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Zwischenbilanz und künftige Herausforderungen - 70 Jahre Ackermann-Gemeinde

Am 13. Januar 2016 wird die Ackermann-Gemeinde 70 Jahre alt. In diesen 7 Jahrzehnten hat sie viel bewegt: Gegründet als eine Gemeinschaft katholischer Sudetendeutscher hat sie weit über den Kreis ihrer Mitglieder hinaus dazu beigetragen, daß die Vertriebenen ihre materielle und seelische Not überwinden, in der deutschen Gesellschaft Fuß fassen und dabei ihr kulturelles Erbe bewahren konnten. Sie hat es verstanden, die Verbundenheit mit der alten Heimat nicht in Nostalgie erstarren zu lassen, sondern als Grundlage eines solidarischen Netzwerks zur Unterstützung der dort verfolgten Christen und der heimatverbliebenen Deutschen nutzbar zu machen. Und sie hat eine auch selbstkritische Auseinandersetzung mit der Vertreibung, eine abwägende Diskussion über Recht und Schuld, und schließlich einen Prozess der Versöhnung von Deutschen, Tschechen und Slowaken in Gang gesetzt. Was für die Nachgeborenen nur historische Fakten sind, ist für diejenigen, die als Angehörige der Erlebnisgeneration daran mitgearbeitet haben, Teil ihrer Lebensgeschichte. Ihre letztlich religiös motivierte Zusammenarbeit hat sie zu einer Gemeinschaft verbunden, die mehr ist als nur ein Verein. Grund genug, mit einer Jubiläumsfeier für all das zu danken, was gemeinsam gelungen ist.


Diese Rückschau auf die vergangenen Jahrzehnte ist freilich nicht schon Endergebnis, sondern vielmehr Zwischenbilanz - Erfolgsgeschichte und zugleich Ausgangspunkt einer Reflexion über künftige Herausforderungen. So hat es die Ackermann-Gemeinde immer gehalten. Darum konnte sie sich weiterentwickeln, neue Aufgaben anpacken und dabei doch ihre Identität bewahren.

Bei aller Offenheit für neue Aufgabenschwerpunkte bleiben aber zwei Wesensmerkmale der Ackermann-Gemeinde unveränderlich:

- Sie wurde immer und wird auch heute getragen von Menschen, für deren Leben Böhmen, Mähren, Schlesien und die Slowakei wichtig sind. Das heißt nicht, daß sie dort geboren sein müssen. Selbst in der Frühzeit der Ackermann-Gemeinde war sudetendeutsche Abstammung zwar die Regel, aber nicht zwingend. Inzwischen hat es der Generationenwechsel deutlich gemacht: Eingeladen sind alle, die erkannt haben, dass es Europa auch jenseits von Böhmerwald und Erzgebirge gibt, daß uns mit den Menschen, die dort wohnen, vieles verbindet und daß Aufbau und Pflege guter Nachbarschaft für ein friedliches Zusammenleben in der Mitte Europas wichtig sind. Auf ihrer Erfahrung, ihrem Wissen und ihrer Empathie für die Nachbarn beruht unsere Arbeit.

- Zum anderen ist die Ackermann-Gemeinde eine Gemeinschaft in der katholischen Kirche. Von daher bezieht sie die Motivation für ihre Arbeit  und die inhaltlichen Maßstäbe, nach denen sie ihr Handeln ausrichtet. Ökumenisch offen sucht sie christliche Wertvorstellungen zur Geltung zu bringen.

 

Dass sich eine Gemeinschaft, die diese beiden Qualitäten aufweist, innerhalb der Zivilgesellschaft engagiert, hat wie in der Vergangenheit so auch heute einen guten Sinn. Die Ackermann-Gemeinde mit ihren speziellen Fähigkeiten bleibt gefordert. Zwei Aufgabenfelder drängen sich auf:

- Sie muss daran arbeiten, dass die Vorbehalte abgebaut werden, die immer noch hüben und drüben gegenüber den Menschen des anderen Landes zumindest latent fortbestehen. Trotz der erfolgreichen politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit ist das Denken und Fühlen breiter Bevölkerungsschichten über die Nachbarn noch zurückhaltend. Man ist sich zwar nicht feind, bleibt aber auf Distanz. Damit nicht diese gesellschaftliche Stimmung eines Tages wieder politisch relevant wird, gilt es, das gesellschaftliche Bewusstsein zu verändern und unter den Menschen beiderseits von Böhmerwald und Erzgebirge eine positive Einstellung zu den Nachbarn zu wecken. Dabei wird sich die Ackermann-Gemeinde in erster Linie um die deutsche Gesellschaft zu bemühen haben. Sie sollte aber auch die tschechische und die slowakische Gesellschaft im Blick behalten.

- Ein zweites Aufgabenfeld der Ackermann-Gemeinde bleibt es, in den Christen hüben und drüben das Bewusstsein dafür zu wecken und zu pflegen, daß sie ungeachtet der Staatsgrenzen und aller nationalen Unterschiede als Getaufte Glieder einer übernationalen Gemeinschaft sind und sich als solche übernationale Gemeinschaft auch zu Wort melden und Themen, die christliche Werte und Fragen des Friedens berühren, öffentlich zur Diskussion stellen müssen. Die Ackermann-Gemeinde kann zwar eine solche grenzüberschreitende Aktionsgemeinschaft deutscher, tschechischer und slowakischer Christen nicht allein aufbauen. Sie ist aber mehr als andere dazu berufen und dafür qualifiziert, mit Mut und Ausdauer immer wieder Anstöße zu geben und Schritte in diese Richtung zu gehen.  

Das Jubiläumsjahr bietet eine gute Chance, wieder deutlich zu machen, dass die Ackermann-Gemeinde kein Verein ist, der sich selbstverliebt in Betriebsamkeit ergeht, sondern eine Gemeinschaft, die sich dem öffentlichen Wohl verpflichtet fühlt.

Dr. Walter Rzepka
Ehrenvorsitzender der Ackermann-Gemeinde