„Rastplatz für die Seele“ an der deutsch-tschechischen Grenze

Eine "Rastplatz für die Seele" will sie sein. Die ökumenische Autobahnkirche in Waidhaus an der A6. Seit 10 Jahren besteht nun dieses geistliche Angebot für Reisende von und nach Böhmen. Mit einem ökumenischen Festgottesdienst und der Eröffnung der Ausstellung „Europäischer Humanist. Přemysl Pitter“ von Ackermann-Gemeinde und Nationalen Pädagogischen Museum in Prag wurde dieses Jubiläum begangen.

Der katholische Pfarrer von Waidhaus Georg Hartl sieht die Gründung vor 10 Jahren als „glückliche Fügung“. Sie sei damals „aus dem Nichts entstanden“. Anfangs habe es vor Ort einige Widerstände gegen die Umwidmung der Kirche „Heilige Dreifaltigkeit“ gegeben, erinnert sich der Geistliche. Heute werde das Gotteshaus in seiner neuen Funktion von Einheimischen wie Reisenden jedoch angenommen. Dies unterstreicht auch Margit Kirzinger, Erste Bürgermeisterin von Waidhaus. Sie kehre selbst immer wieder in die Kirche ein. Ein Blick dabei in das Anliegenbuch mit Einträgen in vielen Sprachen zeige ihr, dass der Ort viel genutzt werde, so die Rathauschefin mit einem positiven Resümee.

„Viele Geschichte von Wegen und Reisen kreuzen sich hier. Die meisten von oder zur deutsch-tschechischen Grenze“, führte der evangelische Dekan Dr. Wenrich Slenczka von Weiden mit Blick auf die besondere Lage der Kirche aus. Er sieht das Gotteshaus „als Zeichen des Dankes“ für die entstandenen Verbindungen nach der Überwindung der Spaltung vor 25 Jahren. „Gott verbindet uns über die Sprachgrenzen hinweg“. So waren auch zahlreiche Gäste aus dem Nachbarland zum Jubiläum gekommen. Sie brachten sich mit tschechischen Elementen in den Gottesdienst ein. Kooperationen bestehen beispielsweise mit der Autobahnkapelle an der D5 bei Pilsen/Plzeň mit gemeinsamen Unfallopfergottesdiensten. In einer Kirchenruine in Roßhaupt/Rozvadov findet außerdem alljährlich eine Taizé-Andacht statt.

Auch den ökumenischen Ansatz hob der Weidener Dekan in seiner Festpredigt hervor. So sei die Waidhauser Autobahnkirche „eine moderne Simultankirche“, so Slenszka. Folglich wirkten auch bei der Festmesse Vertreter verschiedener Konfessionen mit. Neben dem katholischen und evangelisch-lutherischen Pfarrer waren auch Vertreter der Herrenhuter Brüdergemeine, der hussitischen Kirche sowie der evangelischen Kirche der böhmischen Brüder nach Waidhaus gekommen. Zudem ziert eine Ikone, ein Geschenk der griechisch-orthodoxen Gemeinde Nürnberg, die Kirche. Um die Arbeit der ersten ökumenischen Autobahnkirche in Bayern zu festigen, ist für Oktober die Gründung eines Trägervereins geplant. Mit vielfältigen Aktivitäten hätten Katholiken und Evangelische dieses Projekt vorangebracht, so Gunhilde Stempel für den evangelischen Träger. Der neue Verein solle „Menschen aus Waidhaus und Umgebung verschiedener Konfessionen, denen es ein Anliegen ist, die Arbeit der Autobahnkirche zu unterstützen“, zusammenbringen.

Zu den Aktivitäten in der Kirche gehören neben einem geistlichen Angebot auch Ausstellungen. Im Rahmen des Festgottesdienstes wurde eine neue eröffnet. Sie zeigt das Leben und Wirken des „Europäischen Humanisten“ Přemysl Pitter. „Die Ausstellung stellt uns einen Menschen vor, der durch festen Glauben durch Mut in den schwierigsten Zeiten des blutigen 20. Jahrhundert und durch eine bedingungslose Zuwendung zu Menschen in Not noch heute ein Beispiel für uns sein kann“, beschreibt Matthias Dörr, Bundesgeschäftsführer der Ackermann-Gemeinde, den tschechischen Christen Pitter. In seiner Einführung hob Dörr besonders die Aktion Schlösser" hervor. Direkt nach Kriegsende wurden Pitter Schlösser im Umkreis von Prag als Zufluchtort für jüdische Kinder, die die Konzentrationslager überlebt hatten zu Verfügung gestellt. Als er jedoch das Leid in Internierungslager für Deutsche erlebte, konnte er erreichen, auch deutsche Kinder aus diesen in seine Heime zu holen. So war Pitter „gerade in den dunkelsten Kapitel der deutsch-tschechischen Geschichte ein Licht der Menschenliebe und der Hoffnung in die Menschen“, so Dörr. In den Heimen lebten die deutschen Kinder zum Teil mit jüdischen zusammen. Der Bundesgeschäftsführer sieht dies als einen „frühen und mutigen Weg zu einer deutsch-jüdischen Versöhnung“. Innerhalb von zwei Jahren durchliefen 810 Kinder die „Aktion Schlösser“.

Im seinem Denken sei Pitter seiner Zeit weit voraus gewesen, so Dörr. Er griff mit Blick auf die nahe deutsch-tschechische Grenze bei Waidhaus ein Zitat Pitters aus dem Jahr 1955 auf. Damals formulierte Pitter in der Zeitschrift „Der neue Ackermann“, herausgegeben vom Hochschulring der Ackermann-Gemeinde, die Vision eines grenzenlosen Europas: „Die wahre Lösung der mitteleuropäischen Probleme ist nicht in besserer Grenzziehung zu suchen, sondern in der Überwindung der Grenzen. Es gibt zwischen unseren Völkern praktisch keine gerechte Grenzziehung, und trennende Grenzen sind nicht gottgewollt.“ Pitter folgerte damals: „Die Zeit muss kommen, wo sie ihre Bedeutung verlieren, weil alles Bindende und Verbindende gewachsen ist. Dann werden Landes- und Volksgrenzen nicht mehr trennen, als es heute Bezirksgrenzen tun.“ Für die Ackermann-Gemeinde zeigte sich ihr Bundesgeschäftsführer dankbar für das konfessions- und grenzüberschreitende Engagement der Autobahnkirche. „Wie sie in Waidhaus am Zusammenwachsen Europas an der Grenze und über die Grenze hinweg mitarbeiten, wirken sie ganz im Sinne Pitter“, betonte Dörr zum Abschluss.

Die Ausstellung "Premysl Pitter. Europäischer Humanist" wurde von der Ackermann-Gemeinde und dem Nationalen Pädagogischen Museum in Prag erstellt. Sie wurde bereits an vielen Orten in Deutschland, zuletzt bis Ende Juni in Berlin, präsentiert. In der Autobahnkirche ist sie bei freiem Eintritt bis 31. August täglich von 7 bis 20 Uhr zu sehen. Ein Grund mehr auf der Fahrt von und nach Böhmen an der "Raststätte für die Seele" einen Zwischenstopp einzulegen.

ag

Die Autobahnkirche in Waidhaus