„Motor und Seele“ für seine Heimatstadt
Msgr. Anton Otte wurde zum Ehrenbürger von Weidenau ernannt. „Trotz allen Unrechts, das er hier erlitten hatte, hat er sich von seiner alten Heimat nicht abgewandt. Er sprach von der leidvollen deutsch-tschechischen Geschichte, die auch seine Lebensgeschichte war, und warb für gegenseitiges Verständnis und Versöhnung“. Mit diesen Worten würdigt der Bürgermeister von Weidenau/Vidnava Rostislav Kačora den neuen Ehrenbürger seiner Stadt Msgr. Anton Otte. Mitte Mai wurde mit einem Festprogramm die Ernennung in der nördlich vom Altvatergebirge nahe der Grenze zu Polen gelegenen Stadt begangen.
Otte, viele Jahre Geistlicher Beirat der Ackermann-Gemeinde und seit 1991 Repräsentant dieser katholischen Gemeinschaft in Prag, wurde 1939 in Weidenau geboren. Trotz vorherigen Beschlusses wurde seine Familie jedoch nach Kriegsende nicht vertrieben. „Er erlebte hier eine Kindheit, die voller Hass zu allem Deutschen war“, so der Bürgermeister. Dennoch sei es sein „inniger Wunsch“ gewesen, freundschaftliche Kontakte „zu der Stadt, die, wie er sagt, sein zweites Daheim ist“, aufzunehmen. Die ersten Kontakte gehen in das Jahr 1991 zurück. Gemeinsam mit Professor Rudolf Grimme habe er das Fundament für die spätere Partnerschaft zwischen Weidenau und Großkrosse/Velká Kraš mit dem Heimatbund Weidenau-Großkrosse und seiner Patenstadt Neuburg an der Donau gelegt, erinnert Kačora. Auch bei der Realisierung zahlreicher Projekte in Weidenau sei er „Motor und Seele“ gewesen. Der Bürgermeister benannte dabei das Haus der Partnerschaft mit einem Museum, den Brunnen auf dem Marktplatz, das Denkmal auf dem Friedhof und den Neuburger Stein an der Schlossmauer. Bei seinem Wirken habe „sein außergewöhnliches Charisma, seine Liebenswürdigkeit, Herzenswärme und seine Überzeugungskraft“ eine große Rolle gespielt, würdigt Kačora den neuen Ehrenbürger. Die Entscheidung der Vertreter von Weidenau sei „Ausdruck großer Hochachtung unserer Bürger für Ihr opferwilliges Wirken“.
Zahlreiche Ehrengäste waren zu der feierlichen Verleihung der Ehrenbürgerwürde angereist, unter ihnen der frühere Europaabgeordnete Milan Horáček, Visitator em. Msgr. Karl Wuchterl, Vertreter von Ackermann-Gemeinde und Sdružení Ackermann-Gemeinde sowie des Vyšehrader Kapitels. Die Grüße der Deutschen Botschaft in Prag überbrachte Attaché Norbert Axmann. „Vieles von dem, was heute zu den Grundlagen der deutsch-tschechischen Beziehungen zählt, haben Sie mit der Ackermann-Gemeinde aufgebaut und im Geiste christlicher Verständigungsbereitschaft mitgestaltet, sozusagen als Botschafter des guten Willens“, würdigte der Diplomat den Geehrten. Nichts sei im vereinten Europa wichtiger, als dass „die Menschen im täglichen Leben die Bedeutung und die Vorteile von guter Nachbarschaft über Grenzen hinweg konkret erleben und spüren“, hebt Axmann die Bedeutung der von Otte gelebten Völkerverständigung hervor. František Václav Lobkowicz, Bischof des Bistums Ostrau-Troppau/Ostrava-Opava, erinnerte an seine erste Begegnung mit Otte im Jahr 1991. Seither verbinde ihn mit dem neuen Ehrenbürger eine Freundschaft. Aus der Patenstadt Neuburg an der Donau war Oberbürgermeister Dr. Bernhard Gmehling mit Vertretern des Stadtrates und des Partnerschaftskomitees nach Weidenau gekommen. Er erinnerte daran, dass Ottes Weg der Versöhnung nicht nur leicht war, sondern in den vergangenen Jahrzehnten bei Tschechen und Sudetendeutschen auch immer wieder auf Kritik stieß. Dem Geistlichen sei es darum gegangen „alte Konturen der Konfrontation abzubauen“. Die vor 60 Jahren übernommene Patenschaft seiner Stadt über die ehemaligen Bewohner von Weidenau und Großkrosse sieht er als „das wertvollste Gut unserer europäischen Bemühungen“. Daraus sei auch die offizielle Partnerschaft zur Kreisstadt Freiwaldau/Jeseník erwachsen. Helma Schochke, Vertreterin des Heimatkreises, dankte Otte für dessen Wirken: „Du hast mit Deiner Botschaft, die Du vorgelebt hast, den Heimatkreis zu einem Forum der Begegnung und nicht zu einem Ort der nostalgischen Abgrenzung gemacht“.
Anton Otte betonte in seiner Dankrede, dass seine Geburtsstadt immer seine eigentliche Heimat geblieben sei. „Diese Anerkennung gilt auch denen, die mich motiviert, begleitet und ermutigt haben“, so der Geehrte. Vor allem seien dies die Freunde in der Ackermann-Gemeinde gewesen. Umrahmt war die Feststunde von zwei Gedenken. Zum Auftakt versammelten sich die Gäste aus Deutschland und Tschechien an der Post. Dort erinnert eine Tafel an zwei tschechische Finanzbeamte. Diese waren am 22. September 1938 ums Leben gekommen, als Freikorps aus dem Deutschen Reich noch vor dem Münchner Abkommen Weidenau besetzten und die tschechische Verwaltung gewaltsam vertrieben. Er habe gespürt, dass er an die Stelle gehen müsse, wo in Weidenau „die Willkür und die NS-Gewaltherrschaft den Anfang genommen hat.“ Otte betonte bei dem Gedenken, er wolle sich vor diesen Opfern verneigen und dabei alle Opfer des tschechischen Volkes einschließen. Den Abschluss des Programms bildete ein Gedenken auf dem Friedhof. Ein Denkmal erinnert dort an die ehemaligen deutschen Bewohner der Stadt. Es ist überschrieben mit dem Satz „Die Menschenrechte sind unteilbar“ und ist mit einer Glocke ausgestattet. Diese mahne, „dass wir niemals zustimmen werden, wo Menschenrechte gebrochen werden und die Würde des Menschen mit Füßen getreten wird“, so der Geehrte zum Abschluss.
Otte wurde am 15. August 1939 im schlesischen Weidenau geboren. 1960 dann verließ er mit seiner Familie als Spätaussiedler seine Heimat, da er wegen der kritischen Einstellung seiner Familie zum herrschenden kommunistischen System nicht zum Theologiestudium zugelassen wurde. Im Westen studierte er Theologie in Königstein, Wien und Bamberg und wurde 1967 in Bamberg zum Priester geweiht. Nach Stationen als Kaplan, Jugendseelsorger und Gymnasiallehrer war er als Dekan im Strafvollzug seelsorgerisch tätig. Nach der Wende kehrte Otte 1991 in seine Heimat zurück und leitete in Prag die neu geschaffene Arbeitsstelle der Ackermann-Gemeinde. Seither vertritt er dort die Ackermann-Gemeinde. Einige Jahre war er dort im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz zusätzlich für die deutschsprachige Seelsorge verantwortlich. Viel war er seitdem im gesamten Land unterwegs, feierte Gottesdienste, predigte und warb für gegenseitiges Verständnis und für Versöhnung. Dabei waren ihm sein Heimatort Weidenau, der Heimatkreis Weidenau-Großkrosse und die Partnerschaft von Neuburg an der Donau mit seiner Heimatregion immer ein besonderes Anliegen. Doch auch die Versöhnungsarbeit der Ackermann-Gemeinde hat er seit Jahrzehnten an vielen Stellen verantwortlich mitgetragen. So war er neben Funktionen im Bamberger Diözesanverband und in der Jungen Aktion der Ackermann-Gemeinde von 1992 bis 2010 Geistlicher Beirat der Ackermann-Gemeinde auf Bundesebene. Die Ackermann-Gemeinde ehrte Otte im Juni 2011 mit ihrer höchsten Auszeichnung, der Versöhnungsmedaille im Gedenken an Hans Schütz. 2001 bis Ende 2014 gehörte Otte auch dem Königlichen Kollegiatskapitel St. Peter und Paul auf dem Vyšehrad zu Prag an, zu dessen Dekan er 2009 und 2011 zu dessen Probst gewählt wurde. Doch nicht nur in der Kirche genießt der Geistliche hohes Ansehen. Für sein Wirken wurde er auch mehrfach von staatlicher Seite geehrt. 1996 zeichnete ihn der tschechische Präsident Václav Havel mit dem Masarykorden aus, 1997 erhielt er das Bundesverdienstkreuz und 2013 den Bayerischen Verdienstorden. Mit der Ehrenbürgerschaft der Stadt Weidenau wird Otte nun auch die höchste Auszeichnung seines Geburtsortes zuteil.
Matthias Dörr