Wie katholisch, wie kirchlich ist eigentlich die Ackermann-Gemeinde?

Gibt es einen Anlass, sich als Ackermann-Gemeinde jetzt diese Frage zu stellen? Die AG ist doch ein von den deutschen Bischöfen kirchlich anerkannter katholischer Verband, und innerhalb der Vielzahl der katholischen Verbände im Zentralkomitee der deutschen Katholiken fest verankert. Insoweit ist doch rechtlich und strukturell alles klar, oder? Die theologische Begründung für das Engagement von Laien und für Zusammenschlüsse von Laien in der Kirche ist im Übrigen in den Texten des 2. Vatikanischen Konzils und der deutschen Synoden von Würzburg und Dresden nachzulesen: Ämter, Dienste und Charismen, Diözesen, Pfarreien, kirchliche Werke und Verbände prägen in ihrer Vielgestaltigkeit und Struktur Leben und Handeln des „Volkes Gottes unterwegs“.

Und doch gibt es einen Anlass, sich erneut und konkret dieser Frage zu stellen. Seit gut zwei Jahren findet ein „Dia­logprozess“ zwischen der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und Vertretern der verschiedenen kirchlichen Handlungsfelder statt. Anstoß dazu ist zum einen die Vertrauenskrise, die durch die Missbrauchsfälle kirchlicher Amtsträger entstanden ist, zum anderen aber besonders die immer prekärer werdende pastorale Situation, die durch den Priestermangel und gesellschaftliche Entwi­cklungen ausgelöst wurde und in allen Diözesen zu Prozessen der Neuorganisation der Seelsorge vor Ort (Stichwort: Zusammenlegung von Pfarreien) geführt hat. Bei einem Treffen im Mai dieses Jahres, zu dem Erzbischof Zollitsch als Vorsitzender der DBK alle Vertreter der katholischen Verbände eingeladen hatte, stand ausdrücklich die Frage im Raum, wie sich die einzelnen Verbände solidarisch an der Bewältigung der aktuellen pastoralen Krise beteiligen können. Wie stark können sie sich zum Beispiel in die Sicherung und Gestaltung des kirchlichen Lebens vor Ort einbringen, wenn sich die amtskirchlichen und pfarrlichen Strukturen immer mehr aus der örtlichen Ebene zurückziehen? Gefordert wurde von einigen Verbänden in diesem Zusammenhang eine „ekklesio­logische“ (also eine aus der Lehre über die Kirche abgeleitete) Ortsbestimmung der katholischen Verbände.

Diese Anfragen wird zunächst jeder ka­tholische Verband für sich selbst beantworten müssen, entsprechend seinem Auftrag, seinem inhaltlichen Profil, seinen Möglichkeiten und Grenzen. Wie könnte die Antwort der Ackermann-Ge­meinde lauten? Hier eine erste Argumentationsskizze:

Die Pastoraltheologie - der theologische Fachbereich, der sich wissenschaftlich mit der Praxis der Kirche in heutiger Zeit befasst und diese kritisch und konstruktiv begleitet - bietet uns eine Reihe von Grundbegriffen an, die dabei helfen können, Charakter und Qualität kirchlicher Handlungsfelder in der heutigen Gesellschaft zu beschreiben und zu bewerten. Kirchliches Leben in seiner vollen Ge­stalt sei dort präsent, wo eine Balance zwischen den Polen „Sammlung“ (Com­munio) und „Sendung“ (Missio) gegeben ist und wo die drei Grunddimensionen „Feier des Glaubens“ (Liturgia), „Bezeu­gen des Glaubens“ (Martyria) und „Han­deln aus dem Glauben“ (Diakonia) mit Leben erfüllt werden.

Was heißt das konkret für die Ackermann-Gemeinde?

Zum einen sind ihre Mitglieder zunächst einmal als katholische Christinnen und Christen in einer Pfarrgemeinde und in einer Diözese beheimatet. Sie sind also herausgefordert mitzuhelfen, dass „vor Ort“ Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit gefeiert, bezeugt und im Handeln praktisch erfahrbar wird, und das nicht nur innerhalb der Glaubensgemeinschaft, der sogenannten „Pfarrfamilie“, sondern gerade auch im Hinausgehen an die „Hecken und Zäune“ und in Solidarität mit „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen heute, besonders der Armen und Bedrängten“ (2. Va­tikanisches Konzil, Dekret „Über die Kir­che in der Welt von heute“ - „Gaudium et Spes“). Und das tun ja auch, Gott sei-Dank, viele Mitglieder der AG, entsprechend ihrer Begabung, ihrem Alter und ihren Möglichkeiten. Sie wirken etwa, auch in Leitungsverantwortung, mit in Pfarrgemeinde- und Verwaltungsräten, als Lektoren und Kommunionhelfer, bei Wort-Gottes-Feiern, als Katecheten oder Chormitglieder, Bildungsbeauftragte, bei der Caritas, in Gremien und Sachausschüssen auf Stadt-, Regional- oder Bis­tumsebene, etwa im Bereich Weltkirche, Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge. So sind viele Mitglieder der AG aktiv da­ran beteiligt, die aktuelle Glaubwürdigkeitskrise der Katholischen Kirche in Deutschland und die Krise der pastoralen Strukturen vor Ort zu bewältigen und „Freude und Hoffnung“ der Glaubenden zu stärken. Das ist sozusagen das eine kirchliche Standbein der AG-Mitglieder.

Zum anderen erfüllt die Ackermann-Ge­meinde als katholischer Verband selbst alle dargelegten theologischen Maßstäbe für kirchliches Leben; das ist ihr anderes kirchliches Standbein: Sie sieht ih­re spezifische Sendung (Missio) darin, als katholische Gemeinschaft (Commu­nio) die deutsch-tschechisch-slowaki­sche Nachbarschaft zu gestalten und sich aus christlicher Verantwortung für Europa zu engagieren. Sie tut dies Grenz überschreitend in Kooperation mit katholischen, anders konfessionellen und zivilgesellschaftlichen Partnerorganisationen in Tschechien und der Slowakei. Sie stiftet internationale Begegnungen, Lernprozesse und Kooperationen. Sie macht damit Weltkirche und Ökumene im mitteleuropäischen Raum konkret erfahrbar. Als Glaubensgemeinschaft feiert sie Gottesdienste (Liturgia), organisiert theologische, kulturelle und politisch-soziale Bildungsmaßnahmen und Fachtagungen (Martyria) und praktiziert Geschwisterlichkeit, Hilfe und Solidarität untereinander und durch ihr „Sozialwerk e.V.“ auch grenzüberschreitende Solidarität. Zudem mischt sie sich ein in die gesellschaftliche Debatte um die Ausgestaltung der Europäischen Gemeinschaft (Diakonia).

Pastoraltheologisch betrachtet, kann man mit guten Gründen sagen: Die Ackermann-Gemeinde ist nicht nur ein spezieller katholischer Interessen- oder Fachverband, sondern selbst auch eine „katholische Gemeinde“ (mit Priestern und Laien, Frauen und Männern, Jüngeren und Älteren), sie ist nur keine „statio­näre, örtliche Pfarr-Gemeinde“, sondern eine „mobile Gemeinde“, die über nationale und kulturelle Grenzen hinaus unterwegs ist. Die Mitglieder der Ackermann-Gemeinde sind also doppelt in Leben und Struktur der Kirche verankert und engagieren sich konkret in „zwei Gemeinden“.

Ich denke, es ist klar, dass diese Argumentationsskizze kein Anlass für ein selbstgefälliges Sich-auf-die-Schulter-Klopfen sein kann, sondern als bleibende Herausforderung die weitere Arbeit der AG kritisch begleiten und immer wie­der neu inspirieren muss.

Herwig Steinitz, Theologe,

stellvertretender Bundesvorsitzender

 

 

Foto: Gemeinsam feiert die Ackermann-Gemeinde, wie hier beim Bundestreffen 2012 in Bautzen, ihren Glauben. (Foto: ag)