Stadt Brünn ruft „Jahr der Versöhnung“ aus

Heuer jährt sich zum 70. Mal nicht nur das Ende des Zweiten Weltkrieges. Auch Flucht und Vertreibung stehen damit in einem engen Zusammenhang. Und in der Hauptstadt Mährens, in der seit Jahren das Symposium „Dialog in der Mitte Europas“ stattfindet, ist das Jahr 1945 besonders mit dem „Brünner Todesmarsch“ verbunden. Das Symposium nutze Brünns Oberbürgermeister um das von der Stadt Brünn ausgerufene „Jahr der Versöhnung“ und die Idee eines Gedenkmarsches zu präsentieren. Die Teilnehmer des Symposiums erinnerten an dieses Geschehen mit einer Exkursion und einem Gedenken.

Brünns Oberbürgermeister Petr Vokřál, aus der ANO-Bewegung und seit Herbst im Ant, verwies bereits in seinem Grußwort auf das in seiner Stadt im Jahr 2015 im Rückblick auf das Kriegsende 1945 ausgerufene „Jahr der Versöhnung“. Das Gedenken an alle Ereignisse, „die vorher waren und danach kamen“, soll dabei im Fokus stehen – sowohl Kriegsopfer als auch Opfer der Vertreibung der Deutschen. Speziell geplant ist in Brünn am 30. Mai eine an den Brünner Todesmarsch erinnernde Gedenkfeier. Dabei soll die 32 Kilometer lange Strecke von Pohrlitz/Pohořelice mit Endziel Mendelplatz in Brünn, in Gegenrichtung zu dem damaligen Vertreibungsweg, zu Fuß marschiert werden. Damit sollen symbolisch die Deutschen wieder in Brünn begrüßt werden. Mit großem Respekt wurde von den anwesenden Ehrengästen das Vorhaben der Stadt begrüßt. Der Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde Martin Kastler sieht in dem geplanten Gedenken eine „große Geste“, die das gewachsene Vertrauen zwischen unseren Ländern zeige. Dieses mache ein gemeinsames Trauern um Opfer unabhängig ihrer Nationalität möglich.

Vor dem Denkmal für die Opfer des Brünner Todesmarsches im Hof des Klosters Altbrünn kamen am Samstagnachmittag rund 80 Teilnehmer des Symposiums zusammen. Dort erinnerte Dr. Tomáš Dvořák an die Vorkommnisse ab dem 29./30. Mai 1945. Er nannte mehrere Gründe, die letztendlich zum Brünner Todesmarsch führten – wobei die Gewichtung der einzelnen Ursachen nach wie vor offen ist. So kurz nach dem Ende des Krieges herrschte eine gespannte Situation, vor allem bei Versorgungsfragen. Auch ist der damals bereits beginnende Machtkampf verschiedener Parteien zu sehen, verbunden auch mit einer „Anbiederung an die Bevölkerung“ (Dvořák). Statt zu einer Beschwichtigung beizutragen, spitzte sich die Situation zu. Dies wohl auch durch einen Besuch von Präsident Edvard Beneš. In Brünn hatte er bei seinem ersten Besuch nach der Rückkehr aus dem Exil den ersten Auftritt im tschechischen Landesteil, in der Slowakei wurden ihm seine Ansprüche streitig gemacht. „Seine Reden trugen weiter zur Radikalisierung der tschechischen Bevölkerung bei und zum Vorgehen der tschechischen Bevölkerung gegenüber den Deutschen“, erläuterte Dvořák. Dies sei zwar nicht direkt als eine Anstiftung zur Vertreibung oder gar Liquidierung der Deutschen zu sehen, aber in der Folge sei es zu Internierungen und zum Zusammentreiben von Deutschen gekommen – letztlich mit offiziellen Bekanntmachungen der Behörden, die Deutschen in der Region Brünn zu sammeln und abzuschieben. Diese Verlautbarung wurde Ende Mai umgesetzt. Der Klosterhof war der Ort, an dem die „von den Behörden als Deutsche bezeichneten Menschen“ (ca. 20.000 bis 22.000) zusammengerottet und dann zur österreichischen Grenze getrieben wurden. Unterwegs kamen noch weitere Gruppen aus Orten südlich von Brünn hinzu, die zum Teil von Partisaneneinheiten begleitet wurden.

Vor allem Kinder, Frauen und alte Leute mussten somit Brünn und ihre Heimatorte verlassen. Der erste dramatische Punkt des Marsches in Richtung Mikulov/Nikolsburg war im ca. 30 km von Brünn entfernten Pohrlitz/Pohořelice. Der Großteil der Menschen war in einem elenden Zustand, für die Übernachtung hier war nichts vorbereitet. Die bis dahin Überlebenden wurden in provisorische Lager (Hallen für Getreide) gesperrt. Dort starben viele Menschen, weil Hunger, Thyphus und Ruhr ausbrachen und sich rasch verbreiteten. Es gab keine ärztliche Hilfe, zwischen 500 und 600 Opfer waren allein in Pohrlitz zu beklagen, weitere 100 dann in der Nähe von Nikolsburg sowie eine unbekannte Zahl an Opfern in weiteren Dörfern wie auch später – durch Entkräftung – auf österreichischem Gebiet. „Ein Teil der Zeitzeugen erzählt von Massakern und Morden großen Ausmaßes“, vertiefte Dvořák, wobei er auch bemerkte, dass es über solche Ereignisse im Grenzgebiet offiziell keine tschechischen Unterlagen oder Zeugenaussagen gibt. Dennoch hält er die Organisation der Massaker und Gewalttaten für „sehr wahrscheinlich“.

Auch auf die damaligen Reaktionen in den tschechischen Regierungseinrichtungen ging Dvořák ein. Nach den Vorkommnissen in Pohrlitz seien zwar Stimmen aufgekommen, dem Marsch Einhalt zu gebieten – auch wurden Personen nach Brünn zurückgebracht. Aber selbst nach Bekanntwerden der Ereignisse bei der Regierung in Prag, sei es nicht mehr gelungen, das Ganze unter Kontrolle zu bringen. „Schon damals begann das große Schweigen“, fasste Dvořák im Blick auf fehlende öffentliche Berichte zusammen. Nur in einigen wenigen Briefen sei diese Aktion verurteilt worden. Und der Hauptorganisator des Todesmarsches Bedřich Pokorný bekam später sogar eine führende Position bei der Staatssicherheit, beging aber 1968 Selbstmord.

Im Jahr 1995 hat der Verband der Brünner Deutschen das Denkmal im Klosterhof Altbrünn errichtet, bis dahin lag eine „Schicht des Schweigens“ über dem Ereignis, so Dvořák. Doch seither seien Veränderungen festzustellen, „in den vergangenen 20 Jahren hat sich unsere Wahrnehmung stark geändert. Heute ist das Ereignis Geschichte, es wird historisiert, die Gründe und Hintergründe werden erfasst. Junge Menschen veranstalten Gedenkmärsche nach Pohořelice“, beschrieb Dvořák die heutige Einschätzung.

„Es ist eine große Ehre, mit Ihnen heute hier zu sein, die Gelegenheit zur Zusammenkunft zu nutzen“, freute sich Petr Kalousek, Stadtrat in Brünn für Brünn-Mitte. Das vom Brünner Gremium ausgerufene „Jahr der Versöhnung“ gelte, so der Stadtrat, auch den Opfern des Todesmarsches. „Dieser Marsch fand aufgrund der absolut inakzeptablen Kollektivschuld statt“, erläuterte Kalousek und lud zur „Wallfahrt der Versöhnung“ am 30. Mai in Brünn ein. „Wir möchten die Geschichte nicht bewerten, sondern erinnern. Es mag wie ein Klischee klingen, aber wir wollen verhindern, dass sich so etwas wiederholt“, ergänzte der Stadtrat und verband dies mit der Hoffnung, dass sich bis zum 30. Mai auch die erst kürzlich neu gewählten Räte in Brünn zu diesen Ereignissen äußern.

Propst em. Monsignore Anton Otte gestaltete die kurze Andacht am Denkmal in Pohrlitz. „Gott, wir danken dir, dass du uns im Bemühen um Heilung der Wunden aus der Vergangenheit auf Wegen der Versöhnung führst. Wir bitten dich aber auch um Kraft für den Kampf gegen alles, wo auch heute wieder die Würde des Menschen mit Füßen getreten wird“, betete er. Der Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde Martin Kastler, der Vorsitzende der Bernard-Bolzano-Gesellschaft Dr. Matěj Spurný, der Präsident der Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien Martin Dzingel und die Vorstandsvorsitzende des Deutschen Kulturverbandes Region Brünn Hanna Zakhari legten danach ein Blumengebinde zum Gedenken an die Opfer des Todesmarsches nieder. Die übrigen Teilnehmer konnten Kerzen entzünden und für die Opfer beten.

Markus Bauer/ag

Mit Blumen ehrten für die Ackermann-Gemeinde<br/ >und die Bernard-Bolzano-Gesellschaft Martin<br/ > Kastler und Dr. Matěj Spurný die Opfer des <br/ >"Brünner Todesmarsches" in Pohrlitz/Pohořelice