„Přemysl Pitter ist eine beeindruckende Person!“
Der Pädagoge, Prediger und Humanist Přemysl Pitter (1895 – 1976) gehört schon seit längerer Zeit zur inhaltlichen Arbeit der Ackermann-Gemeinde. Die von der Autorin Sabine Dittrich initiierte und bearbeitete Neuauflage von Pitters Autobiografie „Unter dem Rad der Geschichte“, die erst kürzlich erschienen ist, war Anlass für eine besondere Veranstaltung der Ackermann-Gemeinde mit dem Titel „Přemysl Pitter – Ein Beispiel für Humanismus und Toleranz“. Textpassagen aus dem Buch und Ausschnitte aus einem Film, in dem „Pitter-Kinder“ zu Wort kommen, standen dabei im Mittelpunkt – und natürlich der Gedankenaustausch dazu.
In die Thematik führte der Geistliche Beirat der Ackermann-Gemeinde, Monsignore Dieter Olbrich, ein. Er verwies auf die heute verstärkt zu beobachtenden populistischen Kräfte und die sich daraus ergebende Notwendigkeit, sich aktiv für Frieden, Solidarität und Demokratie einzusetzen. Die Autobiografie Pitters biete, so Olbrich, zahlreiche Beispiele dafür, „wie Demokratie und Menschlichkeit verloren gehen können“. Doch Pitter könne auch Mut machen. „Er hat gezeigt, was möglich ist. Es ist beeindruckend, wie er aus seinem christlichen Glauben heraus konsequent den Weg der Menschlichkeit ging und sich insbesondere mutig für Kinder, unabhängig ihrer Nation und ihres Glaubens, einsetzte“. Und genau diese Botschaft Pitters sei heute wieder aktuell. Daher bemühe sich die Ackermann-Gemeinde darum, die Erinnerung an Pitter und seine Idee wach zu halten. Dass Pitter auch in Kontakt mit der Ackermann-Gemeinde stand, erwähnte Olbrich ebenso wie dessen Überzeugung, „dass Versöhnung möglich und ein Miteinander zwischen den Völkern notwendig ist“. Pitters Botschaft könne eine wichtige Inspiration sein. Der Autorin Sabine Dittrich dankte Olbrich für die Initiative zur Neuauflage des Buches, wodurch auch das Engagement der Ackermann-Gemeinde für Přemysl Pitter einen neuen Schwung erhielt – in Form mehrerer Veranstaltungen über Pitter in den letzten Wochen sowohl in Deutschland wie auch in Tschechien.
Mehrere Kurzcharakteristika Pitters, darunter auch das den Titel der Veranstaltung gebende Zitat Václav Havels („Ein Beispiel für Humanismus und Toleranz“), stellte der Bundesgeschäftsführer der Ackermann-Gemeinde Matthias Dörr an den Beginn des Gesprächs mit der Autorin Sabine Dittrich. „Er ist ein väterlicher Freund geworden“, charakterisierte Dittrich den Menschen, dessen Autobiografie sie neu bearbeitet hat. „Er war ein mutiger Mann, ein Vorbild. Er hat sich nicht von dem abbringen lassen, was für ihn wichtig war“. Wichtige Daten zum Leben und Wirken Pitters, vor allem dessen Tätigkeit in der – wie man heute sagen würde – Kinder- und Jugendsozialarbeit, stellte Matthias Dörr vor und wies auch auf Pitters deutliche Positionen gegen den Antisemitismus bzw. gegen Kollektivschuld hin. „Es war fast ein Wunder, dass er die NS-Zeit überlebte“, betonte Dörr.
Aber auch Schwierigkeiten Pitters mit den sowjetischen Besatzern am Kriegsende in der Tschechoslowakei und einige Zeit später mit den kommunistischen Machthabern wurden im Gespräch zwischen Dörr und Dittrich, aus den vorgetragenen Textpassagen und den Aussagen der früheren „Pitter-Kinder“ in den Filmsequenzen ebenso deutlich wie etwa der Umgang Pitters mit früheren Mitgliedern der Hitler-Jugend. Aber auch die Tatsache, dass Pitter und seinem Team mit Olga Fierz an der Spitze die Betreuung der Kinder und Jugendlichen ein Herzensanliegen war, ohne Rücksicht auf Nationalität und Religion. „Nicht Worte konnten helfen, sondern Liebe“, fasste Dittrich dieses Tun zusammen. Denn Pitter und seinen Mitstreitern ging es darum, die körperlich und seelisch erkrankten und bedrückten Kinder und Jugendlichen wieder in allen Bereichen gesund zu machen. Pitter kümmerte sich in Prag zunächst um jüdische, dann um deutsche Kinder. Und später – im Valka-Lager in Nürnberg – um osteuropäische Flüchtlinge. Gut vernetzt war Pitter übrigens in ganz Europa – auch wegen seiner Beiträge im Radio Free Europe. Und er war, wie Matthias Dörr feststellte, auch sehr aktiv im deutsch-tschechischen Versöhnungsprozess. Ein zum Ende des Gesprächs vorgetragener Text Pitters aus dem Jahr 1968 kann auch heute noch bestens als Inspiration für die Verständigungs- und Nachbarschaftsarbeit von Deutschen und Tschechen dienen. Sabine Dittrich schilderte abschließend ihre positiven Eindrücke von der persönlichen Begegnung mit Blanka Sedláčková, die ebenfalls in der Obhut Pitters gestanden hat. „Přemysl Pitter ist eine beeindruckende Person! Auch die schwierige deutsch-tschechische Geschichte des 20. Jahrhunderts kann man anhand von Přemysl Pitter aufzeigen“, fasste Matthias Dörr zusammen.
Markus Bauer