„Keine billige, sondern eine ehrliche und schwierige Versöhnung“

Prof. Dr. Rainer Bendel stellte sein Buch „75 Jahre Seelsorge für die Deutschen aus der Tschechoslowakei“ vor

Das im vergangenen Jahr erschienene Buch „75 Jahre Seelsorge für die Deutschen aus der Tschechoslowakei“ stellte bei der Veranstaltung der Ackermann-Gemeinde der Autor Prof. Dr. Rainer Bendel kurz bzw. in Ansätzen vor. Auch der Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe Bernd Posselt war unter den Zuhörern.

Der Präses der sudetendeutschen Katholiken und Geistliche Beirat der Ackermann-Gemeinde Monsignore Dieter Olbrich stellte in seiner Begrüßung den Autor und dessen wissenschaftliches Schaffen kurz vor und verwies auf weitere Publikationen zu dieser Thematik.

Die Initiative zu dem Buch sei, so Bendel, noch vom Visitator für die Sudeten- und Karpatendeutschen ausgegangen, doch diese Struktur gebe es bereits seit 2016 nicht mehr. Trotz der großen Bedeutung der Ackermann-Gemeinde über diese siebeneinhalb Jahrzehnte sei das Buch keine Chronik dieses Verbandes, sondern greife unterschiedliche Aspekte auf.

So die Ausgangssituation bei der Ankunft der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge in ihrer neuen Heimat 1945/46, wo Bendel auch Parallelen zu heute sieht: zum Teil eine „Kalte bzw. Eisige Heimat“, aber auch eine positive Willkommenskultur (Seelsorger, die zu einem „Empfang mit offenen Armen“ aufrufen). Der Autor beschreibt im Buch die mühsamen Anfänge mit vielen Sorgen in den ersten Jahren, die Korrespondenz mit Orts- und Vertriebenengeistlichen sowie kirchlichen Amtsträgern (Bischöfe), die Nöte, das Leid, aber auch die kleinen Freuden im Alltag sowie Wünsche um karitative Maßnahmen. Einen Blick wirft Bendel auch in Diasporagemeinden, wo sich die Situation oftmals anders darstellt, mitunter sich aufgrund der gewohnten und gelebten unterschiedlichen Religiosität zuspitzt. Aufgezeigt werden Initiativen zur Behebung der Konflikte und Verschiedenheiten. Bendel nannte in diesem Kontext die letzte Predigt von Bischof Maximilian Kaller am 29. Juni 1947, in der dieser die Situation der Vertriebenen reflektierte und diese als Zeugen für die Botschaft des Evangeliums in der unmittelbaren Umgebung würdigte. Die Integration der Vertriebenen in die Gemeinden trage somit auch zur Erneuerung der Gemeinden bei – über die Liturgie, die Sakramente und die Katechese hinaus. „Nicht nur Wallfahrten, Sondergottesdienste oder der Pontifikal-Gottesdienst beim Sudetendeutschen Tag waren wichtig, sondern alle Fragen des Neben- und Miteinanders. Nicht nur die Kirche im Kirchenraum, sondern karitative Aspekte, das Wirken in Politik und Gesellschaft gewann an Bedeutung“, charakterisierte Bendel die Elemente in jenen Jahren.

Einen lebendigen Katholizismus hatten die Sudetendeutschen ja in ihrer Heimat praktiziert, und sie hatten auch namhafte Priester (z.B. Augustinerpater Paulus Sladek) und Laien (z.B. Hans Schütz), die in der Staffelstein- bzw. Jugendbewegung oder im christlichen Gewerkschaftswesen Erfahrungen gesammelt hatten. In zahlreichen Aspekten schlugen sich diese sozial-ethisch begründeten Inhalte nieder: in der Sozialgesetzgebung oder in der Eigentumsfrage. „Diese Erfahrungen brachen auch das klassische Verständnis von Seelsorge auf“, fasste Bendel diesen Themenbereich zusammen.

In den 1950er und 1960er Jahren habe es, so der Buchautor,  zwei Extrempositionen zur Vertriebenenseelsorge gegeben: die Forderung nach einer Sonderseelsorge auf der einen und das klassische Prinzip der Integration in die Pfarrgemeinde auf der anderen Seite. Bendel verwies auf bereits 1945 existente Gedanken über eine „Sonderseelsorge für die Umquartierten“, verbunden mit speziellen Stellen und Strukturen. Auch das religiöse Sondergut der Vertriebenen (Lieder, Bräuche usw.) sollte dabei Berücksichtigung finden. In Predigten trat immer stärker der Verzicht auf Hass und Rache bzw. auf gewaltsame Wiedergutmachung in den Fokus (z.B. Paulus Sladek OSA: Gebet für die Heimatlosen, 1946 in Altötting), was man durchaus als Vorstufe der Charta der Heimatvertiebenen von 1950 sehen kann. In jenen zwei Jahrzehnten erfolgte auch eine theologische Reflexion, bei der Ausbildung der einheimischen Priester wurde das Seelsorge-Verständnis erweitert, soziale Fragen gewannen in der Seelsorge an Bedeutung. Bendel sprach für diese Phase von einem „Bewusstseinswandel im Katholizismus“, wobei auch die Vielfalt der gelebten katholischen Frömmigkeit erkannt wurde und die Toleranz gegenüber anderen Formen zunahm. „Es war klug, neben der ordentlichen Seelsorge auch eine Sonderseelsorge für die verschiedenen Vertriebenengruppen anzubieten“, fasste Bendel zusammen.

Ein weiterer zentraler Aspekt war die Gründung von Laienorganisationen, seien es Eigeninitiativen im Bereich der Pflege und Weiterentwicklung der Kultur und Religiosität oder der Ackermann-Gemeinde quasi auch als lebenslange Volkshochschule und Vorhof für die Politik – insbesondere der Sozialpolitik und der Sozialgesetzgebung.

Weitere Kapitel des Buches widmen sich den Amtsträgern, Strukturen (Visitatoren und Vertriebenenbischof), den Publikationsorganen, den zentralen Einrichtungen (kirchliche Hilfsstelle Süd bzw. Ackermann-Gemeinde, Einrichtungen in Königstein/Taunus). Von Bedeutung ist natürlich auch der Aspekt der Vertriebenenseelsorge, mit den Menschen in den Vertreibungsgebieten – verbliebene Deutsche und Tschechen – in Kontakt zu bleiben bzw. zu treten (Dialog, Information, Beschäftigung mit dem Kommunismus). Daraus resultiert(e) schließlich ja – zum Teil bereits seit 1946 – das Bemühen um Verständigung und Versöhnung. „Das Thema ‚Versöhnung‘ ist ein wichtiges und zentrales. Die Seelsorge an den Sudetendeutschen ist ein wichtiger Motor in diesem Kontext. Hier wurden Drähte gepflegt, auch wenn es schwierig war und man bei vielen Vertriebenen nicht das größte Verständnis dafür gefunden hat. Trotzdem wurde an dieser Position festgehalten. Es war keine billige, sondern eine ehrliche und schwierige Versöhnung“, schloss Bendel seine Ausführungen.

Markus Bauer

Der Präses der sudetendeutschen Katholiken und Geistliche Beirat der Ackermann-Gemeinde Monsignore Dieter Olbrich begrüßte die Zuhörerinnen und Zuhörer und moderierte die Veranstaltung.
Prof. Dr. Rainer Bendel bei seinem Vortrag.
Prof. Dr. Rainer Bendel und Monsignore Dieter Olbrich während der Aussprache zum Vortrag.