Empathie für Minderheiten, Armut und Ethnie nicht vermischen

Zu dem inzwischen 23. Brünner Symposium „Dialog in der Mitte Europas“ kamen weit über 250 Teilnehmer am Palmsonntagwochenende zusammen. Eingeladen nach Brünn/Brno hatten wieder die Ackermann-Gemeinde und die Bernard-Bolzano-Gesellschaft Neben Interessenten aus Tschechien und Deutschland nahmen auch Personen aus Österreich, Polen und Ungarn an der Tagung teil. Diese widmete sich dieses Mal den „Menschen am Rande“. Besonders prägte die Situation der Roma die Diskussionen.

An den sechs Tage zuvor verstorbenen früheren Bundesvorsitzenden der Ackermann-Gemeinde (2004 bis 2010), ja seinen Amtsvorgänger Adolf Ullmann erinnerte in seiner Begrüßung MdEP Martin Kastler. „Wir verlieren mit ihm einen Wegbegleiter und Freund“, würdigte der amtierende Bundesvorsitzende das Engagement dieses Urgesteins der Ackermann-Gemeinde. Zum Symposiumsthema meinte Kastler: „Es ist nicht unbedingt ein Thema der Ackermann-Gemeinde und der Bernard-Bolzano-Gesellschaft, aber eines, das immer wieder bewegt“. Im Kontext der Mehrheit-Minderheit-Problematik verwies er auf die Vorgänge in der Ukraine bzw. in Russland und plädierte für einen Einsatz zugunsten von Menschen, die am Rande stehen. „Respekt, ja Wertschätzung gebührt einem Jeden“, fasste der Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde zusammen.

Das Grußwort des Brünner Primators Roman Onderka verlas Dr. Mojmír Jeřábek. Darin kamen die in Brünn verbreitete Toleranz wie auch die „Gespenster der Vergangenheit“ (Vertreibung der Deutschen) zum Ausdruck. Für die Bernard-Bolzano-Gesellschaft machte deren Vorsitzender Dr. Matěj Spurný deutlich, dass „alle Formen der Intoleranz vermieden werden sollten“. Grüße übermittelte er auch vom tschechischen Außenminister Lubomír Zaorálek. Und für den Attaché Norbert Axmann von der deutschen Botschaft in Prag zeigte die Teilnehmerzahl, dass „das Interesse am gegenseitigen Austausch ungebrochen ist“.

Einführende Gedanken zum Verhältnis zwischen Minderheiten und Mehrheiten brachte der Brünner Schriftsteller und Journalist Prof. Pavel Švanda. Anhand wichtiger historischer Epochen beleuchtete er dieses Wechselspiel, das er auch im Kontext der Abhängigkeit vom Herrscher und dessen Umfeld beschrieb (Einigkeit in der Ethnie, Unterschiede z.B. in der Religion). Andererseits gab es – so etwa im 19. Jahrhundert – Bestrebungen zu Vereinheitlichung parallel zu solchen der Zersplitterung. Im Umgang mit Minderheiten habe, so Švanda, Westeuropa sensibler reagiert als Osteuropa. Und er verwies auf einen anderen Aspekt: „Die Rechte des Einzelnen werden oft unterdrückt“. Als Sonderfall nannte er die Religionsfreiheit, da die Praxis der Religion oft als Privatangelegenheit angesehen wird. Mitunter habe die Auseinandersetzung zwischen Mehrheit und Minderheit auch zum Verlust der Minderheit geführt. Grundsätzlich empfahl Švanda viel Toleranz auf beiden Seiten, um positiv miteinander umzugehen.

Einen Schritt weiter bearbeitete der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten MdB Hartmut Koschyk die Thematik unter dem Gesichtspunkt „Minderheit, Nationalität, Volksgruppe – in der Mitte oder am Rande unserer Gesellschaft“. Er zollte den Veranstaltern Anerkennung für ihr zukunftsweisendes Handeln und die Pionierarbeit für Versöhnung. Zu den Minderheitenrechten stellte er fest, dass es in der EU trotz der Lissaboner Verträge nur ein Rahmenübereinkommen des Europarates gebe, ansonsten diese innerstaatlich zu klären seien. Deshalb forderte Koschyk auch bilaterale Abkommen (zwischen Deutschland und Tschechien bereits existent), ferner eine Empathie seitens der Mehrheit gegenüber der Minorität, und „nicht nur Toleranz, sondern innere Akzeptanz“. Speziell bei den deutschen Angehörigen der Sinti und Roma wünschte er die Teilhabe an Bildung, Gewährung von Hilfen zur Selbsthilfe sowie die multinationalen bzw. bilateralen Aspekte. „Minderheitenrechte dürfen nicht patriarchalisch angelegt sein, es sind starke Selbstverwaltungsstrukturen im eigenen Land nötig, ein Selbstbewusstsein in die eigene Kraft, die eigenen Rechte zu wahren“, empfahl Koschyk und verwies auf die Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse schloss Koschyk etwas nachdenklich. „Wenn man angesichts der Vorgänge in der Krim der Meinung ist, für Minderheitenrechte gebe es keinen Anlass, dann fehlt die Seele“. Und er nannte den Mährischen Ausgleich von 1905 als ersten revolutionären Ansatzpunkt für Minderheitenschutz.

Der Frage „Was bedroht die Minderheiten und warum fühlt sich die Mehrheit von der Minderheit bedroht?“ ging in ihrem Statement die Bürgerrechtlerin und Ombudsfrau der Tschechischen Republik Dr. Anna Šabatová nach. Als Grundlage sah sie die angeborene Angst vor der Andersartigkeit, dem Fremden, welche aber auch Menschen zusammenhält. Werden solche Aspekte wirksam, dann werden beispielsweise andere Sprachen oder Religionen aus der Gesellschaft verdrängt. Für ihren Staat nannte sie die „Roma“ als „Hauptproblem der tschechischen Gesellschaft“, was - im Gegensatz zu früher - nun unter anderem in mangelnden Kontakten am Arbeitsplatz, im Wohnort oder in der Schule seine Ursachen hat. Ferner stellte Šabatová fest, dass die tschechische Gesellschaft nach 1989 nicht auf Ungleichheiten vorbereitet gewesen sei. „Ohne ein Maß an Gleichheit können Minderheitenrechte nicht realisiert werden“, fasste die Ombudsfrau zusammen.

Unter dem Thema „Der Umgang mit anderen Kulturen als Prüfstein der Demokratie in unseren Ländern“ stand die Arbeitseinheit am Samstagvormittag. Der Abgeordnete im Bayerischen Landtag Martin Neumeyer nahm dazu Stellung in seiner Eigenschaft als Integrationsbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung. Anhand des Aspektes „Wählen“ machte er beispielhaft die Integration und die Teilhabe an der Demokratie fest. „Oft ist der Mensch mit einer anderen Sprache oder Religion Abgrenzungsopfer. Der Reifegrad einer Demokratie zeigt sich am Umgang mit Minderheiten“, verdeutlichte Neumeyer. Er plädierte für Respekt gegenüber Minoritäten und deren kulturelle Eigenarten, „aber ohne die Grundlagen des Zusammenlebens zu verlassen. Die Demokratie braucht täglich unseren Einsatz, sonst ist sie nicht lebensfähig“. Vor allem an die europäische Politik sowie die Medien richtete der Integrationsbeauftragte den Appell, mehr und vor allem Positives zu leisten. „Aber auch die Nationalstaaten sind gefordert, und die Menschen müssen bereit sein und qualifiziert werden“, schloss Neumeyer seine Ausführungen.

In der Podiumsdiskussion erläuterte Herbert Heuß, Leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, die Begriffe „Roma“ (Oberbegriff für verschiedene Gruppen) und „Sinti“ (größte Gruppe in Deutschland), die historischen und kulturellen Hintergründe (Literatur, Kunst etc.) des Begriffs „Zigeuner“ sowie die jüngsten Veränderungen nach der Wende in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, wo vielerorts „Elendssiedlungen entstanden“. Heuß regte an, seitens der EU alternative Möglichkeiten der Förderung zu schaffen (NGOs). Er sprach von einer „desolaten Situation, die sich in den 20 Jahren verschlechtert und nicht geändert hat“. Sein Fazit lautete: „Wenn die Demokratie bedroht wird, ist das auch eine Bedrohung für die Sinti bzw. Minderheiten. Ein Angriff auf Minderheiten ist auch ein Angriff auf die Demokratie“. Besorgt ist er über die Vernetzung rechtsradikaler Gruppen und die schwierige Zuordnung der politischen Lager. Daher appellierte er an die Verantwortung der Politiker und für eine „genaue Aufklärungsarbeit auch über schwierige Themen wie Zuwanderung“. Grundsätzlich sah er weniger ein ethnisches, eher ein Armutsproblem.

Einen Blick auf Ungarn, wo sich immer mehr Menschen zu Minderheiten bekennen, warf die Soziologin Dr. Éva Kovács aus Budapest. Allerdings verwies sie auch auf die fehlende finanzielle Unterstützung der Roma durch die Regierung seit 2010 und den Aufbau einer „romapolitischen Vernetzung“ bis in die unteren, kommunalen Ebenen. Auch in Ungarn gebe es – trotz Antisegregationsgesetz – spezielle Schulen und Klassen für Roma-Kinder und damit „keine Ideen bzw. Kraft zur Integration der Kinder“. Doch sie beschrieb auch positive Beispiele mit ethnisch geschlossenen Schulen.

Ein Video von gewalttätigen Demonstrationen gegen Roma zeigte die Prager Roma-Aktivistin Mariposa Čonková. „Auch wir Roma wollen einen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Angesichts solcher Angriffe können wir uns nicht zu unserer Roma-Identität bekennen“, kommentierte sie den Film und sprach von einem deutlichen Antiziganismus, den es zu bekämpfen gelte. „Es herrscht kein politischer Wille bei uns, dass es irgendwie anders wird“, fasste Čonková zusammen und riet, die Aspekte Arbeit und Armut auf der einen und Ethnie auf der anderen Seite nicht zu vermischen.

„Der Staat trägt dazu bei, dass die Anti-Roma-Stimmung in Tschechien wächst“, stellte die Publizistin Saša Uhlová fest. Vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Ängste in weiten Teilen des Landes seien viele „ganz normale Menschen“ in der Tschechischen Republik „latent sauer“, ihre negative Stimmung richte sich unter anderem gegen die Roma. Kritik übte sie auch an der Schulpolitik in Tschechien, wo Roma-Kinder in spezielle Schulen geschickt werden, sowie an manchen Medien, die dem Mainstream hinterherhecheln.

„Die Situation in der Mitte Europas ist entscheidend für Gesamteuropa. Deshalb ist es wichtig, die Befindlichkeit der Mitte Europas anzusprechen“, empfahl in seinem Grußwort am Sonntagvormittag der frühere Vizekanzler Österreichs Dr. Erhard Busek. Er riet den Europäern wie auch den Mehr- und Minderheiten, sich gegenseitig besser kennenzulernen, „den Anderen zu verstehen und ihm näher zu kommen“. In diesem Kontext verwies auch er auf Empathie, das Einfühlen in den Anderen, aber auch die Vielfalt Europas als Reichtum zu sehen und zu schätzen.

Als eine der wichtigen und großen Minderheiten in seinem Land nannte der Minister für Menschenrechte und Gleichstellung Jiří Dienstbier die Roma, wobei er aber auch von „größten Schwierigkeiten wegen der Verschiedenheit“ sprach. Vermutet werden in der Tschechischen Republik laut Dienstbier 250.000 bis 350.000 Roma, die unterschiedlich integriert sind – etwa ein Drittel leben in sozial ausgegrenzten Orten, wo es vermehrt zu Spannungen, Intoleranz und zum Teil Gewalt kommt. „Toleranz ist zu erreichen, wenn man die Probleme rational angeht“, forderte der Minister, aber auch eine langfristig und konzeptionell angelegte Lösung der sozialen Situation. Nicht zu vernachlässigen sind für ihn auch die Aspekte Wohnung und Bildung, vor allem Programme für Kinder. „Soziale Behinderungen dürfen nicht über den Schulbesuch entscheiden“, merkte Dienstbier an und nannte darüber hinaus den Aspekt Beschäftigung und Arbeit sowie die Verschuldung der Gesellschaft insgesamt. All das sind für ihn Aufgaben, „die eine einzige Regierung nicht schaffen kann, da es eine sehr langfristige Angelegenheit“ sei.

Mittel gegen Marginalisierung und Wege aus der Armutsfalle zeigten zum Abschluss des Symposiums die frühere niedersächsische Ministerin und jetzige Landtagsabgeordnete Aygül Özkan sowie der Parteivorsitzende der Grünen in Tschechien Ondřej Liška auf. Vor dem Hintergrund des künftig sehr hohen Anteils (ca. 50 Prozent) an Personen mit einem Migrationshintergrund in Deutschland plädierte Özkan für die Kenntnis der deutschen Sprache und für erhöhte Anstrengungen bzw. Konzepte in den Bereichen Bildung, Arbeit und gesellschaftliches Leben. Besonders das Ehrenamt kann für sie „eine Chance für das Zusammenleben“ sein. Sogar fünf Bereiche bzw. Pfeiler sieht Ondřej Liška als bedeutend zur Lösung der Probleme: Neben Bildung und Beschäftigung sind dies eine bessere Koordinierung der sozialen Dienste, Wohnen und Sicherheit. Unter anderem plädierte er für verstärkte inklusive Ansätze in der Praxis und in der Politik sowie für bürgerschaftliches Engagement. Auf dem Podium stellte Judit Marte-Huainigg von der Caritas in Wien einige mit EU-Geldern geförderte Projekte vor. Wie sie als Bürgermeisterin des 2500 Einwohner zählenden Ortes Obrnice/Obernitz mit einem Roma-Anteil von 40 Prozent das Zusammenwachsen der Bevölkerungsgruppen in den Griff bekommen hat, schilderte Drahomíra Miklošová. Und der Politiker David Beňák aus Prag machte deutlich, dass er durch seinen Beitritt zur sozialdemokratischen Partei zu einer Verbesserung der sozialen Situation der Roma beitragen möchte.

Am Samstagabend feierten die Tagungsteilnehmer in der Jakobskirche die Eucharistie. Hauptzelebrant war Abt em. Dr. Emmeram Kränkl (OSB) aus Schäftlarn, Konzelebranten waren Msgr. František Koutný und Mons. ThLic. Václav Slouk aus Brünn, der Geschäftsführer von Renovabis Pater Stefan Dartmann SJ aus Freising und die Diakone Richard Polák und Lubomir Müller. Die musikalische Umrahmung oblag dem Kinder- und Jugendchor der Brünner Philharmonie mit Jakub Janšta an der Orgel und unter der Gesamtleitung von Michal Jančík.

Beim anschließenden Empfang in der Burg Spielberg hießen die Vorsitzenden der beiden veranstaltenden Vereine Martin Kastler MdEP und Dr. Matěj Spurný die Tagungsteilnehmer willkommen, die in dann gemütlicher Runde einige Stunden den Gedanken- und Informationsaustausch pflegten.

Markus Bauer