„Wir müssen die Demokratien stärken!“

Zum Europatag (12. Mai) gab es beim 101. Deutschen Katholikentag in Münster ein Großpodium mit dem Titel „Zurück in das Eigene und Heimische. Gesunder Patriotismus oder neue Nationalismen in Europa“. Die Moderation oblag dem Bundesvorsitzenden der Ackermann-Gemeinde Martin Kastler, der auch Sprecher des ZdK-Sachbereiches „Europäische Zusammenarbeit“ ist.

In seiner thematischen Einführung verdeutlichte Kastler, dass die Globalisierung vielfach zum Rückzug ins Heimische bzw. Regionale führe, aber auch populistische Tendenzen mit sich bringe. Mit einem Videofilm, der mehrere Statements zu europäischen und regionalen Identitäten bzw. Verbundenheiten beinhaltete, wurde das Thema verbreitert. Via Smartphone konnten die Zuhörer ebenfalls Stellungnahmen abgeben bzw. Fragen an die Podiumsteilnehmer stellen.

Einen weiteren Impuls lieferte die an der Georg-August-Universität Göttingen lehrende Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Tine Stein. „Alle europäischen Länder sind mit Bewegungen konfrontiert, die auf Globalisierung, Digitalisierung und Migration mit der Forderung nach Schließung der Grenzen antworten“, lautete ihre Feststellung. Konkret seien dies populistische Gruppen bzw. Forderungen, bei denen der politische Gegner als Feind des Volkes angesehen werde. Damit einher gehe die Gefahr der Abschaffung der Demokratie bzw. die Errichtung einer autoritären Herrschaft. Als Begründung nannte Stein die „These der Repräsentationslücke“, d.h. dass sich Teile nicht mehr durch die Politik vertreten, fremd im eigenen Land fühlen. Auch sei es für viele Menschen schwer, in einer Zeit, in der sich die Gesellschaft pluralisiert, ihre Identität zu finden. Als weitere Aspekte in diesem Kontext nannte die Politikwissenschaftlerin den nach 1945 betonten Verfassungspatriotismus, den in den vergangenen Jahren immer wieder diskutierten Begriff „Leitkultur“ und schließlich den im vorpolitischen Raum angesiedelten Begriff „Heimat“, der in anderen Sprachen kein Pendant hat. „Demokratien sind unter den Entwicklungen von Globalisierung und Migration fragil, Einwanderungsgesellschaften besonders“, fasste Stein zusammen.

In der Diskussion betonte Malu Dreyer, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, die Freizügigkeit in Europa und die starke Annahme des europäischen Erasmus-Programms. „Bei jungen Leuten ist das Thema ‚Europa‘ positiv besetzt“, erklärte sie. Zugleich nannte sie einige in Untersuchungen ermittelte Merkmale von AfD-Wählern, gab aber auch zu, dass die Digitalisierung „gewaltige Veränderungen der Welt“ mit sich bringe – verbunden mit Ängsten, Verbitterung, Unsicherheit und Sorgen hinsichtlich der Zukunft. Sie nannte einige auseinanderdriftende Entwicklungen (z.B. Löhne/Gehälter etc.) und empfahl, diese Fragen seitens der Politik ernst zu nehmen. Es gehe darum, den Rückzug der Menschen in ihre kleine Welt zu stoppen, sie vielmehr abzuholen durch die Parteien und gesellschaftlichen Gruppen. Als schwierig erweise sich der Anteil von 15 bis 20 Prozent Menschen mit einem extremen Weltbild.

„Wenn ich in Europa ankomme, fühle ich mich wohl – besonders in Genua oder Rom. Bei einem Scheitern Europas würden wir etwas Gutes und Wichtiges verlieren“, stellte Angelo Kardinal Bagnasco, Erzbischof von Genua und Vorsitzender des Rates der europäischen Bischofskonferenzen, fest. Daraus leitete er eine Verantwortung – auch der Kirche - für den europäischen Kontinent ab, wobei natürlich auch die anderen Teile der Welt ihre Reize haben. „Die europäischen Bischöfe glauben an Europa und einen gemeinsamen Weg. Wir haben ein gemeinsames Erbe und müssen daher zusammenbleiben. Daran muss die Kirche immer erinnern“, machte der Kardinal deutlich. Er wandte sich gegen den Neukolonialismus und den „radikalen Individualismus“ mit Abgrenzung einzelner Menschen bzw. Völker. Der Erzbischof gab zu, dass die Kirche in manchen Fragen nicht einheitlich agiert, der Kirche und den Bischöfen in Polen bestätigte er gute Arbeit auf moralisch-spiritueller Ebene. Zur Situation nach der italienischen Parlamentswahl meinte er, dass das vordringlichste Thema der Abbau der Arbeitslosigkeit sei. Aufgabe der Kirche sei die Formung des kollektiven (Ge)Wissens und Bewusstseins. „Jede Nation, jedes Volk muss seine Wurzeln beachten. Unterschiede müssen nicht als etwas Schlechtes, sondern zum Leben Gehördendes angesehen werden“, riet der Kardinal.

Die Angst vor dem Zusammenbruch von Wertschöpfungsketten thematisierte Elmar Brok, langjähriger Europaabgeordneter. Daraus resultiere ein Rückzug auf das Eigene. Auch sprach er von „ähnlichen Wählerschichten wie in den 1930er Jahren“, jedoch gehe es jetzt den Menschen gut, so dass keine konkrete Angst, sondern eher Bestandsangst bestehe. „Wir müssen einen Weg finden deutlich zu machen, dass es nur gemeinsam geht. Die Grenzen dicht zu machen, ist nicht die Lösung. Problemlösungen sind in bestimmten Bereichen nur europäisch möglich“, empfahl der Europapolitiker. Eindeutig sprach er sich dafür aus, dass Mitgliedsstaaten in der Europäischen Union demokratische Rechtsstaaten sein müssen, was für Polen, Rumänien und Ungarn scheinbar nicht vollends zutreffe. „Das ist ein unerträgliches Verständnis von Freiheit. Jedoch dürfen wir nicht mit Geld bestrafen, sondern müssen die Demokratien stärken“, sprach Brok klare Kante und drückte auch seine Enttäuschung „über große Teile der polnischen Kirche“ aus. Laut Brok sei ferner deutlich zu machen, dass Europa nicht Zentralismus bedeute und der Nationalstaat noch lange eine Rolle spielen werde. Daher plädierte er bezüglich Europa für ein föderales Modell.

Dies befürwortete ebenso der Kunsthistoriker Neil Mac Gregor, der auch Intendant des Berliner Humboldtforums ist, und hob die seiner Ansicht nach in Deutschland einzigartige Erinnerungskultur hervor. „Das Lernen aus der eigenen Geschichte ist sehr wichtig, um die eigene Geschichte richtig zu verstehen“, verdeutlichte der Schotte. Für gefährlich hielt er es, Europa mit der EU zu verknüpfen, „dass sich die Europäische Union wie ein Nationalstaat entwickelt. Europa ist nur zu verstehen, wenn man Europa im Kontext der ganzen Welt sieht“, so Mac Gregor.

Markus Bauer