Eröffnung der Ausstellung „Forgiveness. Geschichten von Umgang mit Leid, Verletzung und Vergebung“ in München.
Am Montag, den 9. September 2013, wurde die internationale Wanderausstellung „Forgiveness“ eröffnet, die die Ackermann-Gemeinde in Zusammenarbeit mit dem Erzbischöflichen Ordinariat München und Freising zeigt und die vom 10.-21. September in der ehemaligen Karmeliterkirche in der Münchner Innenstadt zu sehen ist. Rainer Karlitschek, Mitglied des Diözesanführungskreises der Ackermann-Gemeinde München und Dramaturg an der bayerischen Staatsoper, begrüßte die ca. 60 Teilnehmer mit den Worten aus Mozarts Oper Le nozze di Figaro: „Nachgiebig bin ich und ich verzeihe.“ Vergebung als ein wichtiges, aber eben auch manchmal sehr schwer erreichbares Moment in den menschlichen Beziehungen – das ist das Thema des Ausstellungsprojektes, der ursprünglich in Großbritannien ins Leben gerufen wurde.
Wie wichtig es ist, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, unterstrich in seiner Ansprache auch Msgr. Thomas Schlichting, der die Teilnehmer im Namen des Erzbischöflichen Ordinariats begrüßte. Traumata der Erfahrungen von Missbrauch und Gewalt lassen sich nicht vergessen, so Msgr. Schlichting, sie verschwinden einfach nicht und so bleibt die direkte Konfrontation und Vergebung der einzige Ausweg aus ihrem Gefängnis. Für die Ackermann-Gemeinde in der Erzdiözese München und Freising sprach das Grußwort Anita Langer, Vorsitzende des Diözesanführungskreises. Sie bedankte sich bei den Teilnehmern für ihr Kommen betonte, dass die Ausstellung einen Beitrag für friedliche Zukunft ganz im Sinne der Ackermann-Gemeinde bedeutet. Zwar sei das Thema eine überkonfessionelle Problematik, doch nehme es für die Ackermann-Gemeinde eine besondere Bedeutung in ihrer Bemühung ein, sich aus christlicher Verantwortung für die Versöhnung und Zusammenarbeit der Völker einzusetzen.
Dr. med. Martin Grabe, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie aus Oberursel, hielt den Eröffnungsvortrag zum Thema „Vergebung. Wege zu einem befreienden Umgang mit Verletzungen“. Anhand seiner reichen Erfahrungen mit traumatisierten Menschen, die Unrecht und Leid erlitten hatten, konnte er dem Publikum die Schwierigkeiten und Etappen des manchmal sehr langen inneren Prozesses erklären, der sich bei den Menschen an die Unrechtserfahrung anschließt. Wird diese nicht richtig aufgearbeitet, bleibt der Groll im Inneren des Menschen zurück, der zwar immer mehr an Intensität verleiert, je weiter in der Vergangenheit die Erfahrung liegt, kann aber dauerhaft zu einer negativen Lebenseinstellung führen. Unter Vergebung, die eine Befreiung von diesem Groll bedeuten kann, versteht man, dass das Opfer auf eine vollständige Vergeltung freiwillig verzichtet, es von dem Täter bewusst nicht mehr verlangt.
In der Psychotherapie geben es theoretisch drei Möglichkeiten, wie man dies erzielen kann, die jedoch in der Praxis immer mehr oder weniger erfolgreich anwendbar sind, je nach den Umständen und Grad der Verletzung. Bei „leichteren“ Fällen von Verletzungen oder Beleidigungen kann das Verstehen helfen, bei dem nicht so die Größe des Schadens eine Rolle spielt, als die Fähigkeit, sich das Verhalten der Menschen in ihren Kontext anzuschauen. Der Wille zum Verständnis davon, was die Menschen bewegt kann zum Erkenntnis dessen führen, was aus der Sicht des Täters eigentlich passiert ist und je mehr davon man versteht, desto weniger bleibt von der Masse übrig, die zu vergeben ist.
Ein zweiter Weg zur Vergebung stellt die Relativierung dar, die durch Vergleich des erlittenen Unrechts mit dem, was man selber angerichtet hatte, erfolgt. Das Erlittene wirkt nicht mehr so eindrucksvoll, betrachtet man gleichzeitig den Berg eigener Schuld. Somit stellt die Relativierung auch eine Möglichkeit dar, die eigene Schuld überhaupt wahrzunehmen, und ist besonders im spirituellen Bereich hilfreich.
Bei schweren Verletzungen, die tief in das Innere der Menschen eingedrungen sind, kann man jedoch nur selten sowohl die Methode des Verstehens als auch die der Relativierung erfolgreich anwenden. Der entscheidende Moment in diesen Fällen stellt nämlich nicht der Wunsch nach dem Verstehen oder Relativieren dar, sonder die Erkenntnis, der negativen Gedanken endlich los zu werden, die viele schwer verletzte Menschen Tag und Nacht nicht in Ruhe lassen oder immer wieder neu aufkommen. Ein notwendiges Mittel dafür ist ein Ausgleich im Sinne einer Wiedergutmachung, d.h. der Täter muss für seine Tat bezahlen. Jedoch gibt es mehrere Möglichkeiten einer solchen Wiedergutmachung, uns nicht alle führen zu einer befreienden Vergebung. Eine davon ist eine rein materielle Wiedergutmachung, bei der man die Schulden bei dem Opfer begleicht. Allerdings kann dies bei tiefen seelischen Schaden verständlicherweise nicht erfolgen, bei denen das Geschehene nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Eine andere und oft bevorzugte Option ist die Rache, die jedoch nie funktionieren kann, weil sie zwar die Emotionen des Opfers für bestimmte Zeit befriedigen, die entstandene Schuld aber nicht begleichen kann. Zudem erfolgt die emotionale Befriedigung um den Preis einer neuen Verletzung, macht so das Opfer selbst zum Täter und öffnet eine Spirale von Rache und Gegenrache. Außerdem wird somit das Opfer von stetigen Hassgedanken vernichtet, sodass es auch im Leben nie wirklich froh werden kann.
Die einzige Möglichkeit eines dauerhaft heilenden Ausgleichs stellt so eine „Delegation des Ausgleichs“ dar, die im spirituellen Bereich die Vergebung auf die Ebene einer übergeordneten, gerechten Instanz verlagert und die Rache szs. auf „Gottes Schreibtisch“ abgibt. Dafür muss aber zunächst der Wunsch entstehen, von den Hassgedanken endlich los zu werden. Das Opfer muss also zunächst zu dem Erkenntnis kommen, dass der Hass für es eine seelische Kette bedeutet, die ihm mehr schadet als nützt. Schließlich erfolgt also die Vergebung oft nicht anders als der Wille, die alten Geschichten endlich hinter sich zu lassen.
Nach dem interessanten Vortrag von Dr. Grabe erfolgte eine kleine Diskussionsrunde, bei der die Teilnehmer Möglichkeit hatten, sich an den Referenten mit ihren Fragen zum Thema Vergebung zu wenden. Mit einem Sektumtrunk wurde dann die Ausstellung feierlich eröffnet und von den Teilnehmern besichtigt. Damit kam auch der durchaus interessante Abend zum Ausklang, der den Teilnehmern sicher viele Impulse für das eigene Leben geben und neue Perspektiven öffnen konnte, wie es schließlich auch das Anliegen der ganzen Ausstellung darstellt.