Themenzoom über die Ukrainische Orthodoxe Kirche
Ein Thema im Kontext des seit mehr als eineinhalb Jahre laufenden russischen Angriffskrieges auf die Ukraine stand beim jüngsten Themenzoom der Ackermann-Gemeinde im Fokus: „Spirituelle Unabhängigkeit oder religiöse Verfolgung? Der Streit über die Ukrainische Orthodoxe Kirche“. An 42 PCs waren natürlich weit mehr Mitglieder und Freunde der Ackermann-Gemeinde dabei, um Niklas Zimmermanns Ausführungen dazu zu verfolgen.
Drei orthodoxe Kirchen in der Ukraine – und eine im Spannungsfeld
Kein Unbekannter bei der Ackermann-Gemeinde ist Niklas Zimmermann. Er ist Politischer Redakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und war bereits zu Gast im Themen-Zoom, wie Moderator Rainer Karlitschek bei der Einführung feststellte. Zimmermann hat in seiner Dissertation zu den deutsch-tschechischen Beziehungen die Arbeit der Ackermann-Gemeinde in einer historischen Einordnung gewürdigt. Im Rahmen seiner journalistischen Beschäftigung mit dem Krieg in der Ukraine ist er auch auf die Situation und Rolle vor allem der dortigen orthodoxen Kirchen gestoßen – und die Frage, wie sich dies auf die Politik auswirkt.
Die römisch-katholische Kirche in der Ukraine als vierte christliche Religionsgemeinschaft klammerte Zimmermann aus. Anhand von Bildern der Hauptkirchen bzw. geistlichen Zentren und der Oberhäupter vermittelte er einleitend einen visuellen Eindruck. Vor allem Ähnlichkeiten wurden hier deutlich: goldene Kuppeln bei allen drei Kirchengebäuden in Kiew und viel Gold, Schmuck und Barttracht bei den Oberhirten, ganz im Gegensatz zur Schlichtheit etwa bei Papst Franziskus. Gemeinsam ist den drei orthodoxen Kirchen auch die byzantinische Liturgie mit viel Gesang, Symbolik und Emotion. In allen drei orthodoxen Kirchen dürfen die Priester heiraten. „Warum aber dann drei und nicht eine orthodoxe Kirche?“, fragte Zimmermann und gab in seinen weiteren Ausführungen die Antwort.
Dem Papst unterstellt, also eine Teilkirche der römisch-katholischen Kirche, ist die seit 1596 bestehende Ukrainische griechisch-katholische Kirche. Diese ist vor allem im Westen der Ukraine (Zentrum Lwiw/Lemberg) präsent, was auch mit der habsburgischen Geschichte dort zusammenhängt. In der UdSSR war diese Religionsgemeinschaft stark unterdrückt. Die jüngste der drei ist die im Jahr 2018 gegründete Orthodoxe Kirche der Ukraine, wobei der damalige ukrainische Präsident Petro Poroschenko die Gründung (Fusion zweier Vorgängerkirchen) stark vorangetrieben hat, so Zimmermann. „Diese sollte die neue orthodoxe Nationalkirche sein“, konkretisierte der FAZ-Journalist.
„Die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche war die Verliererin“, blendete Zimmermann damit zur dritten orthodoxen Kirche über, zumal diese bis dahin diejenige mit den meisten Kirchen, Klöstern, Gemeinden, Priestern und Mönchen war. „Sie war in der UdSSR toleriert und unterstand bis 2022 dem Moskauer Patriarchat. Entsprechend gab es in den ersten Monaten des Krieges russlandfreundliche Äußerungen. Ein Landeskonzil im Mai 2022 hat zwar, so Zimmermann, die „volle Unabhängigkeit und Selbständigkeit, aber nicht die Autokephalie“ beschlossen, was Kritiker als eine halbherzige Erklärung würdigten. „Die Kirchenleitung steht immer noch in Verbindung mit dem Moskauer Patriarchat, ein großer Befreiungsschlag gelang nicht“, urteilte Zimmermann, der Vorwurf, für Russland Spionage und Sabotage zu leisten, blieb bestehen. Im Dezember 2022 ging Präsident Wolodymyr Selenskyj in die Offensive und forderte eine spirituelle Unabhängigkeit der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche. Im Frühjahr 2023 starteten zunächst in Regionalparlamenten mehrere Initiativen zum Verbot der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche. Zimmermann vertrat die Ansicht, dass es dazu aber wohl nicht kommen wird, da europäisches Recht (Venedig-Kommission der EU) dem entgegenstehen würde. „Das Vorgehen des ukrainischen Staates ist problematisch“, betonte Zimmermann, verwies aber auch auf großes Misstrauen und Ablehnung der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche seitens der Bevölkerung. „Diese Kirche ist kein monolithischer Block“, fasste der Referent zusammen und nannte abschließend die Zerstörung der Verklärungskathedrale in Odessa in der Nacht zum 23. Juli 2023 – immerhin eine der Bischofskirchen der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche. Dass angesichts solcher Greueltaten erneut der Bruch mit dem Moskauer Patriarchat gefordert wird, sei zu verstehen.
Im Fragen- und Diskussionsteil ging es zunächst um die Neudatierung des Datums des Weihnachtsfestes bei der Ukrainisch griechisch-katholischen Kirche und der Orthodoxen Kirche der Ukraine. Diese sind vom 7. Januar auf den in Westeuropa üblichen 25. Dezember gewechselt. „Die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche versteht sich als kanonische und wahre orthodoxe Kirche und hält daher am 7. Januar fest. Die anderen sind aus ihrer Sicht Schismatiker“, verdeutlichte Zimmermann.
Inwieweit diese Auseinandersetzungen der Kirchen die Lebensrealität der Bevölkerung anspricht und dies eventuell zu Spaltungen führt, wollte Moderator Karlitschek wissen. „Es sind weniger Spannungen unter den Gläubigen, eher in den Kirchenleitungen. Alle teilen den byzantinischen Ritus, es ist kein Glaubenskampf. Das Vorgehen des Staates gegen die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche findet eine große Unterstützung, die Mehrheit der Priester steht auf der Seite der Ukraine“, legte der Journalist dar. Und er wies auf eine nicht mehr so bekannte Tatsache hin. Im Präsidentschaftswahlkampf unterstützte er die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche, da ja der damals amtierende Präsident Poroschenko die Gründung der Orthodoxen Kirche der Ukraine mit forciert hat.
Weitere Redebeiträge fragten nach der Haltung der orthodoxen Kirchen zu westlichen kirchlichen Friedensinitiativen bzw. den Aktivitäten von Papst Franziskus, nach Übertritten innerhalb der drei Orthodoxien und der kirchlichen Beheimatung geflüchteter Ukrainer in Deutschland. „Eine Kirchenmitgliedschaft des Einzelnen gibt es in der Ukraine nicht, es gilt einfach das Merkmal ‚orthodox‘“, stellte Zimmermann abschließend fest.
Markus Bauer