„Ich hoffe, dass die Slowakei eine Demokratie bleibt!“ - Themenzoom über den Regierungswechsel in der Slowakei
Bereits am Tag nach Neujahr – am ersten Dienstag im Monat – stieß der neue Themenzoom der Ackermann-Gemeinde auf großes Interesse: An 63 Computern verfolgten meistens sogar mehrere Personen die Ausführungen des Tschechischen Botschafters in der Slowakei, Rudolf Jindrák. Er gab seine Einschätzungen und Erfahrungen zur politischen Situation in eben diesem Land, wo bei den Wahlen im vergangenen Herbst erneut Robert Fico als Sieger hervorgegangen ist.
„Immer wieder sind neue Leute dabei“, freute sich Moderator Rainer Karlitschek, der aus der Schweiz, wo er beruflich tätig ist, durch den Zoom führte. Natürlich waren die weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland und Tschechien. „Rudolf Jindrák war damals der jüngste Generalkonsul“ erinnerte Karlitschek an dessen Wirken zu Beginn der 1990er-Jahre in München. Es folgten Botschaftertätigkeiten in Deutschland, Österreich und Ungarn sowie die Aufgabe als Direktor der Auslandsabteilung der tschechischen Präsidialkanzlei. Seit 2023 ist er Botschafter Tschechiens in der Slowakei, womit sich für ihn sozusagen ein Kreis schloss, da seine Mutter aus der Slowakei, konkret aus der Zips, stammte. Der Moderator ging kurz auch auf die Parlamentswahlen in der Slowakei ein, die der Linkspopulist Fico erneut gewann und damit Ministerpräsident wurde, obwohl er vor fünf Jahren wegen Korruptionsverdacht und der mutmaßlichen Verstrickung in den Mord an dem Journalisten Ján Kuciak und dessen Verlobten Martina Kušnírová zurückgetreten war. Ficos Wahlkampf sei besonders antieuropäisch und prorussisch geprägt gewesen, stellte Karlitschek fest.
Einleitend dankte Jindrák der Ackermann-Gemeinde, dass sie sich mit dieser Thematik befasst. Er erinnerte an die Kontakte zur Ackermann-Gemeinde während seiner Zeit als Generalkonsul in München. „Mein erster Lehrer hier war Franz Olbert“, blickte er dankbar zurück. Olbert habe ihm damals die Strukturen und Personen in der Sudetendeutschen Landsmannschaft nahegebracht. „Diese Problematik hat lange eine wichtige Rolle bei Wahlen gespielt. Sie ist auch heute wichtig, aber das Reden darüber ist heute freier und intensiver“, beurteilte er die Entwicklung im deutsch-tschechischen Verhältnis. Seine neue Aufgabe bezieht sich hingegen auf die Beziehung zwischen Tschechien und der Slowakei, die eine gemeinsame Geschichte haben, aber inzwischen 32 Jahre getrennt sind. „Jede Wahl in jedem Nachbarland ist wichtig“, erklärte er – auch in Bezug auf Wahlen in Bayern und Deutschland.
„Fico hat die Wahl zum vierten Mal gewonnen, er war schon dreimal Ministerpräsident des Landes und hat viel Erfahrung mit dem Regieren und mit populistischer Politik. Alle dachten, er wäre politisch tot“, stellte Jindrák einleitend zu seinem Vortragsthema fest. Er verwies auch auf weitere rechts- oder linkspopulistische Regierungen oder Strömungen in Europa und auf die Tatsache, dass er in seiner Zeit jetzt als Botschafter in der Slowakei drei Ministerpräsidenten erlebt hat. Der zu Corona-Beginn ins Ministerpräsidentenamt gekommene und ein Jahr amtierende Igor Matovič habe, so der Botschafter, durch sein Agieren mit zum Comeback Ficos in die Politik beigetragen. Über Matovičs Nachfolger Eduard Heger und die ab Mai 2023 von Staatspräsidentin Zuzana Čaputová ausgerufene Expertenregierung unter Ľudovít Ódor sei es schließlich zu den vorgezogenen Neuwahlen Ende September 2023 gekommen, aus der die jetzige Regierung unter Fico mit seiner „Smer - slovenská sociálna demokracia“ („Richtung - Slowakische Sozialdemokratie“, „Hlas – sociálna demokracia“ („Stimme – Sozialdemokratie) und „SNS - Slovenská národná strana“ („Slowakische Nationalpartei“). Besonders betonte Jindrák die hohe Zahl an Stimmen für Fico aus dem Ausland, vor allem aus Tschechien. Hier leben viele junge Slowaken (Studenten). „Die Wahlen waren demokratisch, es gab keine Wahlfälschungen, das Regierungsbündnis wird stabil bleiben“, prognostizierte er. Da die drei Parteien nur die einfache Mehrheit, nicht aber die verfassungsgebende haben, wird die Slowakei seiner Ansicht nach „die demokratischen Wege weitergehen“ und Mitglied in der NATO und in der EU bleiben. Dennoch hält er es für wichtig, mit bestimmten Themen vorsichtig umzugehen bzw. diese aus der Distanz zu kommentieren. „Ich habe viele Emotionen zu diesem Land!“ Mit dieser auch aus dem persönlich-familiären Hintergrund resultierenden Bemerkung beendete der Botschafter seine Ausführungen.
Nach dem Umgang Ficos mit Journalisten bzw. Rundfunk- und Fernsehsendern sowie der Rolle von Staatspräsidentin Čaputová fragte Moderator Karlitschek. Jindrák verwies darauf, dass Fico im Wahlkampf vier gegenüber ihn kritische Medien konkret genannt hat. „Er führt gegen diese Medien einen riesigen Kampf und hat Journalisten öffentlich angegriffen“, vertiefte er die Thematik. Doch es sei zu früh, um eine Einschätzung in der jetzigen Konstellation zu geben. „Die Slowakei ist kein Präsidentschaftssystem, sondern eine parlamentarische Demokratie. Die Staatspräsidentin ist Teil dieser Demokratie, speziell Čaputová ist aber - auch in Tschechien – ein Hoffnungsanker“, erklärte Jindrák.
„Wohin geht es mit der Slowakei im ostmitteleuropäischen Gefüge?“, fragte ein eher nachdenklich gestimmter Manfred Heerdegen und verwies auf die zwar nun abgewählte PiS-Regierung in Polen und Viktor Orbáns Fidesz in Ungarn. „Ich bin erstmals in meiner Karriere in einer komplizierten Situation. Es ist unsicher, in welche Richtung Fico geht“, gestand der Botschafter. Den Staaten in Westeuropa legte er ans Herz, eine Isolation zu verhindern, d.h. „mehr mit der Slowakei zu reden, sie an Bord zu halten“. Auch hier sei es für eine Beurteilung noch zu früh.
Nach der politischen Sozialisation der Leute in der Slowakei, was sie bewegt, fragte Prof. Dr. Bernhard Dick und nannte vier Aspekte: Heraushalten aus dem Krieg in der Ukraine, geringere Verwurzelung in der Demokratie, Wunsch nach einem starken Machthaber, Angst vor dem Liberalismus. Botschafter Jindrák nannte als Grund für solche Haltungen „tiefe Spuren der kommunistischen Zeit, was auch etwa in Sachsen angesichts des hohen Zuspruchs für die AfD sichtbar sei. Stark wirke außerdem die Propaganda aus Russland, zumal man bis 1989 ja 40 Jahre lang in einem Propagandastaat gelebt habe.
Nach der Rolle und Position der Kirche fragte Alois Hofmann, zumal er diese – vor über 20 Jahren allerdings – als wichtige Instanz kennengelernt hat. „Heute spielt die Kirche nicht mehr eine so zentrale Rolle, sie ist nicht mehr so stark wie früher. Die Priester sind in der aktuellen Situation sehr zurückhaltend“, beschrieb Jindrák. Als positiv merkte er aber an, dass die KDH (Christlich-demokratische Bewegung) wieder mit zwölf Abgeordneten im Parlament vertreten ist.
Weitere Fragen zielten auf die von slowakischen Kabinettsmitgliedern ins Spiel gebrachten Friedensappelle im Ukraine-Krieg und auf die jüngsten Entwicklungen beim EU-Gipfel, wo die Slowakei sich nicht auf Orbáns Seite schlug. „Man fürchtet, in Isolation zu kommen. Man braucht europäische Gelder. Ich hoffe, dass auch die Slowakei ihren normalen Weg geht, dass sie in den Vereinigungen bleibt und vor allem eine Demokratie bleibt. Daher ist auch die Kommunikation mit Brüssel wichtig“, fasste der Botschafter abschließend zusammen.
Markus Bauer