Erfahrungen aus Mitteleuropa in neue Tätigkeit einbringen

Seit Mitte März ist der ehrenamtliche Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde, Martin Kastler, Leiter des Vorstandsbüros und des Planungsstabes bei der Hanns-Seidel-Stiftung und damit an deren Zentrale in München. Zuvor war er – ebenfalls bei der CSU-nahen Stiftung – Repräsentant und Regionalleiter für Tschechien, Slowakei und Ungarn mit Sitz in Prag sowie 2003 bis 2004 und 2008 bis 2014 Mitglied des Europaparlaments für die CSU. Der zudem seit 2010 als Bundesvorsitzender der Ackermann-Gemeinde wirkende Mittelfranke aus Schwabach ist also jetzt wieder beruflich im Freistaat zurück. Über seine Erfahrungen, Tätigkeiten und Prägungen in der EU und in Mittel- und Südosteuropa, sein neues Wirkungsfeld und die Motivationen zum Wechsel sprach er mit Markus Bauer.

M. Bauer: Sie waren nun gut sechs Jahre Repräsentant und Regionalleiter der Hanns-Seidel-Stiftung in Mitteleuropa mit Sitz in Prag und zuständig für Tschechien, Slowakei und Ungarn. Durchgängig insgesamt 13 Jahre Wirken im Ausland. Können Sie kurz diese Tätigkeiten skizzieren?

M. Kastler: Ich war die letzten Jahre tatsächlich mehr im Ausland tätig als in meiner Heimat. Das waren sehr spannende Jahre, gerade auch die letzten sechs Jahre als Repräsentant und Regionalleiter der Hanns-Seidel-Stiftung für Mitteleuropa. Das kann man nicht in einigen kurzen Sätzen beschreiben. Aber wie der Titel beschreibt: es war einerseits Repräsentieren unserer politischen, bayerischen Stiftung, die nach dem Bayerischen Ministerpräsidenten Hanns Seidel benannt ist: als eine politische Stiftung leisten wir viel in der politischen Bildungsarbeit, in der Arbeit für mehr Demokratie, für das Rechtsstaatsprinzip – für unser Europa. Wir haben zahlreiche Angebote an Stipendien, Weiterbildungsangeboten im Land. Auf der anderen Seite heißt Regionalleiter, dass ich für diese Projekte verantwortlich war. In den drei Ländern, für die ich zuständig war (Tschechische Republik, Slowakische Republik, Ungarn), sind wir jetzt schon teils mehr als 30 Jahre tätig.

M. Bauer: Demnach hat die Hanns-Seidel-Stiftung schon sehr bald nach 1989/90 dort Fuß gefasst?

M. Kastler: Relativ schnell nach der Wende sind wir, als eine doch kleinere politische Stiftung, in unsere Nachbarländer, die besondere Bedeutung für Bayern und für Deutschland haben, gegangen und haben dort mit Partnern gemeinsam Projekte gemacht. Wir haben bei der Transformation nach der Wende hin zu einer demokratischen Verwaltung geholfen. Ein wichtiger Aspekt damals war auch, den Bürgern in Uniform zu zeigen – eine demokratisch legitimierte Polizei. Übrigens ist auch heute noch die grenzüberschreitende Polizeiarbeit ein Arbeitsfeld der Hanns-Seidel-Stiftung. Dafür zeichnete ich in den letzten Jahren als Projektleiter für diese drei Länder Verantwortung. Ich denke, dass mein Team und ich in den drei Ländern viel geschafft haben, viele neue Akzente haben zu einer neuen Nachbarschaftspolitik, ja einer gelebten Nachbarschaft beigetragen, die auch bei Schwierigkeiten funktioniert.

M. Bauer: Sie sprachen von Partnern, mit denen Sie zusammengearbeitet haben. Können Sie das etwas konkretisieren?

M. Kastler: In all unseren Projektländern haben wir Kooperationspartner, die sich im Bereich der politischen Bildung engagieren. Das sind zum Teil Stiftungen, teils NGOs (Non-governmental organisations – Nichtregierungs-Organisationen, Anm. des Autors) oder auch Universitäten und Kirchen. Ein länderübergreifendes Ziel ist da zum Beispiel der europäische Dialog, die Stärkung des Europagedankens hin zu einem positiven Europabild, für die Gemeinsamkeit und Nachbarschaft von Tschechien und Bayern. Wir haben die längste Grenze miteinander und dadurch natürlich bestimmte Interessen, gerade im Grenzland. Gerade hier haben wir Flagge gezeigt und werden dies weiter tun.

Dafür gibt es unterschiedliche Kooperationspartner, mit denen wir zusammenarbeiten: einerseits im politischen Bereich – da spielen auch die Parteien, die der CSU nahestehen und innerhalb der Europäischen Volkspartei beheimatet sind, eine große Rolle. Aber auch im bürgerlichen Spektrum allgemein. NGOs sind zum Beispiel die großen Thinktanks (Denkfabriken), die sich mit Europa auseinandersetzen. In Prag etwa „Europeum“ oder die „Assoziation für Internationale Angelegenheiten“ (Asociace pro mezinárodní otázky – AMO), die Hochschule CEVRO, die Thinktanks TOPAZ (der TOP 09 nahestehend) oder das IKDP (Institut für christdemokratische Politik der KDU.CSL). Aber punktuell arbeiten wir immer wieder mit dem Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, Antikomplex, der Sdružení Ackermann-Gemeinde, deren Jugendorganisation Spirála und auch dem Sudetendeutschen Büro in Prag zusammen. Da sind ganz tolle Sachen entstanden: ich nenne nur das Buch „Das verschwundene Sudetenland“, das die NGO „Antikomplex“ gemacht hat. Oder eine Veranstaltung, bei der Erinnerungen an die Ereignisse 1968 im Mittelpunkt standen. In der Slowakei ist es eine ähnliche Auswahl: die dort engagierten Volksparteien, leider momentan alle Opposition oder außerparlamentarische Opposition. Wir haben in der Slowakei aber auch sehr interessante Partner aus dem Thinktank-Bereich: zum Beispiel GLOBSEC, das Bratislava Policy Institute und das Institut für Öffentliche Fragen (IVO). Aber auch mit kirchlichen Institutionen arbeiten wir zusammen: beispielsweise mit dem Forum christlicher Institutionen (Dachorganisation christlich orientierter Vereine, Anm. des Autors) mit engagierten Laien, die sich auch politisch einbringen wollen. Es gibt eine Partnerschaft zwischen dem Katholischen Landvolk in Bayern und dem Institut in Bratislava, wo Fragen der ländlichen Entwicklung im Fokus stehen. In Ungarn haben wir mit der deutschsprachigen Universität, der bekannten Andrássy-Universität, eine sehr gute Partnerschaft. Hier geht es um Europa und um die Zusammenarbeit der mitteleuropäischen Länder. Oder auch mit dem Matthias-Corvinus-Kolleg, das jetzt auch ein Deutsch-Ungarisches Institut gegründet hat. Aufgrund der manchmal schwierigen deutsch-ungarischen Diskussionen habe ich in Budapest einen regelmäßigen „Bayern-Abend“ ins Leben gerufen, der hoffentlich auch nach dem Austritt von Fidesz aus der EVP weiter ein wichtiges Gesprächsforum bleibt.

M. Bauer: Können Sie für die drei Länder besondere Projekte nennen und kurz beschreiben?

M. Kastler: Da möchte ich als erstes den „Mitteleuropa-Dialog“ nennen, den ich gleich zu Beginn meiner Tätigkeit gegründet habe: junge politische Talente aus Ungarn, aus der Slowakei und Tschechien kamen hier zusammen, abwechselnd in deren Ländern, und sie kamen auch nach Brüssel, Berlin oder nach München oder Passau. Man reflektiert dabei die aktuelle europäische Politik aus Sicht Mitteleuropas im Dialog mit deutschen jungen Talenten, Wissenschaftlern, Journalisten und Politikern. In Ungarn sind wir schon lange und überaus erfolgreich in einem Bereich tätig, der parteipolitisch leider eine untergeordnete Rolle spielt: der Inklusion, also im sozialen Bereich, ganz konkret im Feld der Roma-Strategie. Seit einigen Jahren sind wir hier fester Partner der traditionellen Kirche in Ungarn, die sich auch sehr stark um die Roma-Minderheit kümmert. Wir haben hier zudem eine Aufgabe, die man uns als politische Stiftung nicht unbedingt sofort ansieht. Wir arbeiten aktiv in den so genannten Aluumni-Netzwerken der Roma-Studenten mit, begleiten sie neben dem Studium und geben Unterstützung, zum Beispiel letztes Jahr auch technisch, als plötzlich durch den Lockdown nur noch Homeschooling bzw. home university möglich waren. Man kann sich in der EU gar nicht vorstellen, welche Lebensbedingungen zum Teil hier noch vorherrschen. Ich werbe ständig für mehr Verständnis für die Menschen in Mittel- und Osteuropa. Sie wollen aufholen, bessere Lebensbedingungen und Standards erreichen – und da besonders die Roma. Leider hat uns die Corona-Pandemie gerade in sozialen Brennpunkten wieder zurückgeworfen. Auf diese Arbeit, die hier in Budapest schon seit Jahren geleistet wird, bin ich sehr stolz. Die Hanns-Seidel-Stiftung ist dort in einem sozialen Brennpunkt engagiert, wo sonst viele wegschauen.

In der Slowakei liegt unser Schwerpunkt auf der Förderung (junger) Frauen in der Politik. Dazu haben wir in den letzten sechs Jahren zwei aufeinander aufbauende Studien in Zusammenarbeit mit dem renommierten Institut für öffentliche Fragen erarbeitet. Die Ergebnisse flossen in die Projektarbeit vor Ort. Wir fördern vor allem Frauen in politischen und gesellschaftlichen Organisationen und tragen dazu bei, deren Position in Staat und Gesellschaft stärker zu verankern. In Tschechien hingegen sind wir seit meinem Amtsantritt unter anderem Partner des großen „Prague European Summit“ des Außenministeriums und des „Czech-German-Professionals Programmes“, das AMO ins Leben gerufen hat. Besonders am Herzen lag mir die Zusammenarbeit mit Jugendlichen und politischen Jugendorganisation. Junge Leute für Politik und politische Zusammenhänge zu sensibilisieren, war eine durchwegs spannende Aufgabe: Hunderte Konferenzen zu allen wichtigen Themen der Welt- und Europapolitik sowie Dutzende Simulationen vom Gemeinderat bis hin zum Europaparlament haben wir durchgeführt. Und das Schönste ist: daraus sind schon richtig engagierte junge Demokraten erwachsen, einige engagieren sich nun auch politisch in der Parteiendemokratie Tschechiens. Das ist der Dreiklang unserer Projektarbeit in den drei Ländern: Jugend, Frauen und Roma.

Es hat Freude gemacht, hier einen Beitrag zu leisten, die Kooperationen zu festigen und auch neu auszurichten.

M. Bauer: Tschechien, Slowakei und Ungarn sind ja Dreiviertel der Visegrád-Staaten – es fehlt nur Polen. Worin liegen Ihrer Ansicht nach die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede dieser drei Staaten – auch mit Blick auf autokratische/populistische Strukturen in der Politik?

M. Kastler: Leider sind wir als Hanns-Seidel-Stiftung zurzeit aus personellen und finanziellen Gründen nicht in Polen vertreten. Das ist schade, wir wären gerne auch dort stärker verankert. Aber das werden wir in der Zukunft in der Zentrale stärker diskutieren, auch wie wir uns künftig in den Visegrád-Staaten insgesamt aufstellen werden, so dass die Hanns-Seidel-Stiftung dann in allen vier Visegrád-Staaten vor Ort ist.

Die Visegrád-Länder darf man als eine Staatengemeinschaft nicht überbewerten, aber auch nicht unterschätzen. Es ist für mich – das zeigt mir auch meine langjährige Erfahrung in der Europapolitik – deutlich geworden: Visegrád ist eine „Pressure Group“, eine Art Interessensvertretung, die versucht, für Mitteleuropa und dessen Interessen stärker Gehör zu finden. Es hat sich von einem eher kulturellen Bereich weiterentwickelt hin jetzt auch zu politischen Fragen. Diese Richtung zeigte sich offensiv 2015, als es bei der Migrationsdebatte bzw. bei der Flüchtlingskrise große Meinungsunterschiede in der EU gab, vor allem zwischen den Ländern in Mittel- und Osteuropa auf der einen und den west- und nordeuropäischen Ländern auf der anderen Seite. Daher ist „V4“ nicht etwas, das wir einfach vom Tisch wischen können, sondern etwas, womit wir uns auseinandersetzen müssen. Das machen auch die Regierungen in Berlin und in Wien – und ich denke auch die Staatsregierungen in Bayern und Sachsen als direkte Nachbarn zu den Ländern. Aber wir stellen auch fest, dass „V4“ ein heterogener Zusammenschluss ist. Die politischen Meinungsunterschiede existieren zwischen Budapest und Warschau, zwischen Prag und Warschau, zwischen Bratislava und Budapest. Es gibt Themen, bei denen man sich schnell einigt, wo man dann auch als „Pressure Group“ in Brüssel auftritt: Zum Beispiel: Wie in Zukunft in Europa Rechtsstaatlichkeit betrachtet wird, wie die Fördermittel verteilt werden, wie die Energiepolitik aussieht. Da merke ich eine ganz andere Haltung in den V4-Ländern als wir sie in Deutschland oder in anderen westeuropäischen Ländern sehen. Da schließen sie sich in einer Vierergruppe zusammen, die manchmal bei bestimmten Themen sogar noch erweitert wird, dann nennen sie sich V4 plus. Da ist dann manchmal Österreich dabei, manchmal Deutschland. Es ist aber kein festes Format. Sie möchten damit etwas Spielraum gewinnen. Da alle vier eher kleinere Länder sind, möchten sie sich gegen den großen Nachbarn behaupten und zeigen, dass sie gemeinsam stärker sind. Diesen Aspekt habe ich immer wieder erlebt, und zum Thema V4 wurden wir bei der Stiftung auch immer wieder angefragt,  Veranstaltungen zu machen.

M. Bauer: Wie sind Sie in Ihrer Arbeit als Vertreter der Hanns-Seidel-Stiftung, einer der CSU nahestehenden Einrichtung, damit umgegangen? Gab es Konflikte (Stichwort: Austritt der ungarischen Fidesz-Abgeordneten aus der EVP-Fraktion) oder stand „friedliche Koexistenz“ an der Tagesordnung?

M. Kastler: Das war natürlich schon ein Balance-Akt, den ich hier in den Jahren meiner Tätigkeit austarieren durfte. Die Schwierigkeiten zwischen Fidesz und der EVP, auch der CSU, waren dauerhaft auf meinem tagespolitischen Tableau. Da musste ich immer aufpassen, was los war. Es gab aber auch immer einen regen Gesprächsfaden. Der ist nie abgebrochen, und das war mir auch besonders wichtig. Eine politische Stiftung wie die Hanns-Seidel-Stiftung ist (und bleibt) immer auch eine Brücke. Wenn im Umfeld Schwierigkeiten und Stürme aufziehen (und momentan ist der Sturm zwischen EVP, CSU und Fidesz sehr groß), dann steht unsere Brücke, die wir schon seit Jahrzehnten gebaut haben, auf einem festen Fundament. Die Stiftung und die Kooperationspartner vor Ort bauen auf diesem starken Fundament auf. Wir bauen weiter die Brücke, wir machen sie sturmfest, auch für die nächste Zeit. Denn es ist klar: Ungarn und Bayern haben eine Jahrhunderte alte gemeinsame Geschichte und Tradition, Verbundenheit und Freundschaft, so dass eine aktuelle Partei-Fehde zwischen den jetzt regierenden Parteien in Budapest, Berlin und München nicht dazu führen kann, dass die Freundschaften und die wirtschaftlichen Verbindungen sowie familiäre Bindungen und unsere gemeinsame Kultur in Mitteleuropa darunter leiden sollen. Auch in Zukunft wird das ein ganz wichtiges Band bleiben. In den letzten sechs Jahren war die Frage nach dem Verbleib der ungarischen Fidesz in der EVP dauerhaft – auch die Frage: Wie verändert sich die EVP? Wohin steuern CDU und CSU – Werden sie wieder konservativer oder liberaler, mit wem arbeitet man wo zusammen? All diese Aspekte waren schwierig. Aber wir haben nie den professionellen und persönlichen Draht verloren. Dieses feste Wurzelgeflecht wird auch die momentanen Stürme überdauern.

M. Bauer: Was nehmen Sie aus diesen gut sieben Jahren Arbeit in Prag mit – für Ihr künftiges berufliches Arbeitsfeld bei der Hanns-Seidel-Stiftung in München und für Ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten, die Sie ja weiter ausüben werden? (Ackermann-Gemeinde, Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Zukunftsfonds usw.)

M. Kastler: Zum einen habe ich ganz wunderbare Menschen und Mitarbeiter kennengelernt, die mir Land und Leute nähergebracht haben. Ich konnte auch Landschaften und Regionen entdecken, die ich vorher noch nicht gekannt hatte. Aber auch Brennpunkte, die nicht jeder unbedingt gerne sehen möchte. Aus diesen Ländern bringe ich viele neue Erfahrungen nach Bayern mit – und ganz viele Vorschusslorbeeren: denn in diesen Ländern schaut man auf Deutschland – und primär auf Bayern. Dass wir in diesen Ländern so eine Wertschätzung haben, das ist etwas Besonderes. Dies sollte man nicht verspielen – auch nicht durch unachtsame Äußerungen in den Medien. Ich denke, es gibt in diesen mitteleuropäischen Ländern eine wirklich tiefe Basis und Anerkennung für die Leistungen in Deutschland und mag das Lebensgefühl und die Menschen in Bayern. Man sieht, wie prosperierend dieses Land agiert, dass die Menschen hier gut leben, sie viele Chancen haben. Diese Nähe der Menschen zu uns, die ich erleben durfte, nehme ich gerne in meine neue Aufgabe und Arbeit mit. Und dies alles kann mir auch niemand nehmen. Und es prägt mich für mein weiteres Berufs- und Privatleben. Ich durfte so viel Schönes erleben. Die vertiefte Nachbarschaft bzw. Partnerschaft Bayerns mit den Nachbarländern ist daher etwas, das ich weiterhin in meiner beruflichen Tätigkeit fördern will.

Ich übernehme nun die Funktion des Leiters des Vorstandsbüros und des Planungsstabes. Die Erfahrungen dieser vielen Jahre Arbeit in Europa (als Europaabgeordneter und als Repräsentant der Hanns-Seidel-Stiftung in Prag) habe ich natürlich in allen strategischen Überlegungen wie auch im operativen Geschäft im Kopf. Das prägt, und ich werde es in meinen neuen Beruf und in mein privates ehrenamtliches Engagement mitnehmen. Das sind alles Tätigkeiten, die man lebt. Ich bin sehr dankbar für die Erfahrungen und Möglichkeiten im Dienste der Hanns-Seidel-Stiftung.

M. Bauer: Welche Motivation hatten Sie für den Wechsel? Sie haben eine tschechische Ehefrau und drei Kinder, die zweisprachig aufwachsen und noch zur Schule gehen. Wie stehen die zur neuen Situation? Gibt es schon Schulen für die Kinder, Wohnung und „Anschluss“ in München?

M. Kastler: Der Vorstand der Hanns-Seidel-Stiftung hat die Stelle neu ausgeschrieben und überlegt, wer das denn machen kann. Bei der Ausschreibung bin ich dann zum Zuge gekommen. Ich selbst bin ja quasi ein „Eigengewächs“ der Stiftung, vom Stipendiaten angefangen bis zur heutigen Arbeit. Die vielen Jahre Auslandserfahrung und Personalverantwortung waren sicher wichtig.

Dass ich seit Jugend an Europäer bin und das auch lebe, ist etwas sehr Schönes. Meine ganze Familie, wir alle sind gerne Europäer. Gerade unsere Kinder haben viel erfahren wie es ist, mal nicht in der Heimat, wo man geboren ist, aufzuwachsen und zu leben, sondern in einer anderen Gesellschaft mit einer anderen Kultur – auch wenn die in Prag sehr ähnlich zu der ist, die sie aus Franken kannten. Aber das Leben in einer Metropole wie Prag ist etwas anderes als in einer kleinen mittelfränkischen Stadt. Das ist sicher etwas, was sie für ihr Leben prägen wird – ob die Besuche im Nationaltheater oder in der Oper, der Unterricht in einer internationalen Schule, der Deutschen Auslandsschule (dsp), die deutschsprachige katholische Gemeinde in Prag und die Freundschaften, die gewachsen sind. Ich hoffe, dass sie da viele gute Erfahrungen für ihre Zukunft mitnehmen. Und natürlich die Sprache: wie oft habe ich meinen Großvater zitiert: „So viel Sprachen du sprichst und kannst, so oft bist du Mensch.“ Diesen Satz haben meine Kinder sehr oft gehört, und ich hoffe, sie leben es auch.

In Zukunft werden wir uns wieder auf Bayern und das bayerische Schulsystem einstellen. Das ist bei den Internationalen Auslandsschulen, die von der Kultusministerkonferenz anerkannt sind, möglich. Mal sehen, wie das funktioniert. Zunächst gehen wir alle nach Hause nach Schwabach, ich pendle nach München und schaue, was sich dann ergibt.

M. Bauer: Mit Ihrer Tätigkeit als Bundesvorsitzender der Ackermann-Gemeinde und als Co-Vorsitzender des Verwaltungsrates des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds haben Sie ja deutsch-tschechische bzw. deutsch-slowakische Inhalte. Welche Rolle spielen künftig diese Länder (und auch Ungarn) in ihrer beruflichen und weiteren ehrenamtlichen Arbeit?

M. Kastler: Ich werde in meiner neuen Arbeit bei der Hanns-Seidel-Stiftung ja mit Belangen des ganzen Hauses konfrontiert, mit allem, was den Vorstand und die Geschäftsleitung betrifft. Daher werde ich meinen Aktionsradius beruflich weiter öffnen als nach Mitteleuropa. Es ist eine interdisziplinäre Aufgabe, die alle unsere Abteilungen betrifft – viel Operatives und durch den Planungsstab auch viel Strategisches. Ich bin echt gespannt, wie es wird, und freue mich auf die enge Zusammenarbeit mit dem Vorsitzenden und Generalsekretär, denen ich zur Seite stehe. Gerade aber im Ehrenamt werden „meine Länder“ weiterhin eine sehr große Rolle für mich spielen.

Martin Kastler HSS Prag
Martin Kastler, im Sommer 2020 vor dem Hradschin in Prag, verließ die Moldaumetropole und ist nun beruflich in München tätig. (Foto: privat)