Milan Kundera - sein Leben, sein Werk
Kultur-Zoom der Ackermann-Gemeinde zum 95. Geburtstag des Schriftstellers
Beim heurigen, inzwischen 32. Brünner Symposium „Dialog in der Mitte Europas“ am Palmsonntag-Wochenende gab es bereits ein Gespräch über das Wirken, Werk und Leben des tschechisch-französischen Literaten Milan Kundera mit Dr. Mojmír Jeřábek in der dort neu entstandenen Milan-Kundera-Bibliothek. Sozusagen zum 95. Geburtstag des am 11. Juli 2023 verstorbenen Autors widmete sich am 2. April auch der monatliche Kultur-Zoom der Ackermann-Gemeinde dem Leben, Wirken und Schaffen Kunderas. An 43 PCs verfolgten die Interessenten Jeřábeks Vortrag.
Unter dem Titel „Von Brünn nach Paris - und wieder zurück. Milan Kundera, sein Leben, sein Werk“ führte Moderatorin Sandra Uhlich in die Thematik ein und erwähnte einleitend, dass der „Romancier und Bestsellerautor“ Milan Kundera am 1. April 1929 geboren wurde. Auch verwies sie auf dessen vielfältiges Schaffen: bildende Kunst, Dichtung, Romane und Essays, Existentielles und Geistiges. Und kein Unbekannter in Kreisen der Ackermann-Gemeinde ist der enge persönliche Freund von Milan Kundera, Dr. Mojmír Jeřábek: Germanist und Bohemist, Literaturwissenschaftler, Journalist und Diplomat. Sein Studium absolvierte er an der Brünner Masaryk-Universität und in Berlin (Humboldt-Universität). Anschließend war Jeřábek in Brünn als Journalist tätig, später als Kulturdiplomat in Bonn und zuletzt in Wien, als Direktor des Tschechischen Zentrums Wien von 2018 bis 2022. Jeřábek promovierte über Franz Kafka und Heinrich von Kleist, und verteidigte seine Doktorarbeit 2023 über das literarische Werk von Jiří Gruša in zwei Sprachen. Er selbst ist Autor unter anderem einer Jubiläums-Ausstellung zum Werk Kunderas (Hommage a Milan Kundera, Brünn 2019, zum Neunzigsten des Autors).
Da Jeřábeks Eltern mit Kundera und dessen Familie befreundet waren, ergab sich schon früh ein persönlicher Kontakt, der sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte vertiefte. „Ich kann nicht akzeptieren, dass er nicht mehr da ist“, beschrieb der Referent das langjährige Verhältnis. Der Geburtstag (1. April) habe für Kundera eine „metaphysische Bedeutung“ gehabt, „Spaß und Scherz lagen ihm“, vertiefte Jeřábek. Er machte aber auch auf die Auseinandersetzung Kunderas mit existentiellen Problemen und Situationen aufmerksam, die dieser dann literarisch verarbeitete – auch in Form philosophischer Überlegungen.
Zunächst ging Jeřábek auf das örtliche und familiäre Umfeld Kunderas ein: die späten 1920er Jahre waren die „Blütezeit der ersten tschechoslowakischen Republik“, im Jahr 1928 gab es in Brünn eine große Ausstellung zu zehn Jahren Republik, wozu damals das Messegelände entstanden ist. Milan Kunderas Vater Ludwig war ein bedeutender Pianist, in ganz Europa bekannt, Musikpädagoge und erster Rektor der Janáček-Akademie für Musik und Darstellende Kunst in Brünn. Die Erlebnisse Rudolf Kunderas als Soldat im Ersten Weltkrieg, vor allem die Gefangenschaft in Sibirien, brachten es mit sich, dass er seinem Sohn, einem „multitalentierten Kind“, so Jeřábek, eine kulturell vielseitige Ausbildung ermöglichte: Klavier, Komposition, Zeichnen und Malen, bildende Kunst. Das Talent als Dichter habe zunächst keine größere Rolle gespielt, erste Veröffentlichungen erfolgten in den 1950er Jahren. Eine neue Ausrichtung seines Schaffens ging schließlich mit der Gründung der Filmakademie in Prag einher, bei der er bis 1970 als Dozent tätig war. Der Durchbruch als Autor – vor allem mit Erzählungen – erfolgte etwa 1967 und in eben dieser Zeit mit dem ersten Roman „Der Scherz“, in dem Kundera die 1950er Jahre beschrieb: Land und Leute, Situation, Regime – immer auch auf „tiefen, philosophischen Ebenen“. Im Vorfeld des Prager Frühlings 1968 war der Schriftstellerkongress von 1967 bereits eine Veranstaltung, bei der erstmals völlig frei vom Podium gesprochen werden konnte. Václav Havel, Milan Kundera und einige andere Literaten spielten dabei eine große Rolle. Der damalige tschechoslowakische Staatspräsident Antonín Novotný sah in Kundera den „Geist, der 1968 verursachte“ und den „philosophischen Urheber“. Jeřábek trat dem entgegen: „Kundera war kein politischer Mensch, er hat aber alles enthüllt und war dann sehr populär. Er wollte aber nicht die Politik beeinflussen“. Mit dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei und der Niederschlagung des Prager Frühlings wurden fast alle Schriftsteller verboten. Konkret bedeutete das nicht nur Schreib- und Publikationsverbot, sondern auch Berufsverbot. Kundera war damit arbeitslos. Im Jahr 1975 erhielt er eine Einladung für einen Aufenthalt als Dozent an der Universität Rennes in der Bretagne, der er mit seiner Ehefrau auch folgte. Drei Jahre später zog er nach Paris, wo er dann bis zu seinem Tod lebte und als Maler, Schriftsteller und Literaturprofessor arbeitete.
In seinem 1978 veröffentlichten Roman „Das Buch vom Lachen und Vergessen“ rechnete Kundera mit dem kommunistischen Regime der Tschechoslowakei ab, was ihm ein Jahr danach die Ausbürgerung einbrachte. Im Jahr 1981 erhielt er die französische Staatsbürgerschaft, die tschechische Staatsbürgerschaft bekam er 2019 zurück. „Er war ein französischer Schriftsteller und ist auch ein tschechischer geblieben. Die thematische Einheit war ihm wichtiger als die Handlungseinheit“, fasste Jeřábek zusammen. Ein Großteil seiner Werke wurde auch ins Tschechische übersetzt.
Abschließend gab der Referent anhand von Bildern einen Einblick in die erst kürzlich neu eröffnete Milan-Kundera-Bibliothek in Brünn, womit Kundera sozusagen in seine Heimat- und Geburtsstadt zurückgekehrt ist
Markus Bauer