„Weiterführen, was lebendig ist, aber auch Neues denken!“
Gut zwei Wochen nach seiner Wahl zum neuen Bundesvorsitzenden der Ackermann-Gemeinde stand Dr. Albert-Peter Rethmann am Abend des Allerheiligentages beim monatlichen Themenzoom der Ackermann-Gemeinde Rede und Antwort zu den künftigen Schwerpunkten der Verbandsarbeit. Dass bei den Mitgliedern daran ein reges Interesse bestand, zeigt die Tatsache, dass 62 Bildschirme in Deutschland und Tschechien online waren, d.h. rund 100 Personen Rethmanns Ausführungen verfolgten.
Die schnelle Vernetzung mittels des inzwischen etablierten Formats „Themen- bzw. Kulturzoom“ betonte Moderator Rainer Karlitschek in seiner Begrüßung, in der er den neuen Bundesvorsitzenden auch kurz vorstellte: er sei eine Persönlichkeit mit langjähriger Erfahrung im deutsch-tschechischen Feld. Er war Theologieprofessor an der Prager Karls-Universität und ist jetzt Mitglied der Geschäftsführung der BBT-Gruppe (Barmherzige Brüder Trier gGmbH). Als Schwerpunkte kündigte der neu gewählte Bundesvorsitzende die Friedensarbeit und die Stärkung der Demokratie in Europa in Zeiten des Krieges an. Und Karlitschek verwies auf zwei weitere Aspekte: erstmals gehört vom gesamten neuen Bundesvorstand kein Mitglied mehr der Erlebnisgeneration an. Und zum ersten Mal hat ein Bundesvorsitzender zuvor bereits ein anderes Leitungsamt, nämlich des Geistlichen Beirats, ausgeübt.
Zunächst richtete Rethmann seinen Dank an den bisherigen Bundesvorstand mit dem langjährigen Bundesvorsitzenden Martin Kastler an der Spitze. Für Rethmann ist künftig das „Wir“ der zentrale Aspekt, das Gespräch miteinander. Natürlich gelte es, an die Tradition der Ackermann-Gemeinde anzuknüpfen, die ihre Identität durch die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und das Engagement von Menschen im Zeichen der Versöhnung erhalten habe – vor allem beim Verhältnis zwischen Deutschland und Tschechien bzw. der Slowakei. „Diese Tradition ist von Menschen geprägt, vom tiefen christlichen Geist der Versöhnung über die Grenzen hinweg“, konkretisierte der neue Bundesvorsitzende. Und er machte auch klar, dass natürlich immer noch Mitglieder aus der Erlebnisgeneration aktiv sind und das Miteinander und die Versöhnung mitgestalten.
„Wir stehen im Heute und wollen die Zukunft gestalten.“ Mit diesem Satz leitete Rethmann auf die Aspekte und Gedanken über, die seiner Meinung nach die Arbeit der Ackermann-Gemeinde künftig ausmachen sollen: die christlichen Werte als Verwurzelung, nach denen das Leben und das Miteinander gestaltet werden sollen. Diese Werte dienten zudem als Orientierung für Angebote im kulturellen Bereich bzw. für ein Hineinwirken in Kirche, Politik und Gesellschaft. Die bereits etablierten Veranstaltungen und Formate wie etwa Plasto Fantasto oder das Symposium in Brünn bzw. den Rohrer Sommer oder das Rohrer Forum nannte er als bewährte und erfolgreiche Beispiele. „Ich bin sehr stolz auf die Ackermann-Gemeinde“, zollte er Anerkennung, auch aufgrund der Angebotsvielfalt. Und angesichts des schon viele Monate laufenden Krieges in der Ukraine mahnte er, „nicht in Stereotype von gut und böse zu verfallen“. Gerade die Erlebnisgeneration habe in Bezug auf das Verhältnis zu Tschechen und Slowaken das „gemeinsame Wir“ im Blick gehabt.
Wichtig ist dem Bundesvorsitzenden auch, dass die Ackermann-Gemeinde für Menschen, die sonst in der Kirche keinen Raum mehr finden, einen Raum kirchlichen Lebens bietet. In diesem Zusammenhang ist Rethmann dankbar, dass die Junge Aktion bis heute junge Menschen anspricht und gewinnt – auch mit der Aufgabe, Europa mitzugestalten. Aber nicht nur in der jungen Generation, auch darüber hinaus seien Leute zu gewinnen, die sich aktiv einbringen. Es gelte also, „vieles weiterzuführen, was lebendig ist, aber auch Neues zu denken – und nicht viele Ichs, sondern ein Wir!“, so der Schlussgedanke Rethmanns bei seinen Ausführungen.
Bevor er auf die Fragen und Anregungen der Zuhörer einging, erklärte Rethmann, dass es drei Möglichkeiten der Fortsetzung der Arbeit gebe: ein „Weiter so“, Veränderungen an der einen oder anderen Stelle oder einen Transformationsprozess. Vorstandsmitglied Manfred Heerdegen meinte, dass vor allem (junge) Leute mit Interesse an Tschechien für den Verband interessant sein könnten, da auch durch den Rückgang der Erlebnisgeneration die Erinnerung an die schlimme Zeit schwinde. Hinsichtlich oft extremer Haltungen und Positionen sprach sich Rethmann für „bestimmte Tabus“ aus. „Ich möchte die Gesellschaft und die Kirche nicht Menschen überlassen, die diese kaputt machen“, betonte er. Bei einigen auch gut bekannten Fragen und Themen seien neue Wege nötig.
Nach der Zukunft der Regionalverbände fragte Jean Ritzke Rutherford vom Diözesanverband Regensburg, bei dem zwar die Vorstandschaft mit jungen Leuten besetzt ist, ein guter Teil der Mitglieder aber der älteren Generation angehört. „Wenn die Strukturen zur Last werden und nicht mehr das Engagement fördern, muss man sie gegebenenfalls ändern“, verdeutlichte Rethmann zu diesem Themenkomplex. „Wir wollen uns für andere Menschen öffnen. Wenn die Ackermann-Gemeinde zum Stammtisch oder zu einem gewöhnlichen Verein wird, dann wird es schwierig. Wichtig ist und bleibt, das Engagement zu fördern und zu ermöglichen“, stellte er klar. Birgit Nauheimer vom Diözesanverband Freiburg verwies auf Kooperationen mit anderen Gruppen, Vereinen und Verbänden, wodurch Interessenten und Neumitglieder gewonnen werden könnten.
Mit Dr. Otfrid Pustejovsky meldete sich schließlich auch ein Urgestein bzw. Angehöriger der Erlebnisgeneration (Mitglied seit 1951) zu Wort. Er hat alle Entwicklungen seither mitbekommen, auch die Vielfalt an Positionen und Meinungen, die sich unter anderem in der Schriftenreihe „Der Neue Ackermann“ ausgedrückt hat. Pustejovsky plädierte dafür, „wieder mehr in die Gesellschaft hineinzuwirken“ bzw. direkte Kontakte zu den führenden Medien zu pflegen, um „über den engen Kreis hinaus zu wirken“. Er verwies auf das erste Symposium nach der Wende in Iglau, an dem die damalige tschechoslowakische Staatsregierung als Mitorganisator beteiligt war. Albert-Peter Rethmann unterstrich diese Aussagen. „Wir müssen auch weiterhin unbequem sein – im Sinne einer Meinungsvielfalt um Themen ringen und nicht zu angepasst sein“, nahm er zu Pustejovskys Gedanken Stellung. Auf die unmittelbare Arbeit der Ackermann-Gemeinde bezogen bedeute dies, in die Kirche und Gesellschaft aus dem Geist der Verbundenheit mit den Tschechen und Slowaken hineinzuwirken.
Die kirchliche Ausrichtung bzw. das Hineinwirken in die Kirche thematisierte abschließend Oliver Engelhardt, d.h. wie der Bundesvorsitzende dies sieht. „Ich erlebe, dass wir mit einer großen Selbstverständlichkeit gesellschaftliches Engagement mit Gebet, Gesang und Gottesdienst verbinden. Das sind Momente der Begegnung, wo das Geistliche etwas ist, das mich berührt. Das Fromme/Geistliche und das Gesellschaftspolitische gehören zusammen“, erläuterte Rethmann diesen Aspekt. Da seiner Ansicht nach viele Menschen nicht mehr in einer evangelischen oder katholischen Kirchengemeinde eine Heimat finden, könne die Ackermann-Gemeinde mit ihrem spezifischen Ansatz und ihren Veranstaltung zur Beheimatung für diese Leute beitragen – im Sinne von miteinander christliches Leben gestalten, wobei durchaus ein eigener, neuer Weg entwickelt werden könne.
Markus Bauer