Skip to main content Skip to page footer

Kilian Kirchgeßner sprach im AG-Themen-Zoom über die neuen Entwicklungen in Tschechien

Er ist wahrhaft kein Unbekannter bei der Ackermann-Gemeinde: Mehrmals schon wirkte er beim Brünner Symposium mit. Und in Prag trifft man ihn oft bei den deutschsprachigen Gottesdiensten an: der mehrfach mit Preisen ausgezeichnete Journalist Kilian Kirchgeßner stand beim jüngsten Themen-Zoom der Ackermann-Gemeinde Rede und Antwort über die aktuelle Situation in Tschechien nach der EU-Ratspräsidentschaft und nun mit dem neuen Präsidenten Petr Pavel bis hin zu den Folgen im Umgang mit dem Krieg in der Ukraine bzw. dem deutsch-tschechischen Verhältnis. 51 Computer waren zu dieser Online-Veranstaltung zugeschaltet.

„Petr Pavel steht für einen Stilwechsel und ist ein sichtbarer Präsident“

 

Den Referenten des Abends stellte Moderator Rainer Karlitschek einleitend noch näher vor. Kirchgeßner lebt seit 2005 in Prag, weshalb er viel Einblick und Wissen habe. Er studierte in München, Prag und Regensburg, besuchte die Deutsche Journalistenschule und erhielt unter anderem den Young Journalist Award der Europäischen Union 2008. Seither hat er viele Reportagen, Artikel und Dokumentationen über Politik, Kultur und Kunst in der Tschechischen Republik verfasst. So etwa für den Deutschlandfunk, Deutschlandradio Kultur, den WDR, den Tagesspiegel, brand eins oder Geo. Für das 55-minütige Hörstück „Die brutalistischen Zeitzeugen – Tschechiens Umgang mit der Architektur des Kommunismus“ erhielt er den Deutsch-tschechischen Journalistenpreis in der Kategorie Audio.

Er habe alle drei bisherigen, demokratisch gewählten tschechischen Präsidenten erlebt: Václav Havel noch während des Studiums, wo am Ende von dessen Amtszeit und mit größer werdendem Abstand zur Wendezeit in Tschechien „erste kritische Töne“ wegen Havels hoher moralischer Ansprüche aufgekommen seien. Noch nicht direkt vom Volk, sondern vom Senat und Abgeordnetenhaus wurde dann Václav Klaus, ebenfalls eine „Figur der Nachwendezeit“, so Kirchgeßner, als Staatspräsident gewählt. Dessen erste Amtszeit sei „durchaus schwungvoll“ gewesen. Mit Jan Švejnar habe Klaus dann bei der Wahl für die zweite Amtsperiode einen „respektablen Gegenkandidaten“ gehabt, den er wegen dessen Exil angriff und zu einem guten Teil auch deshalb die Wahl erneut gewann. Die erste direkte Wahl zum Amt des Staatspräsidenten entschied im März 2013 Miloš Zeman für sich, wie sein Amtsvorgänger Klaus in früheren Jahren Ministerpräsident. „Ein älterer Herr mit Schwung“ sei Zeman damals durchaus noch gewesen, im Präsidentschaftswahlkampf (vor allem bei der Stichwahl gegen Karel Schwarzenberg) habe das seinerzeit noch schwierige Thema „Sudetendeutsche“ eine nicht geringe Rolle gespielt. Mit Jiří Drahoš hatte Zeman dann 2018 erneut einen starken Kontrahenten, der bei der Bevölkerung auch „Hoffnung auf anständige Politik“ weckte. Doch auch diesmal gewann Zeman die Stichwahl. Die zweite Amtszeit sei besonders durch die außenpolitische Hinwendung Richtung Russland und China geprägt gewesen, was ihm zuletzt durch den russischen Krieg gegen die Ukraine viel Zuspruch kostete. Nach zwei Amtszeiten konnte Zeman 2023 nicht mehr antreten. Der aufgrund seiner früheren Tätigkeit als NATO-General fest mit dem Westen verankerte und vertraute Petr Pavel machte – wohl auch vor dem Hintergrund der aktuellen Situation - schließlich das Rennen gegen den Mitbewerber Andrej Babiš. „Pavel geht offener mit seiner Vergangenheit um, er steht auch für einen Stilwechsel, er ist ein sichtbarer Präsident. Er ist unheimlich aktiv, seine Bilanz fällt – bei einer anfänglichen Kritik – inzwischen positiv aus“, charakterisierte Kirchgeßner den Neuen auf der Prager Burg, die Pavel wieder zugänglich machen will.

Gefragt von Moderator Karlitschek nach der Zusammenarbeit zwischen dem Staatspräsidenten und dem Ministerpräsidenten bzw. der amtierenden Regierung meinte Kirchgeßner: „Sie sind in Kontakt, aber der Staatspräsident ist nicht der verlängerte Arm der Regierung. Man ist sich von der Wertehaltung her ähnlich, aber der Staatspräsident zeichnet nicht alles ab, was von der Regierung kommt.“ Die obligatorischen symbolischen Antrittsbesuche in der Slowakei, in Berlin und in Bayern (Selb) habe Pavel zeitnah absolviert. „Die deutsch-tschechischen Themen sind ihm nicht in die Wiege gelegt. Aber das ist ein Thema, das er in einem strategischen Zusammenhang sieht“, konkretisierte der Journalist.

Ob das knappe Wahlergebnis Zeichen für eine Spaltung im Lande sei, wollte Sandra Uhlich wissen. „Pavel hat in allen Wahlkreisen mit Ausnahme von drei – den drei strukturschwächsten Regionen – gewonnen. Das spricht eher gegen eine Spaltung. Und eine Spaltung Stadt – Land besteht auch nicht mehr“, deutete Kirchgeßner.

Die Ukraine und die Unterstützung für sie genieße in Tschechien weiter eine überaus hohe Zustimmung, mit weit über 400.000 ukrainischen Flüchtlingen habe das Land – gemessen an der Bevölkerung – mit am meisten in Europa aufgenommen. Mit Blick auf den jüngst in Regensburg stattgefundenen Sudetendeutschen Tag fragte Manfred Heerdegen nach der Rezeption dieser Veranstaltung in der tschechischen Politik und Öffentlichkeit. „Er spielt keine Rolle. Das bedeutet aber nicht, dass es Desinteresse daran gibt, sondern spricht für eine Normalisierung“, beurteilte der Journalist. „Die Tschechen sprechen inzwischen offen über die Vorgänge am Ende des Krieges, in der Mehrheit der Bevölkerung ist das kein konfliktträchtiges Thema mehr“. Problematisch seien dagegen eher andere Aspekte in der Politik wie Energie oder Migration.

Markus Bauer

Ein Teil der am Themen-Zoom interessierten Frauen und Männer.
Kilian Kirchgeßner bei seinem Vortrag.
Manfred Heerdegen bei seinem Diskussionsbeitrag.