„Wie geht eine Revolution auch friedlich?“

Er war Moderator der Demonstrationen im Herbst 1989 in Prag. Heute ist er Prager Weihbischof: Václav Malý hat eine bewegte Biographie – und diese war beim 101. Deutschen Katholikentag in Münster Thema eines Biographischen Gesprächs zum Thema „Wie geht eine Revolution auch friedlich?“ im Fürstenberghaus. Die Ackermann-Gemeinde bot diese Veranstaltung, die Moderation hatte der in München tätige Dramaturg Rainer Karlitschek, der dem Priester viele interessante Aspekte entlockte.

„Mein Entschluss, Priester zu werden, hängt mit dem Prager Frühling zusammen“, blickte Malý auf das Jahr 1968 zurück, in dem er im Herbst 18 Jahre alt wurde. Aufgewachsen in einer gläubigen Familie, aktiv als Ministrant verfolgte er die Ereignisse jenes Jahres. Für ihn prägend war jedoch nach der Selbstverbrennung Jan Palachs im Januar 1969 und dem politischen Rückzug von Alexander Dubček die Entwicklung, dass sich die Menschen unterschiedlich im öffentlichen und privaten Raum gaben. Das verstand Malý nicht. „Alles im Prager Frühling Gewonnene wurde nun wieder unterdrückt“, beurteilt er heute die Situation im Frühjahr 1969. Daher änderte er seinen Plan, Archäologie des Nahen Ostens zu studieren und entschied sich für den Priesterdienst, um die Menschen aufzumuntern und die Diskrepanz zwischen öffentlicher und privater Präsenz zu mindern. „Ich hatte kein mystisches Erlebnis, es war eine logische Erwägung“, blickt der heutige Weihbischof zurück. Natürlich hatte er auch die eine oder andere Inspiration im Evangelium gefunden. Wichtig ist ihm (bis heute) die Freiheit – „als eine Möglichkeit, man selbst zu sein und nicht irgendetwas vor sich selbst vorzuspielen“. Hierfür gebe es keine bessere Inspiration als das Evangelium und die Person Jesus Christus, der sehr frei war. „Ich glaube, dass Gott in mein Innerstes sieht und ich ihm nichts vorspielen kann“, fasst der Weihbischof diesen Aspekt zusammen.

Ein weiterer Schritt im Kontext dieser Prämisse war Malýs Beitritt zur Charta 77, in der Menschen ganz unterschiedlicher Couleur vertreten waren. „Die Unterschrift hier war meine äußere Freiheit. Ich musste nun nicht mehr aufpassen, ich konnte ganz frei meine Meinung sagen“, beschreibt er rückblickend. Zunächst stieß er damit jedoch beim Klerus nicht auf Wohlwollen - Kardinal František Tomášek warf ihn sogar aus dem Büro, „er hat seine Meinung aber bald geändert“. Als Priester wirkte Malý in Haushalten bzw. Wohnungen, was er aber theologisch nur bedingt wollte. „Bei der Kirche geht es um ein öffentliches Zeugnis, nicht um ein geheimes, verdecktes Leben“, beurteilt er diesen Faktor der Seelsorgearbeit. Dennoch möchte er diese Zeit nicht missen. „Mehr als 250 Mal war ich bei der Staatssicherheit oder bei der Polizei, ich wurde überwacht und verfolgt und durfte nicht im Krankenhaus arbeiten“, blickt Malý zurück. Als Heizer in einem Hotel und beim Bau einer U-Bahn-Station als Toilettenreiniger war er offiziell tätig.

Václav Havel hat er im Jahr 1978 kennengelernt, als er als junger Kaplan in Prag tätig war. „Beim ersten Kontakt mit Havel habe ich gezittert, bis 1989 waren wir vertrauensvolle Freunde, er hat mir viel anvertaut. Nach der Wahl Havels zum Staatspräsidenten war der Kontakt nicht mehr so eng. Aber wir wussten voneinander, was wir tun“, beschreibt Malý.

Eigentlich habe er Angst und sei ein introvertierter Mensch, erklärt Weihbischof Malý zum Themenkomplex „Angst und Angstfreiheit bei den Massendemonstrationen 1989“. „Vor jedem Verhör bei der Staatssicherheit hatte ich Angst. Doch wenn man mit der Angst arbeitet, lässt sie sich auch überwinden“, erläutert Malý. „Am Wenzelsplatz hatte ich fast die Hose voll, aber die Menschen durften die Nervosität nicht spüren. Es ging um das Entweder – Oder. Und die Nervosität würde sich auf die Menschen übertragen. Es lag an Gottes Segen, dass ich als kleiner Introvertierter eine so große Kraft bekommen habe. Das Vater unser-Gebet war dann der Dank dafür. Es war nicht mein Verdienst, dass es nicht zum Chaos gekommen ist. Der Hauptakteur war Vaclav Havel. Endlich haben die Menschen ihre Köpfe erhoben, und Havel hat den Protesten eine Richtung gegeben“, so Malý im Rückblick auf diese spannende Zeit. Aber ohne die Zusicherung Gorbatschows, nicht einzugreifen, wäre es wohl anders gelaufen.

Obwohl der Journalist Pavel Tigrid bereits 1988 Václav Havel als Präsident vorschlug, sei – so Malý – zu Beginn der Demonstrationen die Besetzung dieses Amtes nicht klar gewesen. Doch Alexander Dubček, der slowakische Favorit, sei 21 Jahre nach dem Prager Frühling nicht mehr mit Hoffnung verbunden worden. „Wir wollten keinen Sozialismus mit menschlichem Antlitz, sondern ein freiheitliches demokratisches System. Es dauerte einige Zeit, bis sich Havel herauskristallisierte. Bis heute ist es ein Wunder, dass alle im Parlament einstimmig für Havel votierten, da er bis in die letzten Tage verfolgt wurde“, schildert Malý. Selbst ein politisches Amt zu übernehmen, eine politische Karriere zu starten, sei für den heutigen Weihbischof „die größte Versuchung meines Lebens“ gewesen. „Ich bin katholischer Priester und wusste sehr gut, wie Menschen einen solchen Priester wahrnehmen. Wenn ein katholischer Priester ein hohes politisches Amt wahrnehmen würde, bedeutete dies eine Verbindung zwischen Politik und Kirche. Und die Gläubigen würden sich fragen: ‚Was will uns der Priester sagen?‘ Ich habe darum gekämpft. Nach einigen Tagen war mir klar, es nicht zu machen. Wir Priester und Bischöfe sind auch Bürger und sollen als verantwortungsbewusste Bürger leben. Da ist es möglich, auch Politik von unten zu machen. Die Übernahme eines politischen Amtes wäre sehr schnell gegen mich ausgelegt worden“, beschreibt Malý ausführlich diese Problematik.

Dennoch sollte auch ein Bischof zu bestimmten gesellschaftlichen Ereignissen „kultiviert sprechen“, Stellung beziehen. „Es ist nicht möglich zu schweigen, wenn Unrecht passiert, Menschenrechte mit Füßen getreten werden“, bezieht Malý klar Stellung, weist aber auch auf verschiedene Meinungen in der tschechischen Bischofskonferenz hin. Bezüglich der Migranten vertritt er eindeutig die Position, dass sich die tschechische Gesellschaft hier nicht verschließen dürfe. Ebenso ist er klar gegen ein Referendum zum Austritt aus der EU. Deutlich nennt er aber auch vorhandene Spaltungen in der Gesellschaft (arm – reich, Mächtige – Ohnmächtige), „aber das Positive überwiegt“. Das stete Wirtschaftswachstum hält er für unnötig, es gehe vielmehr darum, das wirtschaftliche Lebensniveau zu halten. „Führt das wirtschaftliche Wachstum zu Zufriedenheit?“, fragt der Weihbischof fast provokant.

Kritisch sieht Malý auch – in weiten Teilen Europas – das „Herausdrücken der Religion aus der öffentlichen Sphäre“ bzw. - im Umkehrschluss – dass heute (fast) alles erlaubt ist. Das Zusammenleben der gesamten Gesellschaft bedinge da oder dort auch mal Verzicht. Defizite stellt er auch beim Bewusstsein über die Rolle der Familie und beim Erfüllen spiritueller Wünsche seitens der Kirche fest. Wichtig sei schließlich auch, mit dejenigen Menschen zu kommunizieren, „die sich mit uns nicht identifizieren“.

Markus Bauer