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Kardinal Marx: „Münchner Abkommen führte zu Okkupation und Unterdrückung“

Zum 75. Jahrestag des Münchner Abkommens kam Kardinal Marx zur St.-Wenzels-Wallfahrt nach Altbunzlau und würdigte die Versöhnung zwischen Deutschen und Tschechen.

Die diesjährige St.-Wenzels-Wallfahrt, zu der am 28. September der Prager Kardinal Dominik Duka alle böhmischen und mährischen Diözesen nach Altbunzlau/Stará Boleslav eingeladen hatte, stand unter einem besonderen Zeichen. Wenige Tage vor dem 75. Jahrestag der Unterzeichnung des Münchner Abkommens war der Münchner Kardinal Reinhard Marx Gast bei der traditionellen Wallfahrt. Zum Festtag des Heiligen Wenzels, der zugleich staatlicher Feiertag ist, kamen mehrere tausend Gläubige in die Stadt, in der der böhmische Landespatron um 930 ermordet wurde.

Vor dem Segen ergriff Kardinal Reinhard Marx vor den Pilgern das Wort und erinnert daran, dass die Völker Europas trotz einer Jahrhunderte währenden Prägung durch den christlichen Glauben immer wieder Kriege geführt haben. „Und doch ist da die Erschütterung, dass christlich geprägte Menschen so stark verführt wurden zu Gewalt, Ausbeutung, Ungerechtigkeit, Rassismus und Totalitarismus“, sagte der Erzbischof von München und Freising.

Eine Grundvoraussetzung für ein freundschaftliches und friedliches Zusammenleben der Völker sei die Versöhnung, betonte Marx. „Diese Versöhnung ist mir ganz persönlich ein wichtiges Anliegen, gerade heute bei dieser Wallfahrt, am 75. Jahrestag des Münchner Abkommens, das unzählige Menschen hier im Land und letztendlich in ganz Europa mit unbeschreiblichem Leid überzogen hat.“ Geschehenes könne nicht ungeschehen gemacht werden, erklärte der Erzbischof: „Gewalt und Unrecht haben tiefe Wunden geschlagen und Bitterkeit hinterlassen. Das alles bedauere ich sehr und es macht mich traurig und betroffen.“ Der „Blick auf die Wahrheit der Geschichte, die unsere Völker erlebt und erlitten haben“, ermögliche Versöhnung, zeigte sich Marx überzeugt: „Dies gilt auch im Blick auf das Münchner Abkommen, das zu Okkupation und Unterdrückung geführt hat.“ Beim Blick auf die Geschichte gehe es niemals um Aufrechnung, „sondern um die Wahrheit, die uns frei macht“. Es gehe darum, als Nachbarn in Europa ehrlich miteinander umzugehen und nach vorne zu schauen ohne die Geschichte des Unrechts und des erlittenen Leids zu vergessen.

Marx würdigte, dass auf dem Weg der „Versöhnung im Geiste Christi“ zwischen Tschechien und Deutschland schon vieles geschehen sei. Die beiden Völker pflegten „eine vorbildliche Zusammenarbeit“ und bauten neue Brücken zueinander. Die Kirche habe dabei immer wieder versucht, Versöhnung zu stiften. Der Kardinal rief ins Gedächtnis, dass sich die deutschen Bischöfe nach dem Fall des Eisernen Vorhangs schon zu Beginn des Jahres 1990 an ihre Mitbrüder in der damaligen Tschechoslowakei gewandt hatten – „mit dem Wunsch, die zwischen beiden Völkern liegende Hinterlassenschaft eines halben Jahrhunderts, das Unrecht und Leid, Misstrauen und Gleichgültigkeit zwischen den Menschen beider Länder wachsen ließ, zu überwinden, und dieses unselige Erbe beiseite zu räumen, damit die Herzen der Menschen für den Bau an einem neuen Europa gewonnen werden können“.

Der begonnene Dialog dürfe nicht mehr zum Erliegen kommen, mahnte der Kardinal. Aus diesem Grund hätte die Bayerische Bischofskonferenz, deren Vorsitzender Marx ist, die tschechischen Mitbrüder zu ihrer Vollversammlung im vergangenen Februar eingeladen. Er sei froh darüber, dass ein gutes Zusammenwirken vereinbart worden sei und dass durch das Treffen das gegenseitige Vertrauen gewachsen sei. Anfang November werde der Dialog nun bei einem Gegenbesuch in Prag fortgesetzt. „Trotz unserer belasteten Geschichte können wir dabei erleben, dass wir uns gegenseitig anerkennen, achten, wertschätzen, voneinander lernen und Zuneigung empfinden“, sagte Marx. Er dankte all denen, die sich seit langem um die Aussöhnung bemühten: „Wir werden miteinander Zukunft bauen und verlässliche Partner sein. Christus eint uns!“

Ausdrücklich begrüßte in diesem Zusammenhang der Prager Kardinal Duka bei dem im Tschechischen Fernsehen live übertragenen Gottesdienst die anwesenden Vertreter der Ackermann-Gemeinde, die seit Jahrzehnten als katholische Gemeinschaft die Nachbarschaft zwischen Deutschen und Tschechen mit Leben erfüllt. So waren neben dem Geistlichen Beirat Msgr. Dieter Olbrich, zugleich Visitator für die Seelsorge an den Sudetendeutschen, und dem Bundesgeschäftsführer Matthias Dörr auch die tschechische Sdružení Ackermann-Gemeinde mit ihrem Vorsitzenden Jaromír Talíř in Altbunzlau vertreten. Olbrich verwies in den anschließenden Gesprächen auf die Gedenkfeier der Ackermann-Gemeinde auf dem Gelände des ehemaligen KZ Dachau wenige Tage zuvor. Mit dieser ehrte die katholische Gemeinschaft die Sudetendeutschen, die direkt nach dem Münchner Abkommen Verfolgung erleiden musste und in das KZ Dachau verschleppt wurden. Zugleich begrüßt Olbrich das Engagement der bayerischen und böhmischen Bischöfe, dass durch Kardinal Marx und Kardinal Duka in jüngster Zeit intensiviert worden sei. „Als Christen sind wir dazu berufen, Brücken zwischen den Völkern, über die Gräben der Vergangenheit zu bauen.“ Diese sei eine bleibende Aufgabe, an der die Ackermann-Gemeinde gemeinsam mit den Bischöfen weiter wirken werde, betonte Olbrich, der seit Mai die Aufgabe des Geistlichen Beirats der katholischen Gemeinschaft innehat. 

ag/kel

Ansprache von Erzbischof Reinhard Kardinal Marx zum Downloaden hier.

Kardinal Marx sprach bei der Wenzelswallfahrt<br/ >in Altbunzlau/Stará Boleslav zu den Gläubigen.