Über schwierige Zeiten

Pauli Luft ist Jahrgang 1934 und lebt in der Nähe von Kaden (Kadan) im tschechischen Erzgebirge. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte sie wie ihr zukünftiger Mann zu den Deutschen, die bleiben durften. Doch Misstrauen, Hänseleien, Ablehnung, ja Hass begleiteten ihren gemeinsamen Weg. „Manchmal haben wir uns gefragt, ob es nicht besser wäre, auch nach Deutschland zu gehen“, erinnerte sie sich. Die junge tschechische Filmemacherin Veronika Krupková hat Menschen wie Pauli Luft für ihren Film „Generation N. Deutschböhme“ getroffen und ihre Erinnerungen dokumentiert. Zu Wort kommen Deutsche in der Bundesrepublik und in Tschechien, die sich an die Zeit nach 1945 und das erfahrene Leid der Deutschböhmen in den sudetendeutschen Gebieten erinnern

 

„Ich habe meine Heimat dreimal verloren.“

Vorgestellt wurde der Film in Auszügen beim diesjährigen Wochenende der Information und Begegnung der Ackermann-Gemeinde Region Nordost im Bischof-Benno-Haus Schmochtitz. Pauli Luft erinnert sich unter anderem an die Jahre, in denen sie zur Schule ging: „Wir hörten Worte wie, die deutsche Sau hat bessere Noten. Aber die wussten es nicht besser, sie hatten es von ihren Eltern.“ Weiter vorgestellt wurde in Schmochtitz Karl Simeon Schlosser, der 1937 in Pressnitz (Přísečnice) geboren wurde. Ihn verschlug es durch die Vertreibung bis nach Sonneberg in Thüringen, später nach Dresden. Nach Jahren wollte er seinen Heimatort besuchen und fand dort nur noch eine Talsperre. „Ich habe meine Heimat dreimal verloren. Erst durch die Vertreibung, dann durch die Sprengung der Häuser und schließlich durch das Wasser.“

Veronika Krupková versteht ihren Film als Beitrag, als Baustein zur gemeinsamen Geschichte. Dabei machte sie die Erfahrung, dass die Generation, über die der Film erzählt, lange Jahre nicht über ihre Erlebnisse reden konnte. Manche wollten nicht mit ihr reden, weil sie Tschechin ist. Andere wie Karl Simeon Schlosser und Pauli Luft waren froh. Pauli Luft ist ihr zu einer guten Freundin geworden und Karl Simeon Schlosser sagte: „Ich habe mein ganzes Leben auf Sie gewartet.“ Der Film kann im Internet bei Youtube angesehen werden.

„100 Jahre seit Gründung der Tschechoslowakei“ war das Thema der Ackermann-Tagung. Zu Anfang sprach Lukás Dulicek aus Prag zum Thema „Epochenjahr 1918 aus Sicht der Tschechen und der Deutschen.“ Dabei erinnerte er daran, dass die deutsche Bevölkerung Böhmens, Mährens und anderer Landesteile sich nach dem Ende der Österreichisch-Ungarischen Monarchie territorial an die Republik Deutschösterreich anschließen wollte. Sie bezogen sich auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker genauso wie die Tschechen und Slowaken, die am 28. Oktober einen eigenen Staat in den historischen Grenzen ausriefen. Es kam zu Kämpfen in den Randgebieten unter anderem in Nordböhmen. „Die Tschechen wollten sich nicht damit abfinden, diese Gebiete zu verlieren.“ In Böhmisch Leipa (Ceska Lipa) wurde in der Monarchie ein Regiment – bestehend aus Tschechen – stationiert, das nun von der neuen Regierung in Prag gegen die Unabhängigkeitsbewegung der Deutschen eingesetzt wurde. Widerstände in Tetschen-Bodenbach (Decin) und Reichenberg – dem damaligen Sitz des neuen Bundeslandes Deutschböhmen – wurden niedergeschlagen. Neben Deutschböhmen gab es die Bundesländer Sudetenland um Troppau, Deutschmähren und Böhmerwald.

In einem zweiten Teil erinnerte Lukás Dulicek an das Jahr 1948, den Machtantritt der Kommunisten. Dem einzigen im ehemaligen Ostblock, der unter Ausnutzung demokratischer Gegebenheiten erfolgte. Am 25. Februar 1948 gab Präsident Edvard Benes dem Druck der Kommunisten nach, akzeptierte den Rücktritt der zwölf bürgerlichen Minister und ernannte zwölf Kommunisten als Nachfolger, die von Klement Gottwald – dem damaligen Regierungschef – vorgeschlagen wurden. Damit legalisierte der Präsident den bereits vollzogenen Machtwechsel. Gottwald und die Kommunistische Partei waren 1946 bei den Wahlen mit 38 Prozent der Stimmen stärkste Kraft geworden.

Der Historiker Dr. Otfried Pustejovsky sprach zum Anschluss der Sudetenländer an das Deutsche Reich im Jahr 1938. Dabei ging er bis ins Jahr 1866 zurück, in dem nach der Niederlage gegen das Königreich Preußen der Ausgleich mit Ungarn geschlossen wurde und die Österreichisch-Ungarische Doppelmonarchie entstand. „Von da an gab es keine einheitliche Monarchie mehr. 1866 ist die Basis der Konflikte, die zum Zusammenbruch führten.“ Pustejovsky machte deutlich, dass sich mit dem Anschluss an Deutschland die Erwartungen der Sudetendeutschen nicht erfüllten. Damals ging folgender Satz um: „Bisher wurden wir von Tschechen beherrscht, jetzt von den Sachsen.“ „Deutschland brach mit Gewalt in die Tradition der böhmischen Länder ein. Deutschböhmen galten als wenig vertrauenswürdig und wurden flächendeckend an die Seite gedrängt und durch Deutsche aus dem Reich ersetzt.“ Der Widerstand – ein Teil der deutschen Bevölkerung sei für die Beibehaltung der Staatlichkeit der Tschechoslowakei gewesen, darunter Christen, Sozialdemokraten und Kommunisten – wurde zerschlagen. 2500 Personen wurden sofort in das KZ Dachau deportiert. Weiter Tausende folgten ihrem Leidensweg

Der sudetendeutsche Widerstand war das zweite große Thema von Otfried Pustejovsky. Er verwies auf den Buchhändler Eduard Schlusche, der die Enzyklika von Papst Pius XI. „Mit brennender Sorge“ (zur Lage im Deutschen Reich) herausgab und nach Deutschland schmuggeln ließ. Schlusche ist es mit zu verdanken, dass die Enzyklika die deutschen Katholiken erreichte. Nach der Annexion wurde er 1941 verhaftet, er starb 1945 im KZ Neuengamme. „Nicht zu vergessen Josef Tippelt, Lehrer Christ und ungewollter  Held. Ihm wurde unter fadenscheinigen Spionagevorwürfen der Prozess gemacht, weil er Christ war, ein guter Christ und ein engagierter Katholik.“ Tippelt wurde 1943 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. In der evangelischen Kirche in Wittichenau wurde die Ausstellung der Ackermann-Gemeinde „Zeugen für Menschlichkeit – Christlicher sudetendeutscher Widerstand 1938 bis 1945“ gezeigt. Sie wurde von den Teilnehmern besucht.

Frauen mit Priesterweihe nicht vergessen

Weiter stellte Otfried Pustejovsky das Leid katholischer Ordensleute – Frauen und Männer – und der Priester nach der Machtergreifung der Kommunisten vor. Sie wurden in Lager zusammengepfercht, wo sie unter unmenschlichen Bedingungen lebten. „Ziel war es, die gesamte Gesellschaft zu entchristlichen.“ Doch die Kirche reagierte. Nach 1968 bildete sich eine verborgene Kirche, die zu sehr praktischem Handeln fähig war. Um die Seelsorge an den Frauen in den Zuchthäusern zu gewährleisten und sie mit den Sakramenten zu versehen, wurde Frauen zu Priesterinnen geweiht. Pustejovsky selbst sind drei Frauen bekannt, die die Weihe erhielten. Zwei sind inzwischen verstorben. „Von Vatikan wurde das Schicksal der Frauen mit einem Streich vom Tisch weggewischt. Bis heute bin ich von der tiefen Gläubigkeit dieser Frauen überzeugt. Es ist einfach eine moralische Pflicht, ihr Leben in die Öffentlichkeit hineinzutragen.“

Geistliche Impulse gab der Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt mit auf den Weg. Er forderte in Wittichenau – mit Blick auf die sudetendeutschen Märtyrer – dazu auf, die Gelegenheiten zum christlichen Zeugnis zu ergreifen. „Hier in unserer Gegend begegnen wir täglich Menschen, die mit der christlichen Botschaft noch nicht in Berührung gekommen sind. Menschen in Brandenburg und Sachsen, … die manchmal auf der Suche sind.“ Es komme darauf an, etwas vom eigenen Glauben zu teilen, es vorbildhaft weiterzugeben. So unter anderem beim Tischgebet in der Öffentlichkeit, auf Gruß- und Weihnachtskarten oder in den Gesprächen und Begegnungen des Alltags. Hilfreich dabei, so Ipolt, ist dabei die Stärkung des eigenen Glaubens durch eine lebendige Christusbeziehung.

In einem abschließenden Podiumsgespräch am Sonntag wurde deutlich, dass Erinnerung allein nicht genügt. Vielmehr soll  aus ihr neues und Gemeinsames wachsen. Eine Haltung, für die Veronika Kupková und Matthias Bellmann von der Jugendbewegung der Ackermann-Gemeinde „Junge Aktion“ – beide nahmen am Podium teil – stehen.

Holger Jakobi

„Mit freundlicher Genehmigung des St.Benno-Verlages Leipzig / Tag des Herrn“.