prof. Dr. Jacques Rupnik aus Paris. Vor dem Hintergrund globaler Entwicklungen skizzierte Rupnik tschechische und auch mitteleuropäische Züge dieser Tendenzen. Für Tschechien konstatierte er eine zum Teil schon aus der Vergangenheit rührende eine „Skepsis gegen Parteipolitik“. „Das Volk ist zu einer leeren, abstimmenden Masse geworden“, so der Wissenschaftler. Weiter sieht er aktuell einen „Verfall der Parteipolitik“, eine „Oligarchisierung der Politik“, die Tendenz, den Staat als Unternehmen zu sehen und dementsprechend Politik als Business zu steuern. Für den mitteleuropäischen Raum verwies der Politologe auf Polen mit Kaczyński und Ungarn mit Orbán als führende Politiker, wo sich das politische Spektrum zum Teil stark verschoben hat. „Es gibt dort neue Definitionen von dem, was rechts und links sein soll“, konkretisierte Rupnik. Außerdem seien immer wieder Konflikte mit Verfassungsgerichten an der Tagesordnung. „Das ist nicht weit entfernt vom putin'schen System der Souveränität. In Frage gestellt wird die Machtteilung und die politische Demokratie“, fand der Referent klare Worte. Als weiteres Dilemma sieht Rupnik die „Technokratie ohne Politik“, wenn Politiker wichtige Entscheidungen Fachkommissionen überlassen. Auch das trage zu einer Entpolitisierung bei – oder ziehe Reaktionen populistischer Parteien und Bewegungen nach sich. „Das Kommen von Populisten schafft eine neue Trennung in der Politik.“ Es komme zu einer neuen Ausrichtung des politischen Systems und Lebens, wo sich dann auch die Frage nach Koalitionen stelle, analysierte der Referent. Und er stellte die Frage, ob aus Antihaltungen positive Gestaltungskräfte werden, in welche Richtung sich diese Parteien/Bewegungen entwickeln, sie das bestehende politische System angreifen oder sich anpassen. Gleichwohl riet Rupnik zu einer gelassenen Haltung und nannte Aspekte, die besonders zu beachten seien: Politik sollte nicht zum Beruf werden, Auseinandersetzung mit Korruption, Ethik als Basis von Politik, der Gedanke der Zivilgesellschaft. Und wichtig sei es, sich über die europäische Dimension der Demokratie Gedanken zu machen.

Das Thema „Die Demokratie im Wandel“ stand am Samstagvormittag auf dem Programm. Dazu gab es drei Einführungsreferate, zunächst von Senatspräsident a.D. Dr. Petr Pithart zur Fragestellung „Das Ende der politischen Ideen und Gemeinschaften?“ Das Fehlen von Ideen- und Gedankenalternativen und der damit verbundenen Menschen(gemeinschaften) führte Pithart einleitend an. „Die Zeit heute ist nicht eine der Konzentration und der Tiefe. Heute ist jeder von der Menge an Impulsen geblendet. Die Informationstechnologien arbeiten gegen die Gemeinschaften. Nicht nur die Ideologien, auch die Ideen und elementaren Alternativen gehen verloren“, beschrieb er die heutige Schnelllebigkeit. Doch er warnte auch vor den Nationalismen und den religiösen Fundamentalismen, welche zunehmend die politische Bühne beherrschen. Auch auf die Entwicklungen auf dem linken Spektrum, wie zum Beispiel in Griechenland, oder populistische wie in Tschechien warf Pithart einen Blick. Auch er sieht die „Gefahr der Oligarchisierung“, verbunden mit der „Macht des Geldes“, welche die Macht der Gewalt ersetzt. Alternativen bzw. diese prägende Gemeinschaften gebe es, so Pithart, nicht ohne die Bereitschaft, Opfer zu bringen. Und es müssten Menschen sein, „die nicht auf die pluralistische Demokratie verzichten wollen“.

„Seit neun Jahren erleben wir einen dramatischen Rückgang an Freiheit in der Welt. Das westliche System ist nicht mehr alternativlos“, beschrieb die in Budapest tätige Politologin Prof. Dr. Ellen Bos den Ist-Zustand: Zunahme von Kriegen und Konflikten, welche die internationalen Systeme nicht mehr regulieren können. Dazu neue autoritäre Systeme, wie in Russland und der Türkei. Als weitere Krisensymptome nannte sie den „Verfall der Handlungsfähigkeit der Politiker“, eine Zunahme der Unzufriedenheit sowie. weniger Respekt der Bürger mit ihren Politikern. „Die Demokratie ist heute meist inszeniert und wird von Eliten hinter verschlossenen Türen gemacht“, lautete ein weiterer Aspekt. Ursachen sieht Bos in der Globalisierung, der damit verbundenen Bedeutungsminderung des Nationalstaates und der „Entwicklung zu supranationalen Gebilden“. Daraus entstehe eine Entfremdung zwischen Bürgern und Politikern, ein Verlust der Bindungskraft der Parteien, Proteste und Demonstrationen – in der Summe ein „sinkendes Vertrauen in die politischen Institutionen“. Als Lösung schlug Bos die Betonung zentraler Aspekte der demokratischen Regierungssysteme vor: Freiheitsrechte, Pluralismus, Gewaltfreiheit. „Diese Stärken sollten offensiv betont werden“, lautete Bos' Fazit.

Ein nekrophiles und biophiles Konzept brachte der frühere tschechische Ministerpräsident und EU-Kommissar Dr. Vladimír Špidla ins Spiel, wobei er die Demokratie als „biophilen Ansatz zum Leben, zur Politik“ bezeichnete, das Finanzkapitel als nekrophil. Als Probleme sieht er zum einen Grenzen in naturwissenschaftlichen und technischen Bereichen, zum anderen das „Fehlen der Fähigkeit zu kooperieren“. Ein Lösungsansatz ist für ihn die „Internationalisierung der Demokratie“, d.h. den „Mut zu finden Richtung Bundes- oder Föderalstaat auf EU-Ebene“. Andernfalls käme es, so Špidla, zu einer Situation der Großmächte in G 8 oder G 20, „die dann die Weltordnung diktieren“ – für Špidla durchaus „eine oligarchische Struktur“. Auch eine UNO-Reform in Richtung der EU-Strukturen hält er für angebracht, grundsätzlich aber die Rückbesinnung auf das Demokratieelement „Machtkontrolle“. Und auch die Parteien sieht er – trotz mancher Unvollkommenheit in ihrer Struktur – als sinnvoll.

In der folgenden Podiumsdiskussion betonte Dr. Werner Böhler, Leiter der Auslandsbüros Tschechische Republik und Slowakische Republik der Konrad-Adenauer-Stiftung, die Bedeutung der Parteien am Prozess der politischen Willensbildung, aber auch deren Verantwortung am Gemeinwohl und bei der Bündelung der Interessen. „Aufgrund der gewachsenen Komplexität ist die Demokratie bzw. ihre Strukturen heute schwerer zu verstehen“, gab Böhler zu bedenken. Er verwies auf Fehler der Parteien, machte aber auch darauf aufmerksam, dass die Protestbewegung PEGIDA in Deutschland – gemessen an der Einwohnerzahl eher überschaubar sind. Petr Pithart hofft auf eine Auffrischung der oberen politischen Ebenen durch die Kommunalpolitik, die Aufarbeitung von Krisen gehört seiner Ansicht nach zu den Aufgaben von Parteien bzw. Bewegungen. „In Deutschland sind klare Profile der Parteien immer schwieriger zu erkennen und die Bindungswirkung sozialer Milieus ist heute anders“, brachte Ellen Bos weitere Aspekte in die Diskussion, ebenso eine von Autorität geprägte Politik in vielen Staaten nach der Finanz- und Wirtschaftskrise bzw. die Inszenierung und Personalisierung von Politik.

Den Abschluss des Symposiums am Sonntagvormittag bildeten zwei Gesprächskreise. Zum Thema „Was treibt mich in der Politik an“ nahmen der Prager Stadtrat und Bürgermeister des Stadtbezirks Prag 7 Jan Čižinský und der Abgeordnete im ungarischen Parlament Dr. Gergely Gulyás Stellung. Unterschiedlich war ihr Weg in die Politik – bei Čižinský vor allem über Bürgerbefragungen zu einem politischen Projekt im Stadtteil Prag 7, bei Gulyás angesichts der Arbeit an der Ungarischen Verfassung im Zuge seiner Tätigkeit als Jurist. „Wir haben die Leute befragt: Was quält sie am meisten? Danach haben wir die Meinung der Wähler mit der der Partei abgestimmt“, schilderte Čižinský. Etwa 12.000 Menschen hat seine Gruppe getroffen – mit dem Ergebnis von 43 Prozent der Stimmen bei der Stadtratswahl und damit entsprechenden Möglichkeiten im politischen Handeln. „Ohne meine Zugehörigkeit zur KDU-ČSL wäre es nicht gelungen. Die Kommunalpolitik braucht auch Kontakte zur gesamtstaatlichen Politik“, gestand der Stadtteilbürgermeister. Das Leben in einer Demokratie, und damit im Wohlstand und mit christlichen Werten, ist für Gulyás – im Gegensatz zur Elterngeneration – ein sehr wichtiger Wert. Doch sein Blick und sein Zukunftsengagement orientieren sich weiter. „Wie können wir Europa in den nächsten Jahrzehnten entwickeln? Was bedeutet der Staat, die Befugnisse der EU?“, lauten seine Anliegen.

Die Abschlussfrage lautete für Čižinský, Gulyás sowie Dr. Kurt Scholz (Vorsitzender des Zukunftsfonds der Republik Österreich) und Dr. Peter Weiss (Botschafter der Slowakei in Tschechien) „Welche Aufgabe hat Politik? Perspektiven für die repräsentative Demokratie“. Den Sinn der repräsentativen Demokratie sieht Weiss darin, „dass die Politik die öffentlichen Interessen steuern und managen kann – konkret: die Angelegenheiten für die Gesellschaft steuern“. Dabei misst der Botschafter der Ethik einen hohen Stellenwert zu. Auch die Bewahrung der Stabilität in der Gesellschaft bei gegensätzlichen Interessen ist für ihn ebenso eine Aufgabe der Demokratie wie die Weiterentwicklung der Gesellschaft. Trotz aller Skepsis gegenüber Politik und Politikern bilden für Weiss die Parteien die Grundlage des politischen Lebens in repräsentativen Demokratien – auch wenn sie bisweilen entfremdet erscheinen oder im Wettbewerb mit populistischen Politikern stehen. Für Kurt Scholz sollten sich die Parteien „demokratisierend öffnen gegenüber allen, die sich in irgendeiner Form einbringen wollen“. Das sei eine Bringschuld der Parteien und könne dazu beitragen, dass die Menschen wieder näher an die Politik herankommen. „Politik sollte eine Stimme der Vernunft, ja des Intellekts sein“, forderte Scholz. Als Irrtum sah schließlich Gulyás den Vorschlag, ein Land wie eine Firma zu führen. „Natürlich braucht ein Politiker auch Manager-Eigenschaften. Aber das Ziel ist beim Staat nicht der Profit, sondern das Allgemeinwohl und andere wichtige Werte, die in Firmen nicht unbedingt gelten“, verdeutlichte der ungarische Abgeordnete und meinte mit Blick in die Zukunft, dass moderne Demokratien eben repräsentative Demokratien seien. Und fast als Schlusswort meinte Jan Čižinský: „Man braucht aktive Leute, die sich persönlich mit einbringen. Ein persönliches Engagement wird von den Bürgern erwartet.“

Am Samstagabend feierten die Tagungsteilnehmer in der Jesuitenkirche die Eucharistie. Hauptzelebrant war Propst em. Monsignore Anton Otte. Die musikalische Umrahmung oblag dem Kinder- und Jugendchor der Brünner Philharmonie mit Jakub Janšta an der Orgel und unter der Gesamtleitung von Jakub Klecker.

Markus Bauer/ag

Karel Schwarzenberg brachte sich vom Publikum aus<br/ > in die Diskussionen in Brünn ein.