Konferenz der tschechischen Ackermann-Gemeinde in Prag

Sind wir eher Europäer, Deutsche und Tschechen oder Christen? Inwieweit formiert das Christentum die Identität der heutigen Europäer? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Jahreskonferenz der Sdružení Ackermann-Gemeinde am letzten Februar¬wochenende. Mehr als 130 Teilnehmer kamen hierzu aus ganz Tschechien, aber auch aus Deutschland, Österreich und der Slowakei nach Prag. Ausgangspunkt der Diskussionen war der Beginn des 1. Weltkrieges vor einhundert Jahren.

In ihren Grußworten gingen der Sozialattaché der Deutschen Botschaft Norbert Axmann, der  Leiter des Prager Büros der Konrad Adenauer Stiftung Dr. Werner Böhler und der Tschechien-Referent des katholischen Hilfwerkes Renovabis Dr. Jörg Basten auf den tiefen Einschnitt ein, den das Jahr 1914 für Europa bedeutete. Die Grüße der deutschen Ackermann-Gemeinde überbrachte Bundesgeschäftsführer Matthias Dörr. Er mahnte, dass „mit den Erfahrungen, die wir als Deutsche und Tschechen im vergangenen Jahrhundert miteinander gemacht und wie wir den Weg zueinander gefunden haben“ eine „positive Grundhaltung zur europäischen Einigung“ haben müssten. „Wir wissen aus der Geschichte, was die Alternative zu einem Miteinander ist“.

Der Prager Professor Ivan Šedivý warf den Blick die nationalen Identitäten und ihren Wandel im Laufe der Geschichte. Nationale Identitäten seien nichts Gegebenes mit objektiven Merkmalen, sondern werden stets neu geschaffen, so seine These. Als Beleg führte er verschiedene Statistiken zur nationalen Zugehörigkeit aus der ausgehenden Habsburger Monarchie an. An Entwicklungen in der österreichisch-ungarischen Armee macht er zudem eine zunehmende Nationalisierung deutlich. Auch die Kirchen waren von solchen Tendenzen nicht frei. Dies zeigten die Ausführungen am Samstagvormittag. Der Prager Historiker Dr. Jaroslav Šebek sieht, wie mit dem 1. Weltkrieg der Gedanke des Nationalismus in die Kriche der böhmischen Länder einzog. In der Folge sei es zu einer „Nationalisierung der Religion“ gekommen. Heilige, wie bei den Milleniumsfeiern 1929 St. Wenzel oder die Slawenapostel Cyrill und Method, wurden zu tschechischen Ikonen stilisiert. Bei den deutschen Katholiken sei es beispielsweise Eduard Winter gewesen, der Glaube und Nation verbinden wollte. Eine zweite Tendenz war nach Šebek die „Sakralisierung der Nation“. Dies habe sich beispielsweise in der Verehrung der Opfer des Ersten Weltkrieges ausgedrückt, die „im Dienst für die je eigene Nation“ gestorben seien.

Der aus den Niederlanden stammende und in Prag lehrende Theologe Dr. Peter Morée lenkte den Blick auf die evangelischen Kirchen. Diese bewegen sich entgegen der katholischen Kirche meist in einem Staat, was eine Verbindung von Glaube und Nation normal, ja normativ erschienen ließ. Mit dem Protestantischen Patent von 1861 und den damit verbundenen Freiheiten begann die Nationalisierung der evangelischen Kirchen der Habsburger Monarchie. In der Ersten Republik sieht Morée den Höhepunkt der Identifikation von Kirche und Staat. „Erst die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges machten dieses Denken zu einem Tabu“. Seither sei in der evangelischen Kirche ein kritischer Abstand zur Politik zu beobachten. Doch auch von Personen, die universalistischen Prinzipien treu blieben, konnten die Referenten berichten. Šebek nannte beispielhaft den christlichen Politiker Hans Schütz, später Mitbegründer der Ackermann-Gemeinde, und den Leitmeritzer Bischof Anton Weber. Morée wies auf den evangelischen Theologen und Pädagogen Přemysl Pitter und den Präsidenten der deutschen evangelischen Kirche Erich Edmund Wehrenfennig hin.

Das Österreichische Kulturforum nahe dem Wenzelplatz war Gastgeber für das Nachmittagsprogramm am Samstag. Philipp Lesiak vom Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgen-Forschung in Raabs referierte über Friedensbemühungen während des Ersten Weltkrieges. Bis zum Schluss sei bei Kaiser Karl der Friedenswille bestehen geblieben. Jedoch seien seine Initiative insbesondere bei Frankreich auf Skepsis gestoßen und letztlich durch österreichische Politiker unterlaufen worden. So kam es erst 1918 „zu einem Frieden durch Erschöpfung“. Künstlerisch mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges setzte sich die Ausstellung „PRINCIP SAUER: Ursache und Wirkung“ von Abbé Libansky auseinander, die im Kulturinstitut zu besichten war. In diese führte Direktorin Natascha Grilj ein.

Nach dem Zustand des vereinigten Europa fragte zum Abschluss der Konferenz am Sonntagvormittag eine Podiumsdiskussion unter der Moderation des Schweizer Historikers Dr. Adrian Portmann-von Arburg. Josef Zieleniec, erster Außenminister der Tschechischen Republik und ehemaliger Europaabgeordnete, sieht mit Sorge, dass die Europäische Union beginne, „an sich selbst zu zweifeln“. Dabei gebe es mit Blick auf neue ökonomische und politische Mächte sowie angesichts des neuen Selbstbewusstseins der islamischen Welt die Notwendigkeit einer gemeinsamen europäischen Antwort. Darum mahnt der ehemalige tschechische Spitzendiplomat eine „Vervollkommnung der EU“ an. Die Vertreterin des Freistaates Sachsen Stefanie Rehm erinnerte daran, dass die DDR im Gegensatz zu den anderen Staaten des ehemaligen Ostblocks durch die Wiedervereinigung direkt Mitglied der Europäischen Gemeinschaft wurde. Sie empfinde dies als ein großes Glück und spüre hierfür Dankbarkeit. Die ehemalige Staatsministerin sieht jedoch die Gefahr, dass Europa dabei sei, sich auseinanderzudividieren. Der Frust über Europa sei in den letzten Monaten immer größer geworden, „da wir Europa nur als wirtschaftliche Macht wahrnehmen“, so Rehm. Die europäische Einigung dürfe nicht auf „Projektwochen reduziert werden“ mahnte die studierte Pädagogin. „Es braucht mehr Menschen, die sich dafür engagieren.“ Den „Kontakt von Mensch zu Mensch“ hält der stellvertretende österreichische Botschafter in Prag Martin Hojni für ein zentrales Element des zusammenwachsenden Europas. Darauf basiere auch, dass es heute „die besten österreichisch-tschechischen Beziehungen seit 1918“ gebe. Mit Sorge sieht er jedoch die große Unterschiedlichkeit der Akteure auf europäischer Ebene. Dies bedeute oft eine Schwächung der EU-Position, wie es sich auch lange Zeit bei dem Agieren zu den Entwicklungen in der Ukraine gezeigt habe. Die Bedeutung der Werte für Europa betonte der tschische Kulturminister und frisch gewählte Vorsitzende der Sdružení Ackermann-Gemeinde Daniel Herman. „Demokratie kann nur dann funktionieren, wenn es Werte gibt, die allgemein akzeptiert und nicht Gegenstand von Diskussionen sind.“ Als ein Bindeglied der europäischen Gesellschaften sieht der christliche Politiker die Zehn Gebote. „Wenn wir diese annehmen und uns dafür nicht schämen“, dann „können wir denen, die zu uns kommen und die mit uns im Kontakt stehen, etwas anbieten“, ist sich Herman sicher. Zum Abschluss hob der Kulturminister die Bedeutung des Dialogs hervor. „Zu Katastrophen kommt es nur, wenn es keinen Dialog gibt.“ Daher brauche es Dialog auf allen Ebenen.

Am Samstagabend kamen die Teilnehmer zu einem deutsch-tschechischen Gottesdienst in der Kirche Maria-Schnee zusammen. Msgr. Anton Otte, Probst des Vyšehrader Kapitels und Repräsentant der deutschen Ackermann-Gemeinde in Prag, zelebrierte die Messe gemeinsam mit weiteren Priestern, unter ihnen Visitator em. Msgr. Karl Wuchterl und P. Dr. Martin Leitgöb. Leitgöb, der Seelsorger der deutschsprachigen Gemeinde in Prag, wurde bei den am Rande der Konferenz stattfindenden Neuwahlen der Sdružení Ackermann-Gemeinde zu deren Geistlichen Beirat gewählt. Den Freitagabend schloss eine Präsentation des Jugendverbandes Spirála der tschechischen Ackermann-Gemeinde ab. Die Sprecherin Amálie Kostřížová zeigte Bildern vergangener Aktivitäten und von Begegnungen in Deutschland, Tschechien und der Slowakei, die sie gemeinsam mit der Jungen Aktion durchgeführt hatten. Zudem lud sie die jungen Konferenzteilnehmer sehr herzlich zu anstehenden Projekten ein. So berichtete sie von einer geplanten Begegnung im kommenden August mit deutschen, tschechischen, slowakischen und ungarischen Jugendlichen in der Nähe von Budapest.

Tereza Hejnová

Fragten nach dem aktuellen Zustand Europas (v.l.): <br/>Der ehemalige tschechische Außenminister<br/> Josef Zieleniec, die Leiterin der Sächsischen <br/>Vertretung in Prag Staatsministerin a.D. Stefanie <br/>Rehm, Moderator Dr. Adrian Portmann-von Arburg, <br/>Kulturminister und SAG-Vorsitzender Daniel <br/>Herman und der stellvertretende Botschafter <br/>der Republik Österreich in Prag Martin Hojni.