Themenzoom: „Demokratie ist kein Zuschauersport!“
Ruprecht Polenz stellte beim Themen-Zoom der Ackermann-Gemeinde sein neues Buch vor.
Der Termin war zwar mit dem ersten Dienstag im Monat der übliche für die Zooms der Ackermann-Gemeinde. Diesmal passten aber Termin und Thema zusammen: denn in den Stunden der US-Präsidentenwahl präsentierte Ruprecht Polenz die zentralen Aussagen und Fakten aus seinem jüngst erschienenen Buch „Tu was! Kurze Anleitung zur Verteidigung der Demokratie“.
An 48 PCs lauschten natürlich weit mehr Interessenten den Ausführungen des früheren CDU-Bundestagsabgeordneten, der von 2005 bis 2013 auch Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages war. Seit 2013 bekleidet er das Präsidentenamt der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. Moderator Rainer Karlitschek stellte ihn als „demokratischen Kämpfer für die Notwendigkeit der Demokratie“ vor und verwies auf dessen erfolgreiches Wirken in den neuen, den Sozialen Medien. Hier appelliert Polenz an seine Follower, sich gegen die Extremisten von rechts zu wehren. Ebenso erinnerte der Moderator an Polenz’ Präsenz und Mitarbeit bei Veranstaltungen der Ackermann-Gemeinde in der Region Münster und dessen Teilnahme an der Aktion der Ackermann-Gemeinde „Ich gehe wählen …“ im Vorfeld der Europa-Wahl. Schließlich blickte Karlitschek auf die kürzlich stattgefundene Sitzung des Bundesvorstands der Ackermann-Gemeinde zurück, bei der einstimmig der Text „Unvereinbarkeit der Werte der Ackermann-Gemeinde mit völkisch-nationalen und antidemokratisch-populistischem Gedankengut“ beschlossen wurde.
Einleitend dankte Polenz der Ackermann-Gemeinde für ihr langjähriges Wirken im deutsch-tschechischen Bereich. Bei schwierigen Startbedingungen nach 1945 sei man inzwischen auf einem guten Weg, charakterisierte er die deutsch-tschechischen Beziehungen. Er gab auch bekannt, dass Russland die von ihm geführte Gesellschaft für Osteuropakunde auf die Liste extremistischer Organisationen gesetzt hat – ein Beispiel für hybride Kriegsführung. Die Motivation für sein Buch sei vor allem die Tatsache gewesen, dass zwei Drittel in Deutschland sich inzwischen Sorgen um die Demokratie machen.
Seinen ersten Hauptgedanken überschrieb Polenz mit dem „Glück, in eine Demokratie hineingeboren zu sein“. Denn Deutschland gehöre zu den 21 vollständigen Demokratien weltweit, denen zahlreiche autokratische Staaten gegenüberstehen. Aber die Demokratie werde den Menschen nicht in die Wiege gelegt, im Gegenteil: man müsse sie „durch die Praxis, im gelebten Alltag“ lernen. „Schnell vergessen wir, was wir unserer Demokratie verdanken“, verdeutlichte der Referent. Er nannte den Beitrag der Demokratie zum Frieden in der Welt, denn „noch nie gab es einen Krieg, in dem zwei Demokratien gegeneinander kämpfen“. Auch die Europäische Union sei ein Beleg, „wie sich Staaten, die zu Demokratien wurden oder schon waren, zusammenschlossen, so dass ein Krieg zwischen ihnen nicht denkbar ist“, so Polenz. Für Deutschland und die Deutschen verwies er zum einen auf Rang acht bei der jüngsten Untersuchung zur Lebensqualität, zum anderen auf das weitgehend visumfreie Reisen. „Die meisten anderen Länder sind sicher, dass wir wieder nach Hause fahren“, schloss er diesen Abschnitt.
Im zweiten Hauptgedanken widmete er sich den Voraussetzungen für die Demokratie. Dies sei vor allem die Einhaltung von Regeln und Gesetzen, die besonders auf der Werthaltung des Grundgesetzes basieren. Mit anderen Worten – „die Kategorie des Vertrauens“. Aber das Vertrauen schwinde vor allem in jüngster Zeit, wenn 60 Prozent gar keiner Partei mehr etwas zutrauen. „Das ist alarmierend, das kann schnell zu Misstrauen umschlagen“, stellte er klar. In diesem Zusammenhang ging er auch auf das gesunkene Vertrauen in die Medien („Lügenpresse“) ein und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Meinungsbildung bis hin zur (politischen) Orientierungslosigkeit. „Man hört nur noch den lautesten Schreihals und sieht den grellsten Scheinwerfer“, charakterisierte er die Situation und nannte die AfD und Donald Trump als Beispiele auch für ein „Schwarz-Weiß-Malen der Welt“ bzw. für Freund-Feind-Bilder. „Demokratie lebt auch von der Kritik“, fasste Polenz dieses Kapitel zusammen, wobei die klare Unterscheidung von Lüge und Wahrheit eine grundsätzliche Prämisse für Demokratie sei.
Damit war Polenz beim dritten Aspekt seines Vortrags, den Gefährdungen für Demokratie. Denn die genannten Faktoren würden durch die Sozialen Medien noch verstärkt. Diese seien „wohl eher demokratiezerstörend“. Denn erfahrungsgemäß würden Menschen eher durch negative Emotionen angesprochen, sie blieben dann länger auf der entsprechenden Plattform, was wiederum positiv für die dort geschaltete Werbung sei. Der Algorithmus spiele eine große Rolle. Außerdem blieben die Internet-User länger auf den Seiten und Kanälen, in denen die gleiche Meinung vorherrscht, man unter seinesgleichen ist. Dann werde es schwierig, sich mit anderen Inhalten auseinanderzusetzen, zumal man diese ja eigenständig auswählen müsste. „Es ist ein Risiko für die Demokratie, wenn die Menschen die Orientierung in der Welt verlieren“, mahnte Polenz.
Doch er schloss seinen Vortrag nicht ohne Antworten auf die Frage „Was kann der Einzelne zur Stabilisierung und Verteidigung der Demokratie tun?“ Mit der Aussage „Demokratie ist kein Zuschauersport“ umschrieb er seine Ratschläge, eine lebendige Zivilgesellschaft sei eine wichtige Basis. „Zeigen Sie Zivilcourage. Das ist ansteckend“, lautete sein erster Tipp. Darüber hinaus empfahl er das Engagement in politischen Parteien, in den Sozialen Medien oder durch Spenden. Und eine weitere Empfehlung hatte er parat: „Bedanken Sie sich! Danken erzeugt gute Laune und kann eine Veränderung des gesellschaftlichen Klimas bewirken.“ Vor allem in Richtung der Politiker in den verschiedenen Ebenen machte er diesen Vorschlag. „Es geht dabei nicht um ein Einverständnis mit Ergebnissen der Politik, sondern um die Anerkennung des vielstündigen Engagements jede Woche. Damit können wir für einen besseren Zusammenhalt in der Gesellschaft sorgen“, schloss Polenz seinen Vortrag.
Im Diskussionsteil legte er den Zuhörerinnen und Zuhörern nahe, in den Sozialen Medien aktiv zu werden – auch vor dem Hintergrund, dass diese einen enormen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung haben und sich ein Drittel der Bevölkerung ausschließlich durch diese informiert. Konkret also Likes zu geben, dadurch Reichweiten für positive Beiträge zu erhöhen und dadurch den Algorithmus zu beeinflussen, und schließlich selbst Meinungen und Stellungnahmen abzugeben. Beim Umgang mit dem rechten politischen Spektrum empfahl er, mit Wählern zu reden, bei AfD-Mitgliedern aber andere Strategien zu nutzen. „Es gibt Situationen, wo Diskussionen unmöglich werden“, relativierte er.
Die Frage von Prof. Dr. Bernhard Dick nach den Grundelementen von Demokratie nutzte Polenz zu einer abschließenden Zusammenstellung weiterer Demokratie-Faktoren. „Nur Demokratien haben eine Opposition. In Demokratien gibt es eine Kontrolle der Herrschaft – die Gewaltenteilung. Daher werden die unabhängige Justiz und die Freiheit der Presse meist als Erstes von Autokraten angegriffen“, stellte er fest. Unverrückbare Basis und Maßstab seien zudem das Grundgesetz, die Menschenrechte, die Rechtsstaatlichkeit und der Minderheitenschutz. „Stellen Sie mit Gleichgesinnten etwas auf die Beine“, lautete sein zusammenfassender Rat zum Engagement für die Demokratie.
Markus Bauer