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„Eine Theologie, die konstruktive Kritik übt, ist Partnerin für Gesellschaft, Kirche und Menschen von heute“ – Ein Gespräch mit Albert-Peter Rethmann

Zu Gast beim Tschechischen Rundfunk war kürzlich der Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde, Dr. Albert-Peter Rethmann, der Fragen zur Rolle der theologischen Fakultäten im 21. Jahrhundert nicht nur in Tschechien beantwortete. Hier können Sie eine Zusammenfassung auf Deutsch lesen.

Die tschechischen theologischen Fakultäten haben im 21. Jahrhundert eine wichtige Rolle zu spielen, sagt der ehemalige Professor für Theologische Ethik und Prodekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Karls-Universität Albert-Peter Rethmann. Sie sollen nicht nur kirchliches Personal ausbilden, sondern sich auch an der wissenschaftlichen Forschung beteiligen und Antworten auf aktuelle gesellschaftliche Fragen geben. 

Offener Dialog und Partner der Gesellschaft

Nach Ansicht Rethmanns ist es wichtig, dass die Fakultäten Teilnehmer offener Dialoge sind und auch vor kontroversen Themen nicht zurückschrecken.

„Meiner Meinung nach sollten die theologischen Fakultäten die Fragen stellen, die die Bedürfnisse der Menschen von heute widerspiegeln. Ich habe allerdings oft das Gefühl, dass die Fakultäten vergessen zu fragen, ob die zeitgenössische Theologie für den Menschen von heute noch verständlich ist. Einige in der Kirche und in der Theologie versuchen, ein angenehmes Umfeld zu schaffen, in dem sich alle irgendwie meinen zu verstehen. Das reicht aber nicht: Wir sollten die herausfordernden – und kontroversen – Debatten führen zu den Themen, die Menschen von heute bewegen- Das aber basierend auf Argumenten und nicht vorentschieden von (kirchlichen) Autoritäten, die meinen mit Macht bestimmte Fragen und Debatten beenden oder sogar verhindern zu können. Diese Diskussionen sollten nicht von einer Gruppe dominiert werden, sondern alle Partner einbeziehen. Ich vermisse oft solche offenen Debatten, wo nicht am Anfang schon klar ist, was Theologie und Kirche dazu sagen,“ sagt der Theologe.

Partner der Gesellschaft

Die Fakultäten sollten gleichberechtigte Partner von Kirche und Gesellschaft sein, nicht nur gehorsame und angepasste Institutionen, die niemanden mehr wirklich interessieren. „Nur eine Theologie, die Gesprächspartnerin in der Gesellschaft und zu kritischer Auseinandersetzung fähig ist, kann auch die Kirche zur Weiterentwicklung führen.“ Rethmann verweist auf die Entfremdung vieler Menschen von der Kirche und sieht häufig die Tendenz, dass sich die Kirche bzw. ihre Vertreter bewusst vom Lebensgefühl heutiger Menschen absetzen und das Unterscheidende sucht. „Es ist aber meines Erachtens nicht notwendig, im Grundsatz und immer wieder Alternativen zu der Wirklichkeit heutiger Menschen zu schaffen, in den Sinne, dass Christen meinen, sich um der eigenen Profilierung willen vom ‚heutigen Menschen‘ zu unterscheiden. Christen sind doch nicht andere Menschen. Es geht meines Erachtens vielmehr darum, gemeinsame Punkte zu finden, auf denen man aufbauen kann. Vielleicht so ähnlich wie Jesus, der mit einem Gottesglauben, der auf Freiheit, Beziehung und Vertrauen beruht, auf die Bedürfnisse seiner Zeit und den Gesetzesglauben mancher Pharisäer reagierte. Oder auch wie große Theologen wie der heilige Albert, der die damals wieder neu entdeckte und gehypte Philosophie des Aristoteles nutzte, um die christliche Theologie in neue Worte zu fassen,“ so Rethmann.

In der Theologie sollten Kontroversen, die nicht die (wenigen) dogmatischen Grundsätze christlichen Glaubens betreffen, nicht seitens der kirchlichen Autorität mit Macht beendet werden. Diese Kontroverse sollten vielmehrmit Argumenten bearbeitet werden. „Als erwachsene Menschen brauchen wir doch keine Angst vor der Macht des besseren Arguments zu haben. Die theologischen Fakultäten sollten so stark und ihre Vertreter so selbstbewusst sein, dass sie als echte PartnerInnen der Autoritäten auftreten. Als echte Partnerinnen der kirchlichen Autoritäten, aber auch der Autoritäten in Politik und Gesellschaft. Die Kirche sollte sich um ihrer selbst willen wünschen, dass die theologischen Fakultäten ein starkes Element sind, das nicht immer nur ‚ja‘ sagt, sondern auch ‚ja, aber...‘. 

Daran schließt Rethmann eine persönliche Erfahrung an: „Eine Frage, die mich insbesondere auch im Kontext der Konflikte an der Katholisch-theologischen Fakultät in Prag bewegt, stellt sich mir ganz drängend: Wie verhält es sich eigentlich im Umgang miteinander mit den Werten, zu denen wir uns bekennen? Wenn ich höre, wie sich Christen gegenseitig bekämpfen, aus dem Diskurs entfernen oder – wie immer wieder gesehen – Theologieprofessoren aufgrund von Meinungsäußerungen entlassen werden, denke ich, dass es kein Thema gibt, das uns dazu bringen sollte, einander so lieblos zu behandeln – ist doch die Liebe das Herzstück des Evangeliums. Und die Grundhaltung von ‚Liebe‘ im Sinne des Evangeliums ist zuallererst der Respekt vor dem anderen.

Inspiration in der Pluralität der Disziplinen

An vielen theologischen Fakultäten arbeiten inzwischen auch Vertreter anderer, vor allem humanwissenschaftlicher Disziplinen. Rethmann ist nicht besorgt über die Pluralität der auch außertheologischen Disziplinen an den theologischen Fakultäten. Er sieht in der gegenseitigen Inspiration eine Chance für die Weiterentwicklung der Theologie: „Ich glaube auch nicht, dass es nur eine Philosophie gibt, mit der die Theologie im Dialog sein sollte. Wir leben in einer pluralistischen Welt. Ein Ansatz wie die Philosophie des Dialogs von Martin Buber zeigt, was es bedeutet, einen Dialog zu führen – den Weg zu Gott im Gespräch mit den konkreten Menschen unserer Zeit zu suchen. Was bewegt den Menschen? Was interessiert ihn? Wir sollten unser theologisches Reden, das niemanden mehr interessiert, aufgeben und nach einer neuen Sprache suchen. Aber es geht nicht nur darum, irgendwie technisch oder auf der Wortebene eine neue Sprache zu finden. Wir können nur dann auf einen anderen Menschen zugehen, wenn wir ihn wirklich anerkennen, respektieren und ehrlich versuchen, ihn zu verstehen. Nur dann können wir die Worte finden, mit denen wir gemeinsam nach dem suchen, was wir Gott und Glauben nennen.“

Keine Revolution, sondern kreativer Freiraum 

Rethmann erinnert darüber hinaus daran, dass die Kirche selbst einen Raum für freie Diskussionen, für echten Diskursbieten sollte. Erst solche Freiräume ermöglichen die Entwicklung einer Theologie, die auf die Bedürfnisse der Menschen von heute eingeht. „Wir brauchen einen Raum der Freiheit und einen kreativen Raum, in dem wir neue Wege des Gesprächs über den Glauben und Gott erkunden können. Wir brauchen keine Revolution von oben, wenn es so etwas überhaupt gibt. Wenn die Kirchenführer einen solchen kreativen Raum zulassen würden, könnte etwas Neues entstehen.“ „Aber“, so Rethmann, „immer mehr Menschen nehmen sich solche Freiräume. Auch ohne Erlaubnis von oben. Und das ist auch gut so.“

Er selbst hat sich während seiner Zeit an der Universität Prag bemüht, solche offenen Räume zu schaffen. Ein Projekt war das Zentrum für Migrationsstudien „An der Katholisch-Theologischen Fakultät in Prag habe ich dieses Zentrum gegründet, weil ich gesehen habe, dass wir uns in einer neuen Weise gesellschaftlich und kirchlich mit den Chancen und Herausforderungen von Migration auseinandersetzen müssen.“ Das sind gesellschaftliche Chancen und Herausforderungen, aber auch religiöse. „Eine der ersten Begegnungen, an die ich mich bis heute gerne erinnere, war Begegnungen mit Muslimen in Tschechien, insbesondere in Prag. In diesen Begegnungen haben unsere muslimischen Freunde zum ersten Mal Interesse an ihrer islamischen Religion gesehen haben.“ Und das ist nach Rethmann grundlegende Voraussetzung dafür, dass Menschen sich in die Gesellschaft integrieren können. „Zum ersten Mal in der Geschichte Böhmens haben wir auch eine gemeinsame Erklärung aller monotheistischen Religionen zur Frage der Sterbehilfe erarbeitet und veröffentlicht“, ergänzt Rethmann. 

Rethmann fügt hinzu: „Theologie sollte im eigenen Interesse nicht gegen die Moderne und das Denken der Postmoderne kämpfen, sondern mit den Menschen von heute so im Dialog sein, dass sie Antworten sucht, auf Fragen, die wirklich gestellt werden, und auf Bedürfnisse, die die Menschen bewegen. Mein Motto ist nicht das ‚Gegen‘, sondern das ‚Mit‘, nicht Arroganz des Besserwissens, sondern die Bereitschaft des Mitgehens.“ Er betont: „Zuhören und Respekt sind nicht die schlechtesten Tugenden eines Theologen und einer Theologin. Dann kann etwas Neues entstehen. Nicht gegen, sondern mit den Menschen von heute.“

In diesem Sinn spricht Rethmann von Freiräumen. „Wir brauchen als Christen wieder mehr kreative Freiräume. Wir sollten als Theologinnen und Theologen auch selbst solche Freiräume schaffen und ermöglichen und den Mut haben, uns in diesen Freiräumen auch selbst zu bewegen – jenseits der vermeintlich sicheren Binnenräume der Gleichgesinnten. Und das ist ein wunderbares Abenteuer", schließt Albert-Peter Rethmann das Interview.

Link zu dem Interview (auf Tschechisch): https://vltava.rozhlas.cz/teologicke-fakulty-v-21-stoleti-9301835?fbclid=IwY2xjawFelBhleHRuA2FlbQIxMQABHY3KiZ3JOQv2SkWkR9tHJ7JzHMM2WC_dJOVhcnw2T6QE1unp7_R7cEoEGw_aem_LstO6TjCnkGUU8CN5j-13A

 

Bundesvorsitzender Dr. Albert-Peter Rethmann (Foto: privat)