„Versöhnung ist die Herausforderung unseres Lebens!“

Bis auf den letzten Platz besetzt war der Hörsaal H1 zum Podium „Meinen Frieden finden. Glauben und Zweifeln nach persönlichen Krisen“ beim 101. Deutschen Katholikentag in Münster. Die Ackermann-Gemeinde hatte in Kooperation mit dem Bonifatiuswerk e.V. diese Veranstaltung angeboten, die in zwei Abschnitte unterteilt war: zum einen drei persönliche Zeugnisse, zum anderen ein Statement von Pater Dr. Anselm Grün, der danach mit der Autorin Maike van den Boom diskutierte.

Über den hohen Zuspruch freute sich auch der Generalsekretär des Bonifatiuswerks, Monsignore Georg Austen, in seiner Begrüßung. „Der äußere Frieden setzt den inneren Frieden voraus“, stellte Austen fest und verwies auf immer wieder deutlich beobachtbaren inneren und gesellschaftlichen Unfrieden bzw. Nihilismen, was zu Spannungen oder auch zum Rückzug ins Private führe. Die Personen auf dem Podium hätten, so der Generalsekretär, in unterschiedlicher Weise leidvolle Erfahrungen gemacht, aber doch nach den jeweiligen Lebensbrüchen Frieden gefunden: Gisela Mayer verlor beim Amoklauf am 11. März 2009 in Winnenden ihre Tochter und setzt sich nun für Prävention von Gewalttaten an Schulen ein. Der frühere Manager bei verschiedenen Unternehmen Dr. Thomas Middelhoff saß im Gefängnis und fand zum persönlichen Frieden und zum Glauben. Der frühere Freiburger Erzbischof Dr. Robert Zollitsch erlebte im Zweiten Weltkrieg in Filipowa (früher Jugoslawien, heute Serbien), woher er stammt, grausame Massaker – unter anderem wurde auch sein Bruder ermordet.

Der emeritierte Erzbischof schilderte die Vorgänge zwischen Herbst 1944 und April 1945, unter anderem die Ermordung von 212 Männern zwischen 16 und 60 Jahren. „Ich habe erlebt, wie Menschen erschlagen, erschossen wurden. Ich habe noch die Massengräber vor Augen. Und ich höre heute noch die Schüsse, wie mein Bruder hinausgeführt worden ist. Diese Erinnerungen sind Teil meines Lebens“, schilderte Zollitsch. Im Todeslager das Rosenkranzgebet, der Glaube insgesamt und der Blick auf das Kreuz, die Pietat und den auferstandenen Christus hätten ihn diese Erlebnisse ertragen lassen. Nach der Flucht nach Deutschland im Jahr 1946 dominierte bei ihm nicht der Blick zurück, sondern der Blick nach vorne, die Zukunft mitzugestalten. „Aber die Wunden waren da“, stellte der Erzbischof fest. Viele Hilfen durch Priester und Pfarrer in seinen Kinder- und Jugendjahren bekräftigten die Entscheidung, ebenfalls Priester zu werden. Lange Zeit habe es gedauert, bis er über seine Erlebnisse gesprochen hat, und 60 Jahre, bis er in seine frühere Heimat zurückkehrte, die Gedenkstätte dort besuchte. „Es geht um die Zukunft und Versöhnung. Ich mache den Menschen keinen Vorwurf, die heute in meinem früheren Elternhaus wohnen“, fasste Zollitsch zusammen.

„Was passiert ist, war ein Weltuntergang. Meine gesamte Welt ist untergegangen“, brachte Gisela Mayer ihre damaligen Gefühle auf den Punkt. Mindestens ein halbes Jahr habe sie das Geschehen als Naturkatastrophe, nicht als Menschenwerk hingenommen. „Erst Ende 2009 wurde mir klar, dass es Menschenwerk war, dass es einen Menschen gegeben hat, der das getan hat“, blickte sie zurück. Immer mehr beschäftigte sie sich mit dem 17-jährigen Täter, dessen Verzweiflung, Hass und Not – und Ausweglosigkeit - sie im Laufe der Auseinandersetzung mit ihm und seinen Beweggründen erkannte. „In dem Maße, in dem ich erkennen durfte, wer und in welcher Not er war, wuchs das Mitleid, habe ich Frieden und Ruhe gefunden“, bekannte Gisela Mayer. Natürlich gibt sie auch zu, dass sie deshalb häufig angegriffen wurde. „Ich hätte lügen müssen, wenn ich anderes gesagt hätte. Ich konnte Frieden finden – nicht als Zustand des Wohlempfindens. Aber er ist da. Das ist Gnade, die mir zuteil wurde, ist aber nicht mein Verdienst. Es hat sich der Blick verändert, ohne dass ich es wollte. Es geschah durch die Kraft einer ganz anderen, höheren Macht“, fasste Mayer zusammen.

Im Unterschied zu den Erfahrungen Zollitschs und Mayers sei, so Dr. Thomas Middelhoff, er selbst für die Lebenskrise verantwortlich. „Mir wurde alles genommen durch meine eigenen Taten“, bekannte er und wies auf die Einlieferung in die Haftanstalt am 14. November 2014 hin. In der Justizvollzugsanstalt habe er zum Glauben zurückgefunden, das Mitfeiern der Heiligen Messe habe ihm „unglaublich viel gegeben“, und nach vielen Jahren habe er wieder gebeichtet. Dazu seien die Bibellektüre und das Rosenkranzgebet gekommen. „Je mehr mir auch weggenommen wurde – Ehre, Reputation, Ehe, Vermögen – ich wurde immer freier, fand immer mehr Ruhe in mir“, schilderte Middelhoff diese Zeit. Und er ging sogar soweit zu sagen, dass er zuvor seinen Werten nicht entsprochen habe und jemand ihm den Blick geschärft habe, „was ich besser in der Zukunft sein sollte. Das war und ist ein unglaubliches Glücksgefühl. Gott hat mich auf den richtigen Weg zurückgeführt. Ich blicke mit großer Freude auf das Kommende“, so der Ex-Manager.

In seinem Statement verwies Pater Anselm Grün zunächst auf die Differenzierung zwischen Einbruchskrisen und Reifungskrisen. Die Frage, warum etwas geschehen sei bzw. warum Gott es zulasse, „können wir nicht beantworten“. Der Mensch habe lediglich die Freiheit, darauf zu reagieren – ob als Opfer mit eventuell aggressiven Energien oder  in Form einer anderen Verarbeitung unter der Fragestellung „Wer bin ich?“. Grün verwies auch auf die Passage im Lukas-Evangelium, wo es zum Leid heißt, dass der Messias all das erleiden musste, um in die Herrlichkeit einzugehen. Ebenso erinnerte er an die Feier der Eucharistie, das Brechen des Leibes Jesu Christi, „damit wir nicht an den Krisen des Lebens zerbrechen, sondern aufgebrochen werden für die neuen Chancen des Lebens und für Gott“. Darüber hinaus nannte der Benediktiner-Pater die acht Seligpreisungen als „Wege zum gelingenden, glücklichen Leben, als realistische Wege zum Glück“. Die Worte der Bibel charakterisierte Grün als Glaubens- und Hoffnungsbilder. „Den Frieden finde ich nur, wenn ich mich mit der Geschichte aussöhne, wenn ich sie als meine Geschichte annehme. Das kann zu einer neuen Qualität des Lebens führen. Die Versöhnung - immer ein Prozess, ein ständiges Verabschieden von Illusionen - ist die Herausforderung unseres Lebens“, fasste der Pater zusammen.

Die Unterschiede zu den skandinavischen Ländern im Hinblick auf erlebtes Glück stellte die Autorin Maike van den Boom in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen. Dazu müsse aber auch die Gesellschaft beitragen - „links und rechts Menschen, die beobachten und anfeuern“, so die Autorin. Wichtig sei zudem, Fehler machen zu dürfen und Interesse am Neuen zu haben. Auch van den Boom favorisiert Aussöhnung statt Rache, die Opferrolle führe zu einem negativen Gefühl und entsprechendem Handeln. Ihrer Ansicht nach ist in Deutschland das Vertrauensniveau weniger stark vorhanden und damit der Umgang unter den Menschen mitunter von Abschottung geprägt. Ausdrücklich sprach sich die Autorin von Büchern über das Glück für Werte aus, die eine Richtung angeben. Pater Anselm Grün stimmte dem zu. „Wir sollten Lust auf Werte haben, Werte machen das Leben wertvoll!“

Das von Prof. Dr. Barbara Krause moderierte Podium umrahmte Judy Bailey mit ihrer Band musikalisch. Bailey ist Sängerin, Komponistin und Musikerin christlicher Popmusik und gab einige Kostproben ihres Repertoires zum Besten.

Markus Bauer