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Schriftsteller zu Irritationen in mitteleuropäischer Nachbarschaft

Seinen inzwischen auch auf Deutsch erschienenen Comic-Roman „Alois Nebel“ hatte der 39-jährige Schriftsteller, Dramatiker und Drehbuchautor Jaroslav Rudiš natürlich dabei. Und er las beim 21. Deutsch-tschechischen Brünner Symposium – Dialog in der Mitte Europa am Palmsonntag-Wochenende, das heuer unter dem Motto „Unverstandene Nachbarn“ stand, auch einige Passagen daraus vor. Angesichts der Tatsache, dass Rudiš' Werk im tschechisch-polnischen Grenzgebiet spielt, war dies eine Steilvorlage zum Titel der Veranstaltung.

Vier weitere Schriftsteller unterschiedlicher Nationalitäten tauschten unter dem Thema „Die Geschichte der mitteleuropäischen Irritationen. Ein dauerhafter Impuls zur Zusammenarbeit von Politik, Kultur und Zivilgesellschaft“ ihre Meinungen und Erfahrungen aus. Über das Leben in einem slowakisch-ungarischen Grenzstädtchen hat der in Šahy (Eipelschlag) in der Südslowakei lebende Dr. Peter Hunčík einen Roman geschrieben, in dem er das Zusammenleben der verschiedenen Ethnien im 20. Jahrhundert beleuchtet – von der österreich-ungarischen Monarchie bis zum Jahr 1968. „Ich wusste nicht, wer ich bin“, blickte Hunčík auf seine Kindheits- und Jugendjahre zurück, wenn beim Essen am Sonntag ungarisch gesprochen wurde, aber neben Ungarn auch Deutsche, Juden und Slowaken am Tisch saßen. „1956 habe ich mich als Ungar gefühlt“, erläuterte der Autor und wunderte sich im Rückblick über Soldaten in Panzern beim Einmarsch 1968 in die Tschechoslowakei, „die uns ungarisch angesprochen haben“. Die aktuellen Entwicklungen; wie die Gesetzgebung in der jetzigen Slowakei, das Angebot der doppelten Staatsbürgerschaft durch den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán u.ä., will er in einem neuen Buch abhandeln. Zusammenfassend meinte Hunčík: „Das Ganze, was uns das 20. Jahrhundert gebracht hat, kann man nur mit viel Humor ertragen“.

Die aktuelle Entwicklung in Ungarn kritisierte auch der von dort stammende, im Jahr 1929 geborene und heute in Wien lebende Publizist Professor Paul Lendvai. „Ich weiß, was Intoleranz und verblendeter Nationalismus ist“, meinte er zur Minderheitenproblematik. Den Politikern riet er, öfters zuzuhören und Diskussionen mitzumachen. In diesen und vergleichbaren Fragen wies Lendvai den Schriftstellern eine zunehmende Bedeutung zu.

„Ein Schriftsteller erlebt eine zweifache Irritation: zum einen wirkt die Gesellschaft unterschiedlich, zum anderen gerät er in einen Strudel von Einflüssen und Tatsachen, die dann für Irritationen sorgen“, meinte die 71-jährige Prosaistin, Dramaturgin und ehemalige Dissidentin Eva Kantůrková aus Prag zum Thema des Podiums. Das Schreiben ist für sie dann eine Aufarbeitung von Traumata, „für sich selbst kann man Dinge dann auch in die Vergangenheit schieben“, beschrieb Kantůrková ihre Herangehensweise, wobei die Umsetzung natürlich stark von der eigenen Verfassung abhänge. Eine passende Form müsse für die Realisierung ebenso gefunden werden wie Einheitlichkeit schaffende Elemente. „Man muss mit seinem Fall die Gesellschaft berühren, sofort kommt dann alles ins Schwingen“, verrät die Prosaistin, die unter anderem viele autobiografische Werke geschrieben hat.

Zwar nicht autobiografisch, aber durch das Leben ihrer Schwiegermutter beeinflusst ist der dokumentarische Roman BergersDorf von Herma Köpernik-Kennel, die 1944 bei Pirmasens geboren wurde. In dem Opus geht es um den bei Iglau gelegenen Ort Bergersdorf, der zum Dorf eines SS-Generals wurde und dafür bitter büßen musste. In einem Kapitel schildert die Autorin die Mordnacht in der Budinka. Diese Schilderung löste polizeiliche Ermittlungen aus, die schließlich zur Exhumierung des Massengrabes bei Dobrenz im Jahr 2010 führten. „Ich fühlte mich der Wahrheit verpflichtet, mich hat auch viel irritiert, was ich noch nicht wusste. Doch das Thema machte mich immer neugieriger. Und ich empfinde es als inneren Reichtum, viele Leute kennengelernt zu haben, zudem sind auch Freundschaften entstanden“, erläuterte Köpernik-Kennel.

Ganz anders, mittels Comic-Figuren, geht Jaroslav Rudiš an seine Themen heran. Dabei behandelt er auch sehr ernste wie etwa die wilden Vertreibungen. Seiner Titelfigur namens Alois Nebel gewinnt er gleich mehrere Sinngehalte und Interpretationen ab. Rückwärts gelesen ergibt der Name „Leben“ - „ein Leben, das sich im Nebel versteckt“, so Rudiš. Aber auch die Tatsache, dass er bei den Recherchen vielfach „im Nebel suchen“ musste, kommt darin zum Ausdruck. Doch er stieß immer wieder auf deutsche Unterlagen und Dokumente und auf verschwundene Geschichten, die oftmals sehr spannend und zum Teil auch geheimnisvoll waren. Alois Nebel wurde übrigens 2011 verfilmt, das Buch liegt seit einigen Monaten auch in der deutschen Fassung vor.

Markus Bauer

Schriftsteller diskutierten in Brünn zu Mitteleuropa