Gemeinsam gefordert! Gemeinsam als tschechische und deutsche Christen aktiv?

Nun sind wir wieder im Alltag angekom­men nach den schönen und anregenden Begegnungen und Erfahrungen in Budweis – und nun? Was ist beim Bundestreffen deutlich geworden für unsere Gemeinschaft, was ist Stand der Dinge und welche Perspektiven zeichnen sich ab? Diese Fragen werden sicher vielerorts in der Ackermann-Gemeinde, in Tschechien wie in Deutschland, miteinander bedacht – dabei ist es wichtig, die gewonnenen Einsichten einander mitzuteilen, damit wir weiterkommen mit Antworten auf die heutigen Herausforderungen, die wir als Christen, als Tschechen und Deutsche, als Europäer erkennen.

Gemeinsamkeit als Normalfall

Mir ist aufgefallen, wie Vieles an Gemeinsamkeit inzwischen „normal“ geworden ist für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer: die feierlichen, in Wort und Lied selbstverständlich zweisprachigen Gottesdienste vor allem, zu denen der „Rohrer Sommer“ auch in der Auswahl der musikalischen Gestaltung viel beigetragen hat. Da haben die Kontakt-Kultur von verschiedenen aktiven AG-Gruppen mit ihren Partnerschaften zu tschechischen Diözesen, die grenzüberschreitende Zusammensetzung des „Rohrer Sommers“ und insbesondere die Erfahrungen der Jungen Aktion uns wirklich geholfen, Gemeinsamkeit erfahrbar zu machen. „Normal“ erscheint inzwischen auch der Umgang mit Zweisprachigkeit bei den Podiums-Veranstaltungen, so dass Übereinstimmungen wie auch Unterschiede nachvollziehbar wurden. Wie sehr die öffentlichen Diskurse und damit die Rahmenbedingungen des Handelns in den beiden Nachbarländern manchmal auseinanderklaffen, unterstreicht die Notwendigkeit solchen gemeinsamen Nachdenkens und Redens.

Methodisch scheint mir jetzt der nächste Schritt fällig zu werden: wie lässt sich der inhaltliche Austausch und eine gemeinsame Zielbestimmung in sprachlich gemischten Kleingruppen zur Weiterführung der Podiumsgespräche gestalten? Natürlich gab es einen Meinungsaustausch über die Sprachgrenzen hinweg, besonders bei der jüngeren Generation, aber oft blieb das Gespräch doch im jeweils eigenen Kreis. Auch hier zeigte sich ein „Vorsprung“ bei Aktiven und bei der Jungen Aktion, von dem wir auch bei großen Veranstaltungen weiter lernen können.

Bei den thematischen Vormittagen, die zentrale Elemente des zweisprachigen Mottos durchzubuchstabieren hatten, wurden einige Herausforderungen sehr deutlich. Eine solche formulierte vielleicht Fürst Schwarzenberg am klarsten: „Die seligen 25 Jahre der Nachwendezeit sind vorbei“. Und gerade in schwierigen Zeiten gibt es „die Pflicht, seinen Verstand zu nutzen“.

 

Fehlendes „europäisches Narrativ“

Die Generation, die von der Erfahrung der Weltkriege geprägt war und die europäische Einigung als ein Projekt der Friedenssicherung vorangetrieben hat, ist abgetreten; die globalen Entwicklungen und der damit einhergehende relative Bedeutungsschwund der europäischen Staaten führt zu Verunsicherung und damit auch zu Verweigerung gegenüber der nötigen Durchdringung komplexer Zusammenhänge, was mancherorts Populisten und dem Nationalismus Vorschub leistet. Lethargie, Bequemlichkeit, so hat es der ehemalige EU-Kommissar Füle bemerkt, ist der schnellste Weg zum Populismus; der Rückfall in die alten nationalstaatlichen Muster löst keines der aktuellen und zukünftigen Probleme. Es fehlt an einem neuen „europäischen Narrativ“, also an einer von vielen Menschen als zutreffend beurteilten Idee, warum die europäische Einigung notwendig wurde und weiterhin ist und wie sie weitergehen sollte.

Eine solche „Erzählung“ kommt unter anderem durch öffentliche Diskurse zustande, durch die Diskussion von Möglichkeiten und Alternativen, durch grenzüberschreitende Erfahrung, durch Bildungsarbeit. Aktiv sein heißt also in diesem Zusammenhang, Themen und Anforderungen der europäischen Einigung aufzugreifen in Ak­tionen und Veranstaltungen – nichts Neues für die Ackermann-Gemeinde, aber es verlangt nach aktuellen Akzenten und Durchhaltevermögen.

Humanität ein europäisches Erbe

Ein paar Stichworte aus den Beiträgen der Referenten warten darauf, weiter diskutiert zu werden: P. Dr. Leitgöb sprach von Europa als einem „Kontinent prekärer Humanität“, also von der Gefährdung der in den europäischen Verfassungen und Kulturen gemeinsam errungenen Standards der (Mit-)Menschlichkeit: durch Ohnmachtsgefühle, Angst, fehlende Solidarität – auch vor dem Hintergrund der Situation der heutigen Flüchtlinge, die in Europa Schutz suchen. Wer die Erfahrung des Heimatverlustes in der eigenen Familiengeschichte hat, müsste besonders aufmerksam sich den Menschen zuwenden, die heute mit einem solchen Verlust eine neue Lebensmöglichkeit suchen. Humanität als Element der europäischen Idee – was können wir dazu gemeinsam sagen und tun als tschechische und deutsche Christen?

Professor Renöckl wies darauf hin, wie ein technologisches Weltverständnis, zu dem Steigerung von Effizienz und der Wettbewerb um Rohstoffe gehört, zu einer Konkurrenz zwischen Staaten führt und die Idee des Gemeinwohls zurückdrängt. Identifikation mit einem Gemeinwesen wird aber ermöglicht durch die Erfahrung, „dass es einigermaßen gerecht zugeht“. Soziale Gerechtigkeit als unabdingbares Element eines „euro­päischen Narrativs“ – wie können wir als zivilgesellschaftliche Gruppe – ganz besonders, weil wir nicht auf ein Land beschränkt sind – den daran arbeitenden Politikern Anregungen und Unterstützung geben?

Als Christ sprachfähig sein

Bischofsvikar Dr. Eliaš machte deutlich, dass der einzelne Christ mit seiner Sachkompetenz und Dialogbereitschaft gefordert ist, dass er nicht in einer Parallelwelt zur übrigen Gesellschaft lebt, sondern in ihr christliche Werte wie die Hinwendung zu Ausgegrenzten lebt. Akzeptanz durch andere fußt auf fachlicher Qualität im jeweiligen Feld, nur dann ist Inkulturation des Christlichen möglich. Sinnsuche, darauf machte Frau Nováková aufmerksam, ist heute in ganz Europa ein großes Thema – um hier hilfreich sein zu können ist es wichtig, die eigene Verwurzelung und die Begründung dafür zu kennen. Wir brauchen weiter Orte des gemeinsamen Nachdenkens über das, was uns trägt, motiviert und wertemäßig prägt – auch, damit wir unter den heutigen Bedingungen sprachfähiger werden. Haben wir schon genug Gelegenheiten entwickelt, uns dazu als tschechische und deutsche Christen auszutauschen?

Unsere Bringschuld

Viele Hinweise aus den Podien wurden am Sonntag von Alois Glück, dem Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, gebündelt, als er von „unserer Bringschuld“ sprach: das christliche Menschenbild, das allen Menschen gleiche Würde zuspricht, wird schleichend infrage gestellt – es muss immer neu dargestellt und begründet werden. Ein christliches Lebensmodell verbindet Freiheit und Verantwortung, das heißt absehbare Konsequenzen von Entscheidungen müssen einbezogen und verantwortet werden – eine Entkoppelung von Freiheit und Verantwortung ist die Quelle vieler Fehlentwicklungen. Die zentralen Pfeiler der christlichen Soziallehre – Personalität, Solidarität, Gerechtigkeit – drücken sich in Rechtsstaatlichkeit und Gemeinwohlstreben aus; das muss in der öffentlichen Debatte immer wieder eingefordert und konkretisiert werden. Zukunftsverantwortung für die ganze Welt und kommende Generationen ver­langt Nachhaltigkeit und die Anstrengung des Verstehen- und Gestaltenwollens ebenso wenig zu scheuen wie das öffentliche Engagement.

Mit dem so skizzierten Koordinatensystem gilt es umzugehen und weiter aktiv zu sein – ich bin gespannt, wie es uns gelingen wird, die Anstöße aus Budweis gemeinsam fruchtbar werden zu lassen.

 

Dr. Barbara Krause

Mitglied des AG-Bundesvorstandes

Aktuelle Fragen und gemeinsame Herausforderungen wurden nicht nur auf den Podien diskutiert. Hier präsentieren im Hintergrund die Busleiter die sieben südböhmischen Ziele der Sternfahrt zu verschiedenen Orten der sozialen und pastoralen Arbeit bzw. der grenzüberschreitenden deutsch-tschechischen Kontakte. (Foto: ag)