Maria mit dem Kind – eine segensreiche Fluchtgeschichte

"In meiner Familie wird eine Madonna mit dem Kind aufbewahrt, die von der Mutter auf der Flucht aus Schlesien mitgenommen worden war. Sie ist keine kunsthistorische Besonderheit. Vermutlich wurde sie in Schlesien in einer Form aus Gips gegossen und bemalt. Zu dieser Madonna mit dem Kind gibt es ein dramatischen Bericht der Mutter: Als die Mutter 1946 mit vier Geschwistern in Weimar nach der Flucht eine Bleibe gefunden hatte, wurde sie an einem Abend von einer Patrouille russischer Soldaten aufgesucht. Die Mutter war um die drei halbwüchsigen Töchter in besonderer Sorge, denn schlimme Berichte über russische Soldaten machten die Runde. Einer der Soldaten aber sah in der Ecke des Raumes die Madonna mit dem Kind, machte ein byzantinisches Kreuzzeichen und verließ mit den anderen Soldaten die Wohnung. Wir sagen deshalb in der Familie: Die Madonna mit dem Kind hat die Familie vor dem Leid und Unrecht bewahrt.

Was nehme ich an mich, wenn es eng in meinem Leben wird? Ist es auch eine Madonna oder ein Kreuz, oder ist es nur das Sparbuch und der Pass? Was zählt im Leben, auch im Neuen Jahr, das wir in diesen Tagen beginnen? Ich bin sehr gespannt auf die Begegnungen mit den verschiedenen Gruppen der Vertriebenen und Aussiedler im Jahr 2010. Ich möchte die Menschen kennen lernen, die trotz aller Not den Glauben nicht verloren haben und die Kraft zum Aufbau eines neuen Lebens fanden, wie ich es bei den Eltern erleben durfte. Vieles wird für mich neu sein und ich werde mit allen Sinnen versuchen, die Botschaften der Freude und der Sorge zu hören. Das Jahr 2010 wird nicht alle Probleme der Vertriebenen und Aussiedler lösen, aber ich bin zuversichtlich, dass es uns ein Stücke voran bringt, wenn wir nicht nur auf Pass und Sparbuch, sondern auch auf das Kreuz und die Madonna mit dem Kind schauen.

Ein gesegnetes Jahr 2010 wünsche ich Euch von ganzem Herzen."

+ Weihbischof Dr. Reinhard Hauke

Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz
für die Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge