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Prag-Korrespondent Hans-Jörg Schmidt zur Corona-Lage in Tschechien: „Die Regierung hat das Land voll an die Wand gefahren!“

Erneut stand die Corona-Pandemie im Zentrum eines themenzooms der Ackermann-Gemeinde. Grund dafür war die aktuelle Situation in Tschechien, wo derzeit europaweit die höchste Inzidenz besteht. Sozusagen aus erster Hand, direkt vor Ort in Prag, informierte beim themenzoom am „Ackermann-Tag“, am ersten Dienstag in März, der Journalist und Prag-Korrespondent für mehrere Zeitungen Hans-Jörg Schmidt über die Lage und Entwicklung. Dass seine Ausführungen unter dem Thema „Corona und kein Ende. Zerbricht daran das deutsch-tschechische Miteinander?" auf ein breites Interesse stießen, zeigt die Anzahl von über 90 zugeschalteten PCs mit weit mehr als 100 Zuschauerinnen und Zuschauern.

In seiner Begrüßung erklärte Moderator Rainer Karlitschek, dass die Ackermann-Gemeinde nun seit einem Jahr – die ersten Zooms liefen am 21. April 2020 – diese Online-Veranstaltungen anbietet. „Die Pandemie hat uns immer noch im Griff“, stellte er bedauernd fest – auch mit Blick auf das Nachbarland Tschechien, das diesmal erneut im Mittelpunkt stand. Er freute sich, dass mit Hans-Jörg Schmidt ein seit drei Jahrzehnten in der tschechischen Hauptstadt wirkender Journalist Rede und Antwort stand, und stellte ihn kurz vor. Der in Halle an der Saale Geborene ist seit 1990 freiberuflich als Korrespondent in Prag tätig. Als dienstältester deutschsprachiger Korrespondent an der Moldau schrieb er über 20 Jahre für Die Welt (Berlin) und berichtet aktuell für Die Presse (Wien), die Sächsische Zeitung (Dresden) und für weitere deutsche Regionalzeitungen, sowie die Katholische Nachrichtenagentur KNA. Im Jahr 2018 wurde er für seine langjährige herausragende journalistische Tätigkeit mit dem Sonderpreis des deutsch-tschechischen Journalistenpreises ausgezeichnet. Auch bei der Ackermann-Gemeinde ist er kein Unbekannter: so hat er vor fünf Jahren bei einem Seminar zu den Verantwortlichen aus den Diözesen und Regionen im Vorfeld der 70-Jahr-Feier in Nürnberg gesprochen. Auch seine Beiträge im „Landes-Echo“ sind in Ackermann-Kreisen geschätzt und bekannt.

Es sei „ein schwieriges Thema“, stellte Schmidt zu Beginn seiner Schilderungen fest: Eine Inzidenz von ca. 700, Tschechien als der Corona-Hotspot weltweit, schier unerreichbare Werte von 35 oder 50, weit über 20.000 Tote sowie Kranke, die „durchs Land gekarrt“ werden. „Mich schmerzen die Bilder von der Grenze, aber ich verstehe die Gründe“, verdeutlichte er. Zwar sprach er der liberal-sozialdemokratischen Regierung großen Einsatz zu, aktuell sei dieser aber kein Erfolg beschieden.

Anders sei es bei der ersten Welle im vergangenen Jahr gewesen, als die Regierung, womöglich auch als Reaktion auf Aktivitäten in der Bevölkerung, schnell reagiert habe. Tschechien hatte damals die Maskenpflicht noch vor anderen Ländern eingeführt. „Ich war von der Disziplin zu Beginn in Tschechien überrascht. Doch der Erfolg der Maßnahmen stieg der Regierung zu Kopf“, blickte Schmidt zurück. Er rief Bilder von der Prager Karlsbrücke von Ende Juni 2020 in Erinnerung, wo das Ende von Corona mit einem Festbankett gefeiert wurde. Eher sorglos seien viele Tschechen dann in Urlaub gefahren, so dass Anfang September die Zahlen und die Inzidenz wieder stiegen. Angesichts der anstehenden Wahlen hätten die Parteien keine zu harten Regelungen umsetzen wollen. „Als die Maskenpflicht wieder kam, hörte die Bevölkerung auf, der Regierung zu vertrauen. Auch Regierungsmitglieder hielten sich nicht an die Regeln. Bis zu einem Drittel halten sich nicht daran“, beschrieb der Korrespondent die jüngste Entwicklung und schloss mit der Feststellung: „Die Regierung hat das Land voll an die Wand gefahren!“

Im zweiten Teil ging Schmidt auf die aktuellen Fakten ein: Massive Beschränkung der Mobilität, Schließung der Kneipen, jedoch mit Ausnahmen, die dann Virus-Übertragen ermöglichen. „Nun wird alles zugesperrt, nur die Firmen arbeiten“, gab der Journalist zu bedenken und verwies auf die Ansteckungsgefahr am Arbeitsplatz sowie auf dem Weg von und zur Arbeit. Für Schmidt wären daher regelmäßige Tests in den Betrieben sinnvoll, doch die Finanzierung sei problematisch, weil das Geld für Hilfsprogramme nur noch bis Sommer zur Verfügung steht. Auch die Impfungen liefen schleppend, nur sechs Prozent hätten bisher die erste Dosis erhalten. Dominant sei die britische Virusmutante, weshalb auch die Zahl der Intensivpatienten steigt. Schließlich mangle es auch an hochqualifiziertem Personal. Mit Skepsis, die vor allem historisch bedingt ist, würden viele Tschechen dem russischen Impfstoff Sputnik V gegenüberstehen.

Zum Schluss seines Inputs kam Schmidt auf die Roman- und Filmfigur Josef Schwejk, der den Tschechen im Lauf des vergangenen Jahrhunderts in vielen Situationen zumindest ein imaginärer Helfer war. „Im Kampf gegen Corona ist das untauglich. Denn nicht die Regierung ist der Feind, sondern das Virus“, fasste Schmidt zusammen.

Im anschließenden Diskussionsteil zementierte Schmidt den Eindruck, dass – zumindest bis vor kurzem – in Teilen der tschechischen Bevölkerung die Ansicht vorgeherrscht habe, dass es Corona nicht gibt – außer bei persönlicher Betroffenheit. Gefragt nach der Zustimmung für Ministerpräsident Andrej Babiš’ Regierung bei den Wählern, meinte der Korrespondent, dass diese von Herbst bis Ende Februar von 70 auf ca. 35 Prozent gefallen sei. Babiš habe sich die Lösung der Impfproblematik auf die Fahne geschrieben, um später eventuell als Retter dazustehen. Neu sei nun außerdem, dass die Opposition zusammenarbeitet und daher vom Ministerpräsidenten gehört werden muss. Auch das Abrücken der Kommunisten erschwere Babiš’ Arbeit. „Die Wahlen entscheidet das Thema ‚Covid‘. Ich habe es nicht verstanden, wie sich die Regierung die Sache aus der Hand nehmen ließ“, brachte es Schmidt auf den Punkt.

Weitere Fragen betrafen die Grenzkontrollen, die Sicht der deutschen Corona-Politik in Tschechien und die Reflexion der Darstellung der Situation in Tschechien in eben jenem Land. Trotz mancher Verärgerung auf beiden Seiten über die Folgen der Kontrollen habe sich die tschechische Regierung, so Schmidt, über die Abriegelung – auch angesichts der Fallzahlen und Inzidenz – nicht beschwert. „Die deutsche Corona-Politik nimmt man nicht wirklich wahr. Nur die Treffen zwischen der Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidenten und eventuelle Folgen für Tschechien werden zur Kenntnis genommen. Auch der Blick des Auslands auf die Tschechische Republik spielt keine Rolle – auch weil es keine oder nur wenige Auslandskorrespondenten gibt“, erklärte der Journalist. Auch bejahte er die Frage, dass die Kommunikation der tschechischen Regierung zu Corona bisher wenig professionell gewesen sei und daher einen Vertrauensverlust mit sich gebracht habe. Auch die Presse- und Medienlandschaft sei vor dem Hintergrund der bekannten Konstellation, zwei große Zeitungen gehören Babiš, sehr schwierig. „Der Journalismus hier traut sich zu wenig“, meinte der Korrespondent, schloss aber mit einem zuversichtlichen Ausblick: „Wir müssen optimistisch sein, einen klaren Kopf behalten und hoffen, dass die Tschechen endlich einen klaren Kopf bekommen!“

Markus Bauer

Hans-Jörg Schmidt Korrespondent Prag
Prag-Korrespondent Hans-Jörg Schmidt bei seinem Einfürhungsstatement.
Hans-Jörg Schmidt themenzoom
Ein Teil der über 90 zugeschalteten Bildschirme. Oben links der Referent des themenzooms Prag-Korrespondent Hans-Jörg Schmidt.
Rainer Karlitschek themenzoom
Moderator Rainer Karlitschek bei seiner Begrüßung und Einführung ins Thema.
Karlsbrücke Prag
Ohne Touristen ist die Karlsbrücke in Prag in Corona-Zeiten deutlich leerer.
Nach der Kommunikation der tschechischen Regierung in der Corona-Pandemie fragte Alexander Ludwig.