Stärkung der Friedenskräfte, der Diplomatie und der Gespräche
Friedenstheologe Heinz-Günther Stobbe beim Themen-Zoom der Ackermann-Gemeinde
Mit der am 26. März veröffentlichten Erklärung der deutschen Kommission von Justitia et Pax zum Krieg gegen die Ukraine beschäftigte sich Anfang August der Themen-Zoom der Ackermann-Gemeinde. Der emeritierte Theologieprofessor Dr. Heinz-Günther Stobbe stellte als Mitglied der Kommission diese Erklärung vor und beantwortete unter der Leitfrage „Über Frieden nachdenken in Zeiten des Krieges“ die Fragen und Stellungnahmen der an 50 Computern die Online-Veranstaltung verfolgenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
Moderator Rainer Karlitschek stellte den Referenten kurz vor. Professor Stobbe lehrte Theologische Propädeutik bzw. Ökumenik und Friedensforschung an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und im Anschluss Systematische Theologie und theologische Friedensforschung an der Universität Siegen. Er gehört zu den profiliertesten Friedensforschern der Gegenwart. Im Arbeitsbereich „Frieden“ von Justitia et Pax (eine Einrichtung der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken) ist Stobbe Moderator.
Einleitend ging Stobbe auf seine bereits lange Zeit zurückliegenden Kontakte zur Ackermann-Gemeinde ein – in der damaligen Ostkommission von Justitia et Pax, wo er mit dem erst kürzlich verstorbenen Adolf Hampel zusammengearbeitet hat. Ebenso ging er auf die Gründung der deutschen Kommission Justitia et Pax als Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils ein, wonach überall in der Welt solche Einrichtungen gegründet werden sollten – in Deutschland als Kooperation zwischen der Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken, „zusammengesetzt vom ständigen Rat der Bischofskonferenz“, konkretisierte der Referent. Darin vertreten sind die meisten Verbände, Organisationen und Orden, die mit Themen wie Menschenrechte und Frieden zu tun haben. In der Kommission werden drei Themen in Arbeitsgruppen behandelt: Friede, Menschenrechte, Entwicklung. Die Arbeit an bestimmten Themen ist langfristig und selbständig, zu wichtigen Fragen und Entwicklungen werden Erklärungen erarbeitet und veröffentlicht. So gab es nach der Besetzung der Krim durch Russland und zum Krieg im Donbass eine Erklärung im Jahr 2018, an die sich die aktuelle Deklaration anschließt. Anlass war, so Stobbe, vor allem die Diskussion über deutsche Waffenlieferungen für die Ukraine. „Der Adressat ist die politisch-gesellschaftliche Öffentlichkeit, nicht nur kirchliche Kreise“, erklärte der emeritierte Hochschullehrer und merkte an, dass in Rückmeldungen bisweilen kritisiert wurde, dass „der Geist des Evangeliums vermisst“ werde.
Die „relativ umfangreiche“ Erklärung bekräftigt, so Stobbe, die „Legitimität, in diesem Krieg Waffenhilfe zu leisten – vielleicht sogar moralisch verpflichtend“. Dies wird mit dem Recht auf Selbstverteidigung sowohl für den einzelnen Mensch als auch für ein Volk bzw. einen Staat begründet. „Das hat die christliche und kirchliche Tradition nie verneint und ist auch in der UN-Charta festgeschrieben“, führte der Emeritus auch mit Blick auf den Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen aus. Zudem sei dieser Fakt vor dem Hintergrund, dass Russland alle Maßnahmen des UN-Sicherheitsrates blockieren könne, zu bedenken. Für die Arbeitsgruppe der Kommission und damit für die Erklärung seien auch noch andere Faktoren wichtig gewesen – grundsätzlich, „sich nicht nur auf den militärischen Aspekt zu konzentrieren. Die Erhöhung des Bundeswehretats darf nicht dazu führen, dass andere Bereiche der Friedenspolitik heruntergefahren oder aus den Augen verloren werden“, konkretisierte Stobbe. Und angesichts der Drohung Russlands mit Atomwaffen richte die Erklärung auch eine „Mahnung an die Völkergemeinschaft, die Notwendigkeit nuklearer Abrüstung nicht aus den Augen zu verlieren“, d.h. den Atomwaffensperrvertrag umzusetzen – auch vor dem Hintergrund der 10. für den 1. bis 26. August 2022 geplanten Überprüfungskonferenz.
Professor Stobbe hielt seine Ausführungen extra kurz, um mehr Zeit für die Fragen und Stellungnahmen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu haben. So fragte Moderator Karlitschek nach dem „Ideal der Gewaltfreiheit“. Die Gewaltfreiheit sei in der kirchlichen Tradition „kein absolutes Prinzip“ entgegnete Stobbe. Es könne immer Situationen geben, „wo Gewalt nötig und angebracht ist“. Der frühere Hochschullehrer verwies auf die beim Heiligen Augustinus beschriebene Lehre vom gerechten Krieg, die freilich ideologisch missbraucht werden könne. Heute herrsche ein breiter Konsens, wonach die Lehre vom gerechten Krieg unbrauchbar sei. „In der UN-Charta ist die Ächtung des Krieges fixiert. Übrig bleibt eine ethische Rechtfertigung von Gewaltanwendung“, fasste Stobbe diesen Punkt zusammen.
Die Sicherung des Friedens auch durch Besitz von (Atom)Waffen im Kalten Krieg sprach der emeritierte Chemie-Professor Dr. Bernhard Dick an und spitzte dies auf die Frage zu „Ist Verteidigung friedenssichernder als die Abgabe aller Waffen?“ Mit einer Gegenfrage begann Stobbes Antwort: „Dürfen Christen überhaupt zu Waffen greifen? Unter welchen Umständen darf ein Staat Waffen einsetzen?“ Zu unterscheiden sei zudem zwischen Völkerrecht und Moral, wobei das Völkerrecht ja bereits eine Reihe von Waffensystemen verbietet oder einschränkt (bestimmte Geschosse, Massenvernichtungswaffen), was aber – siehe Ukraine-Krieg – nicht beachtet wird. Bezüglich der Atomwaffen und der von ihnen ausgehenden Abschreckung sieht Stobbe die jüngste Äußerung Putins, auf einen atomaren Erstschlag zu verzichten, da ein Atomkrieg nicht zu gewinnen sei, als positiv. „Aber der Umstand, dass die Zahl der Atomstaaten wächst trotz des Verbots und des Atomwaffensperrvertrags, zeigt deutlich, dass freiwillig nicht auf Atomwaffen verzichtet wird“, erklärt der Referent mit Blick auf Staaten wie Iran oder Nordkorea. Die Erhöhung der Anzahl an Atomwaffen bedeute eine Vergrößerung der Eskalation eines konventionellen Krieges. „Kein Atomwaffenstaat ist bereit, an der Situation etwas zu ändern“, zog der Emeritus eine bedrückende Bilanz, wobei aktuell vielfach nukleare Modernisierungen sowie Aufrüstung und Stationierung an ungefährdeten Orten (z.B. U-Boote) laufen.
Von „Ratlosigkeit“ sprach Prof. Dr. Barbara Krause in ihrem Statement. „Irgendwann werden die Waffen schweigen müsse. Was kann man jetzt schon perspektivisch in Richtung Friedenssicherung tun – etwa auf der zivilgesellschaftlichen Ebene?“ lautete ihre Frage. „Wir dürfen uns nicht irre machen lassen, aber es sieht momentan nicht lustig aus“, erwiderte Stobbe. Er verwies auf Helmut Kohl und Michail Gorbatschow, die damals vieles in Gang brachten. Für „irrsinnig“ hält es der ehemalige Theologieprofessor, alle Russen zu diffamieren. Wichtig sei ferner, „an den Verbindungen festzuhalten, die wir im Laufe der letzten Jahrzehnte geschaffen haben. Wir haben zurzeit eine Durststrecke, aber wir dürfen uns nicht entmutigen lassen. Die Verbindungen werden wichtig für eine Zeit, die sich einmal ändern wird. Es sieht alles im Augenblick nicht gut aus. Aber wir können es uns nicht leisten, einen neuen Kalten Krieg zu beginnen“, beschrieb er die Gegenwarts- und Zukunftsperspektiven. Konkret schlug er drei Bereiche für die Friedensförderung vor: Stärkung der Friedenskräfte, Stärkung der Diplomatie, Aufnahme und Stärkung von Gesprächen statt Abreißen der Friedenskanäle. Es gehe in der Summe darum, sich nicht in einer Haltung zu verrennen, „die uns selbst in eine Sackgasse bringt, aus der wir nicht mehr herauskommen. Handlungsoptionen offen lassen ist die vordringliche Aufgabe der Politik“, zeigte Stobbe Möglichkeiten auf.
Weitere Fragen beinhalteten den Zeitpunkt der Beendigung des Krieges, verbunden mit der Erreichung der Kriegsziele und den Vergleich mit dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes 1968 in die Tschechoslowakei (gewaltfreier Widerstand). „Ein erster Schritt dem Frieden näher zu kommen, ist den Krieg weiterzuführen, bis es den Russen reicht, bis sie einsehen, dass er zu teuer wird“, beantwortete Stobbe die erste Frage. Die Vorgänge 1968 in der Tschechoslowakei seien mit denen in der Ukraine nicht vergleichbar. „Putin wird mit dem Angriff auf die Ukraine nicht aufhören. Ihm geht es um die Zerstörung der gesamten europäischen Friedensordnung. Das ist eine völlig andere Qualität des Konflikts. Niemand weiß, was eigentlich Putins Ziel ist. Die Auslöschung der Ukraine als eigenständiger Staat sei jedenfalls Putins primäres Ziel. „Der Krieg wird in absehbarer Zeit ein Ende finden müssen, auch Russlands Ressourcen sind nicht unerschöpflich“, verlieh Stobbe seiner Hoffnung Ausdruck, verbunden mit dem Wunsch, dass die Russen keine ihrer großen Ziele erreichen werden.
Markus Bauer
Nachzulesen bzw. zum Download ist die Erklärung unter folgendem Link: