Vorhandene Vorurteile abbauen!
Nicht alltägliche Aspekte in der deutsch-tschechischen Nachbarschaft beleuchtet oft die Ackermann-Gemeinde oder deren Jugendverband, die Junge Aktion, beim Sudetendeutschen Tag. Auch heuer war dies so. Die Junge Aktion bot in Kooperation mit der tschechischen Vereinigung „Antikomplex“ eine Podiumsdiskussion zum Thema „Roma in Deutschland und Tschechien. Mythen – Vorurteile – Realitäten“. Parallel dazu gab es eine Ausstellung „Wege der Diskriminierung – Geschichte der Roma und Sinti in Tschechien und Deutschland vor und nach dem Zweiten Weltkrieg“.
„Wer ins Sudetenland fährt, kommt mit Roma in Berührung“, führte in seiner Begrüßung der Bundesgeschäftsführer der Ackermann-Gemeinde Matthias Dörr in die Thematik ein. „Es geht nur miteinander, in einem guten Dialog“, lautete sein Rat für den Umgang mit dieser Materie. Zugleich hob er hervor, dass sich gerade im Umgang mit Minderheiten und Ausgrenzten die Reife der Demokratie und der Gesellschaft zeige. Die Junge Aktion hat sich die Geschichte und Situation der Roma und Sinti zum Thema eines Projektes gemach. Entstanden ist dabei mit Schülern eine Ausstellung, die bereits beim deutsch-tschechischen Bundestreffen der Ackermann-Gemeinde in Budweis/České Budějovice zu sehen war und nun auch in Nürnberg gezeigt wird.
Die Podiumsteilnehmer stellte zunächst die Moderatorin Natascha Hergert, Bundessprecherin der Jungen Aktion, vor: René G. Daniel vom Verband Deutscher Sinti und Roma in Bayern, der vor allem im Lion-Project, Kultur und Jugendarbeit für Sinti und Roma, aktiv ist. Terezie Vavrová, die Direktorin von Antikomplex, das in der Tschechischen Republik auf mehrere Projekte mit der Roma-Minderheit zurückblicken kann. Dr. Eva Habel vom Caritaszentrum „Ambrela“ in Schluckenau/Šluknov. Und Tomáš Kolompár, Angehöriger der Roma-Minderheit in der Region Schluckenau und als Polizist in Prag berufstätig.
Die Gesamtzahl von ca. 300.000 Sinti und Roma in der Tschechischen Republik nannte Eva Habel, davon würden ca. 100.000 „am Rande der Gesellschaft“ leben. Etwa die Hälfte der in Schluckenau ansässigen Angehörigen dieser Volksgruppe seien auf Unterstützung angewiesen und wohnten „oft in schwierigen Verhältnissen“ - Häuser ohne fließendes Wasser, Zimmer ohne Kamin usw. Dazu kommt eine Arbeitslosenquote in Schluckenau von 16 Prozent, bei Roma sogar 66 Prozent. „Den Leuten wird die Hoffnung genommen, am Zustand des Lebens etwas zu ändern“, fasste Habel diese Fakten zusammen. Mit für alle offene Angebote will die Caritas die Gruppen zusammenführen: Gemeinwesenarbeit für Kinder und Jugendliche in einem Kindergarten, bei der Hausaufgabenbetreuung sowie offene Jugendarbeit. Wegen der Grenznähe ist in Schluckenau auch die Problematik Alkohol und Drogen nicht zu unterschätzen.
Die Situation in seiner Heimatregion wie auch in Prag, wo er seit 2010 bei der Polizei tätig ist, kann Tomáš Kolompár beurteilen. Während er für Prag „keine Probleme“, eher eine Assimilierung feststellt, sieht es in seiner Heimat anders aus. „Probleme entstanden mit dem Zuzug von neuen Roma, die sich nicht richtig einleben konnten“, erklärte der Polizeibeamte. Er selbst hat als Jugendlicher ganz normal mit gleichaltrigen Tschechen zusammengelebt, Schule und Ausbildung absolviert und wurde „normal integriert ohne Vorurteile“. Aber Kolompár ist überzeugt: „Vorurteile wird es bei der tschechischen Bevölkerung immer geben“.
„In Deutschland ist die Situation anders als in Tschechien oder in Südosteuropa“, erklärte René G. Daniel. In Deutschland leben bereits seit 600 Jahren deutsche Sinti, und im 18. Jahrhundert kamen die Roma nach Deutschland. Daher ist auch, so Daniel, der Grad der Assimilierung bei beiden Volksgruppen verschieden. Nicht verschwiegen hat er natürlich die Verfolgung und auch Traumatisierung im Dritten Reich mit Prägung bei den nächsten Generationen. Doch in Deutschland gilt der Status einer anerkannten Minderheit, so Daniel. „Wir bejahen generell die Integration in Deutschland – aber nicht auf Kosten unserer eigenen Identität als Sinti.“ Im Lion-Project laufen mehrere Vorhaben, an denen Sinti- und Romajugendliche wie auch deutsche Kinder und Jugendliche beteiligt sind, aber auch Angehörige weiterer Ethnien. Beispielhaft nennt er Hörspiele, Literatur, und Filmprojekte. Daniel sieht diese Aktivitäten auch als Prävention gegen den Missbrauch von Alkohol und Drogen.
Auf das vor drei Jahren gestartete Projekt über Sinti und Roma in Deutschland und der Tschechischen Republik für Schüler aus beiden Ländern ging Terezie Vavrová ein. Hintergrund sei vor allem gewesen, dass in Tschechien das Zusammenleben mit der Roma-Minderheit sehr problematisch und mit Ängsten behaftet sei. Da Antikomplex in der Vergangenheit viele deutsch-tschechische Projekte durchgeführt hat, gestaltete man es in Kooperation mit der Jungen Aktion der Ackermann-Gemeinde auch dieses binational. „Auch bei den deutschen Schülern war wenig Wissen vorhanden“, blickte Vavrová zurück und gab als Zielsetzung aus, Möglichkeiten der Begegnung und des Gesprächs mit der Roma-Minderheit zu schaffen, damit sich die Schüler eine eigene Meinung bilden können. Und das auch vor dem Hintergrund, dass sich die Situation in Tschechien verschärft hat. „Die tschechische Gesellschaft hat Angst vor allen möglichen fremden Menschen – das ist das größte Problem“, brachte es die Antikomplex-Direktorin auf den Punkt. Doch sie verwies auch auf positive Aktionen wie den „Tag der Roma“ in Prag – aber eben auch auf negative Stimmungen bis hinunter zur lokalen Ebene. Bei dem Schülerprojekt – und auch bei ähnlichen anderen – hat sie festgestellt, dass der Beginn einer Kommunikation, ja das Finden einer gemeinsamen Sprache oft schwierig ist.
Für die nahe Zukunft wünschen sich die Podiumsteilnehmer ganz unterschiedliche Dinge. Tomáš Kolompár hofft, dass die Roma nicht mehr als „das Böse“ gesehen werden. Eva Habel misst der Bildung von klein auf und den christlichen Werten eine wichtige Bedeutung zu. Die Entwicklung des eigenen Selbstbewusstseins, die Verwirklichung von eigenen Lebensträumen favorisiert Terezie Vavrová. Eine gute Ausbildung, um dann im Beruf für den eigenen Lebensunterhalt sorgen zu können und damit Vorurteile abzubauen, ist für René G. Daniel wichtig, auch um das Bild von Sinti und Roma zu verbessern.
Markus Bauer/ag